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Grundsätzlich verbietet § 7 AGG eine unterschiedliche Behandlung der Beschäftigten wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Weltanschauungsgemeinschaft. Die Vorschrift des § 9 AGG macht aber von der in der Richtlinie 2000/78/EG[1] eröffneten Möglichkeit Gebrauch, bereits geltende Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten beizubehalten, die bisher schon eine Ungleichbehandlung zugelassen haben. Im Ergebnis erlaubt es damit die Regelung des § 9 AGG, den Status quo der Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften aufrechtzuerhalten, die sich in weiten Teilen außerhalb des Diskriminierungsschutzes bewegen.

 
Praxis-Beispiel

Die Leiterin eines katholischen Kindergartens oder die Angestellte einer Caritasgeschäftsstelle darf bei Heirat mit einem geschiedenen Mann entlassen werden (so auch BAG, Urteil/Beschluss v. 25.4.1978, AP Nr. 2 zu Art. 140 GG; BAG, Urteil/Beschluss v. 14.10.1980, AP Nr. 7 zu Art. 140 GG).

Allerdings hat das BAG zwischenzeitlich diese Rechtsprechung etwas gelockert. Bei einer Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen (wie z. B. die Wiederheirat eines Geschiedenen) muss abgewogen werden zwischen dem Recht der Religionsgemeinschaft und dem Recht des Arbeitnehmers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Dieses Abwägungsgebot folgt auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, 3.2.2011, 18136/02). Zwar liegt in einer Kündigung durch einen katholischen Arbeitgeber wegen Wiederverheiratung grundsätzlich nach Ansicht des BAG auch weiterhin keine unzulässige Diskriminierung, allerdings ist im Einzelfall abzuwägen, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht doch zumutbar ist, z. B. weil der Arbeitgeber in vergleichbaren Fällen keine Kündigung ausgesprochen hat (s. ausführlich zur Frage der Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen BAG, Urteil v. 8.9.2011, 2 AZR 543/10). Zwischenzeitlich hat der EuGH diese Rechtsprechung weiter präzisiert. Nach der jüngsten Rechtsprechung (s. EuGH, Urteil v. 11.9.2018, C-68/17) ist die Kündigung eines katholischen Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen Wiederheirat voraussichtlich rechtswidrig. Nach Ansicht des EuGH darf der Arbeitgeber die Einhaltung von kirchlichen Glaubensgrundsätzen nur dann verlangen, wenn sie für die konkrete Tätigkeit wesentlich und gerechtfertigt sind.

Die Frage, ob ein Unternehmen der Privatwirtschaft das Tragen auffälliger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen am Arbeitsplatz verbieten kann, oder ob er damit gegen das Diskriminierungsverbot verstößt, hat das BAG jüngst dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt (s. BAG, Beschluss v. 30.1.2019, 10 AZR 299/18). Im konkreten Fall geht es um die Untersagung eines Kopftuches gegenüber einer Verkaufsberaterin und Kassiererin. Die Klägerin beruft sich auf ihre Religionsfreiheit und ist der Meinung, wegen ihrer Religion diskriminiert zu werden, die Beklagte beruft sich auf ihre unternehmerische Freiheit und den Schutz der negativen Religionsfreiheit ihrer Kunden und Arbeitnehmer.

[1] Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. EG Nr. L 303 S. 16.

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