Rz. 14

Betriebliche Abläufe unterliegen nicht selten einem starken Zeitdruck. In der modernen Arbeitswelt hat sich diese Situation tendenziell verschärft. Hinzu kommt der verstärkte Wettbewerbsdruck durch zunehmende Internationalisierung der Märkte. Anders als in bestimmten personellen Angelegenheiten (z. B. der Einstellung von Mitarbeitern) in § 100 BetrVG existieren keine Regelungen für vorläufige Maßnahmen im Bereich des § 87 BetrVG. Auch in Fällen, in denen eine Regelung umgehend getroffen werden muss (Eilfälle) schränkt die Rechtsprechung des BAG das Mitbestimmungsrecht nicht ein (BAG, Beschluss v. 19.2.1991, 1 ABR 31/90[1]; BAG, Beschluss v. 17.11.1998, 1 ABR 12/98[2]). Allerdings hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts angedeutet, dass die Ermächtigung des Arbeitgebers (in einer Rahmenbetriebsvereinbarung) zur einseitigen Festlegung ausnahmsweise für vorsorgliche Regelungen bei Eilfällen zulässig sein kann (BAG, Beschluss v. 8.6.2004, 1 ABR 4/03[3]).

 
Praxis-Beispiel

Unerwartet erhält der Betrieb einen eilig zu erledigenden Großauftrag. Zur Anordnung der erforderlichen Überstunden bedarf es einer Einigung mit dem Betriebsrat, § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. In solchen Fällen eignet sich eine formlose Regelungsabrede. Der Arbeitgeber ist aber nicht berechtigt, vorläufig einseitige Anordnungen zu treffen. Arbeitgeber sind daher gut beraten, im Vorfeld derartige Fälle über Rahmenvereinbarungen zu regeln.[4] Sollte dies nicht gelingen und hilft sich der Arbeitgeber in der Zwangslage mit einseitigen Anordnungen, droht ihm ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats. Das Gericht muss aber bei der Prüfung dieses Eilantrags die Eilsituation berücksichtigen.[5] Ferner ist zu berücksichtigen, ob der Arbeitgeber den Versuch des Abschlusses einer Rahmenregelung versucht hat und ob dies am Widerstand des Betriebsrats gescheitert ist. Zudem kann der Betriebsrat aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) gehalten sein, die vorläufige Maßnahme zu dulden. Dieser Anspruch wäre quasi die Kehrseite zum allgemeinen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei Verletzung der Mitbestimmungsrechte[6] sowie BAG, Beschluss v. 3.5.1994, 1 ABR 24/93[7]; BAG, Beschluss v. 16.6.1998, 1 ABR 68/97[8]; BAG, Beschluss v. 26.7.2005, 1 ABR 29/04[9] und könnte auch im Weg der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden. Ob dies allerdings von der Arbeitsgerichtsbarkeit ebenfalls so gesehen wird, bleibt abzuwarten.[10]

 

Rz. 15

In echten Notfällen entfallen allerdings die Mitbestimmungsrechte. In Abgrenzung zum Eilfall ist darunter eine plötzliche, nicht voraussehbare und schwerwiegende Situation zu verstehen, die zur Verhinderung nicht wieder gutzumachender Schäden zu unaufschiebbaren Maßnahmen zwingt. Das BAG spricht von "Extremsituationen" (BAG, Beschluss v. 2.3.1982, 1 ABR 74/79).[11]

 

Rz. 15a

Die Betriebsparteien können jedoch für Eil- und Notfälle geeignete Rahmenregelungen treffen; siehe auch BAG, Beschluss v. 8.6.2004, 1 ABR 4/03[12], wonach die Ermächtigung des Arbeitgebers zur einseitigen Festlegung ausnahmsweise für vorsorgliche Regelungen bei Eilfällen gegeben sein kann.

 
Praxis-Beispiel

(entnommen aus dem Sachverhalt von BAG, Beschluss v. 21.1.2003, 1 ABR 9/02[13])

§ 1 Grundsatz:

Zur Aufrechterhaltung des (…)Betriebs in Not-, Eil- und außerordentlichen Fällen haben sich die o. g. Betriebspartner darüber verständigt, eine vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit ausnahmsweise ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG anordnen zu können.

§ 2 Not-, Eil- und außerordentliche Fälle:

(1) Unter Not-, Eil und außerordentlichen Fällen im Sinne des § 1 sind insbesondere nachstehende Ereignisse zu verstehen: Unfälle, Brände und Katastrophen mit Einfluss auf den (…) betrieb; (…); plötzliche Personalausfälle infolge kurzfristiger Krankmeldungen, die eine kurzfristige Änderung in der Personaldisposition innerhalb von 24 Stunden erfordern (weitere Eilfälle werden ausgeführt).

(2) Ein Not-, Eil- und außerordentlicher Fall ist gegeben, wenn der Umstand oder Anlass, der zu einem solchen Ereignis führt, 3 Werktage und weniger vor dem Zeitpunkt der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit eintritt bzw. bekannt geworden ist.

§ 3 Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats:

(1) In Fällen des § 2 wird, wenn anders nicht möglich, ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG die Verkürzung oder Verlängerung angeordnet. Die Zustimmung des Betriebsrats gilt als im Voraus erteilt.

(2) Der Betriebsrat ist jedoch unverzüglich, spätestens innerhalb von 3 Werktagen nach dem Eintreten bzw. Bekanntwerden des Ereignisses unter Angabe der Umstände und Gründe zu informieren.

(3) Für die Information des Betriebsrats ist der/die Mitarbeiter/in verantwortlich, der/die die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit angeordnet hat.

[1] NZA 1991, 609.
[2] NZA 1999, 662.
[3] NZA 2005, 227; s. unter Rz. 56.
[4] S. dazu oben Rz. 10.
[5] ErfK/Hana...

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