Rz. 9

Häufig wird bei Kündigungsschutzklagen nicht nur über das Vorliegen von Kündigungsgründen nach § 1 KSchG gestritten. Vielmehr werden zugleich weitere Unwirksamkeitsgründe geltend gemacht.

 

Rz. 10

Die Parteien gehen dabei nicht selten von folgendem Verständnis der Auflösungsmöglichkeit aus:

 

Rz. 11

In einem 1. Schritt wird die Unwirksamkeit der Kündigung geprüft. Ein Unwirksamkeitsgrund genügt. Ist die Kündigung unwirksam, wird beim Auflösungsantrag geprüft, ob ein Auflösungsgrund vorliegt. Dieses vereinfachende Verständnis verkennt jedoch, dass der Auflösungsantrag an eine sozialwidrige Kündigung anknüpft. Hieraus ergeben sich für den Auflösungsantrag von Arbeitnehmer und Arbeitgeber unterschiedliche Konsequenzen.

 

Rz. 12

Die Unwirksamkeit einer Kündigung aus sonstigen Gründen steht dem Auflösungsantrag eines Arbeitnehmers nicht entgegen, wenn die Kündigung auch sozialwidrig ist.

 
Praxis-Beispiel

Eine aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochene Kündigung ist nach § 17 MuSchG unwirksam. Die Frage, ob betriebsbedingte Gründe vorliegen, muss das Arbeitsgericht im Rahmen der Klage nach § 4 Satz 1 KSchG nicht prüfen.

Stellt die Arbeitnehmerin einen Auflösungsantrag, hat das Arbeitsgericht nicht nur zu prüfen, ob ein Auflösungsgrund vorliegt. Vielmehr hat es im Rahmen des Auflösungsantrags bis hin zu einer Beweisaufnahme zu prüfen, ob die Kündigung auch sozial ungerechtfertigt nach § 1 KSchG war. Ist die Kündigung nach den §§ 1 Abs. 2 und 3 KSchG sozial gerechtfertigt und nur nach § 17 MuSchG unwirksam, ist der Auflösungsantrag unbegründet.

Diese gebotene "hypothetische" Prüfung durch das Gericht ist den Parteien einerseits schwer vermittelbar und kann andererseits die Vergleichsbereitschaft fördern.

 

Rz. 13

Nach der in der Literatur allerdings umstrittenen Auffassung des BAG kann der Arbeitgeber einen Auflösungsantrag nicht stellen, wenn die Kündigung unabhängig von der Sozialwidrigkeit bereits aus anderen, den Arbeitnehmer schützenden Normen unwirksam ist.[1] Auch nach den zum 1.1.2004 erfolgten Änderungen des KSchG hält das BAG ausdrücklich an seiner Rechtsprechung fest.[2] Für die Auffassung des BAG spricht, dass über den Auflösungsantrag des Arbeitgebers ein Arbeitnehmer nicht den besonderen Kündigungsschutz aus anderen Gründen verlieren soll. Die weitergehend vorgenommene Differenzierung zwischen Unwirksamkeitsgründen als Folge des Verstoßes gegen eine Schutznorm des Arbeitnehmers und sonstigen Unwirksamkeitsgründen[3] ist für die Praxis von geringer Bedeutung, da es sich bei den typischen weiteren Unwirksamkeitsgründen wie den §§ 174, 168 SGB IX, § 15 KSchG, § 17 MuSchG oder § 18 BEEG um Schutznormen zugunsten des Arbeitnehmers handelt und es in dem Fall, in dem das BAG differenziert hat, um das Vetorecht einer Auslandsvertretung bei einer Kündigung im Auslandsschuldienst ging.[4] Auch bei § 102 BetrVG handelt es sich um eine entsprechende Norm, da die Anhörung als Wirksamkeitsvoraussetzung auch dem Schutz des betroffenen Arbeitnehmers dient.[5] Da die §§ 623, 174 BGB den Arbeitnehmer als Empfänger einer Kündigung schützen, steht auch eine Unwirksamkeit einer Kündigung aus diesen Gründen einem Auflösungsantrag des Arbeitgebers entgegen. Ebenso dienen bei Massenentlassungen die Konsultationen mit Arbeitnehmervertretern sowie nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG auch die Unterrichtung der Arbeitsverwaltung dem Schutz der Arbeitnehmer[6], sodass Gleiches bei der Unwirksamkeit der Kündigung wegen Verstoßes gegen die Vorschriften des § 17 KSchG gilt[7]. Ist eine Kündigung sittenwidrig oder ist diese als maßregelnde Kündigung nach § 612a BGB unwirksam[8], kann der Arbeitgeber ebenfalls keinen Auflösungsantrag stellen[9].

 
Hinweis

Der Arbeitgeber kann einen Auflösungsantrag nur dann stellen, wenn eine Kündigung ausschließlich sozialwidrig ist.

Stellt der Arbeitgeber einen Auflösungsantrag, hat das Arbeitsgericht daher zu prüfen, ob sonstige, vom Arbeitnehmer geltend gemachte Unwirksamkeitsgründe vorliegen. Liegt ein solcher Unwirksamkeitsgrund vor, so kann auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsgericht das Arbeitsverhältnis auch dann nicht auflösen, wenn ein Auflösungsgrund nach § 9 KSchG offensichtlich vorliegt. Das Vorliegen eines sonstigen Unwirksamkeitsgrundes führt zur Unbegründetheit des Auflösungsantrags. Ein Anspruch der Parteien auf eine bestimmte Prüfungsreihenfolge besteht daher nicht.[10] Bei Vorliegen der Voraussetzungen bleibt dem Arbeitgeber die Möglichkeit des Ausspruchs einer weiteren vorsorglichen außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung.

Ist das Recht eines Arbeitnehmers, sich nach Zugang der Kündigung auf eine Schwerbehinderung zu berufen, verwirkt[11], steht eine später mitgeteilte Schwerbehinderung einem Auflösungsantrag des Arbeitgebers nicht entgegen.[12]

 

Rz. 14

Eine Einschränkung gilt, wenn der Arbeitgeber zur Begründung der Kündigung mehrere Kündigungsgründe aufführt und der sonstige Unwirksamkeitsgrund sich nur auf einen Kündigungsgrund bezieht.[13]

 
Praxis-Beispiel

Eine Kündigung wird w...

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