Rz. 7

Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BetrVG können die Arbeitnehmer eines Betriebsteils, in dem kein eigener Betriebsrat besteht, mit Stimmenmehrheit beschließen, dass sie an der Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb teilnehmen. Damit wird es den Arbeitnehmern in einem verselbstständigten Betriebsteil an die Hand gegeben, durch einfache Abstimmung, die an keine bestimmte Form gebunden ist, folglich auch im Umlaufverfahren erfolgen kann[1], bei der Bildung und Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb teilzunehmen. Eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bzw. einer Betriebsvereinbarung nach § 3 Abs. 2 BetrVG i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bedarf es nicht. Auch hier lehnt sich der Gesetzgeber des Betriebsverfassungsgesetzes an die Vorschrift des § 20 SprAuG an. Durch den Verweis in § 4 Abs. 1 Satz 2, letzter Halbsatz BetrVG auf § 3 Abs. 3 Satz 2 BetrVG wird zur Sicherung einer gewissen demokratischen Legitimation die Zustimmung der Arbeitnehmerschaft in dem betreffenden Betriebsteil verlangt, denn es müssen mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft eine entsprechende Abstimmung beantragen. Erforderlich ist die absolute Mehrheit aller Arbeitnehmer des Betriebs, nicht nur die Mehrheit der auf einer Betriebsversammlung anwesenden Arbeitnehmer.[2] Darüber hinaus hat der Betriebsrat des Hauptbetriebs ein eigenständiges Initiativrecht, auch dieser kann die Abstimmung veranlassen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 BetrVG[3]). Weitere formelle Anforderungen bestehen nicht (instruktiv LAG Düsseldorf, Beschluss v. 13.1.2016, 12 TaBV 67/14, Abstimmung anlässlich eines gemeinsamen Frühstücks).

 

Rz. 8

Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist der entsprechende Zuordnungsbeschluss dem Betriebsrat des Hauptbetriebs zu dem nach § 16 BetrVG maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestellung des Wahlvorstands mitzuteilen, damit die entsprechende Zuordnung bei der Wahlvorbereitung noch berücksichtigt werden kann.[4] Geht der Beschluss erst nach diesem Zeitpunkt dem Betriebsrat des Hauptbetriebs zu, bleibt er bei der folgenden Wahl unbeachtet.[5] Diese einmal getroffene Zuordnung zum Hauptbetrieb bleibt solange bestehen, bis sie von den Arbeitnehmern des Betriebsteils widerrufen wird (§ 4 Abs. 1 Satz 5 BetrVG).[6] Der Widerruf der Zuordnung ist jedoch, was durch die Verweisung auf die Sätze 2 und 3 klargestellt wird, erst mit Wirkung zur nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl und unter den gleichen formellen Voraussetzungen wie der Zuordnungsbeschluss selbst (absolute Mehrheit, 10-Wochen-Frist) möglich.[7]

Ein solcher Zuordnungsbeschluss scheidet jedoch dann aus, wenn in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung nach § 3 Abs. 1 BetrVG oder § 3 Abs. 2 BetrVG eine andere Zuordnung des Betriebsteils bereits geregelt ist. Entsprechende Regelungen haben Vorrang.[8]

Dieser Zuordnungsbeschluss hat weitreichende Folgen: Ein Betriebsteil ist dem Hauptbetrieb zuzuordnen, wenn seine Belegschaft die Teilnahme an der dort stattfindenden Betriebsratswahl beschließt (BAG, Beschluss v. 17.9.2013, 1 ABR 21/12). Der qualifizierte Betriebsteil existiert als solcher nicht mehr, sondern ist Bestandteil des Hauptbetriebes geworden. Das kann sich bei einer Schließung oder anderen Betriebsänderungen im Sinne von § 111 BetrVG, die nur den ehemaligen qualifizierten Betriebsteil betrifft, dahin auswirken, dass die Schließung ohne Interessenausgleich und Sozialplan erfolgen kann, weil für die Frage, ob ein erheblicher Teil der Mitarbeiter betroffen ist, nunmehr auf die Zahlenverhältnisse des ganzen Betriebs abzustellen ist (BAG, Beschluss v. 17.9.2013, 1 ABR 21/12).

 
Praxis-Beispiel

Beispiel nach BAG Beschluss v. 17.09.2013, 1 ABR 21/12:

Im Hauptbetrieb in München arbeiten 300 Arbeitnehmer, in der Geschäftsstelle in Mannheim 16 Mitarbeiter. Die Geschäftsstelle in Mannheim ist aufgrund ihrer räumlich weiten Entfernung zum Hauptbetrieb in München nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ein Betrieb, in dem ein Betriebsrat errichtet werden konnte, jedoch kein Betriebsrat erreicht war. Vor der letzten Betriebsratswahl haben die Mitarbeiter in Mannheim beschlossen, an der Wahl des Betriebsrats in München teilzunehmen. Nunmehr entscheidet der Arbeitgeber, die Geschäftsstelle in Mannheim zu schließen. Der Betriebsrat verlangt die Verhandlungen über einen Interessenausgleich nach § 111 BetrVG und macht sein Mitbestimmungsrecht zum Abschluss eines Sozialplans nach § 112 Abs. 4 BetrVG geltend.

Lösung:

Der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf Aufnahme von Interessenausgleichsverhandlungen, da die Maßnahme keine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG darstellt. Die Geschäftsstelle in Mannheim ist kein eigener Betrieb mehr, da durch den Beschluss der Belegschaft der Geschäftsstelle Mannheim über die Teilnahme an der Betriebsratswahl für den Betrieb München der Status als eigener Betrieb beendet worden ist. Ab dem Zeitpunkt der Einleitung des gemeinsamen Wahlverfahrens war die Geschäftsstelle Mannheim betriebsverfassungsrechtlich dem Hauptbetrieb in München zugeor...

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