Rz. 59

Bei der Anwendung des § 17 Abs. 1 KSchG ist zunächst die Zahl der Arbeitnehmer zu ermitteln, die regelmäßig im maßgeblichen Betrieb beschäftigt sind. Sodann ist die Zahl der Arbeitnehmer festzustellen, die entlassen werden sollen.

4.3.1 Arbeitnehmerbegriff

 

Rz. 60

Erfasst werden alle unter den allgemeinen nationalen Arbeitnehmerbegriff fallenden Personen (vgl. § 611a BGB), wie Arbeiter, Angestellte, Auszubildende und Volontäre, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig sind.[1] Auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit kommt es nicht an.[2] Teilzeitbeschäftigte zählen jeweils zu 1,0 mit (arg. e contr. § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG). Grds. ist § 17 Abs. 1 KSchG auf freie Mitarbeiter oder arbeitnehmerähnliche Personen nicht anwendbar.[3] Allerdings ist zu beachten, dass die MERL angesichts ihres Harmonisierungszwecks von einem autonomen und einheitlich auszulegenden unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ausgeht. Darunter fällt z. B. auch eine Person, die im Rahmen eines Praktikums ohne Vergütung durch ihren Arbeitgeber, jedoch finanziell gefördert und anerkannt durch die für Arbeitsförderung zuständigen öffentlichen Stellen, in einem Unternehmen praktisch mitarbeitet, um Kenntnisse zu erwerben oder zu vertiefen oder eine Berufsausbildung zu absolvieren.[4]

[1] HWK/Molkenbur, § 17 KSchG Rz. 3.
[2] BAG, Urteil v. 13.3.1969, 2 AZR 157/68, AP KSchG § 15 Nr. 10.
[3] APS/Moll, § 17 KSchG Rz. 15; HWK/Molkenbur, § 17 KSchG Rz. 3; zum Begriff der arbeitnehmerähnlichen Person BAG, Urteil v. 15.11.2005, 9 AZR 626/04, NJOZ 2007, 5250, Rz. 19 ff.; v. Hase/Lembke, BB 1997, 1095.
[4] EuGH, Urteil v. 9.7.2015, C-229/14 (Balkaya), NZA 2015, 861, Rz. 33 f., 49 ff.

4.3.2 Leiharbeitnehmer

 

Rz. 61

Noch nicht geklärt ist, ob im Rahmen der Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG Leiharbeitnehmer im Einsatzbetrieb des Entleihers zu berücksichtigen sind. Die mit Wirkung ab dem 1.4.2017 in Kraft getretenen Neuregelungen des § 14 Abs. 2 Sätze 4 bis 6 AÜG[1] beantworten diese Frage für das KSchG nicht. Teilweise – insbesondere auch von der BA – wird dies verneint und ohne nähere Diskussion davon ausgegangen, Leiharbeitnehmer seien allein dem Verleiherbetrieb zuzuordnen.[2]

 

Rz. 62

Allerdings hat das BAG für die Fälle des drittbezogenen Personaleinsatzes die früher vertretene Zwei-Komponenten-Lehre[3] – wonach die Arbeitnehmereigenschaft i. S. d. BetrVG und der Schwellenwertnormen nicht nur die Eingliederung der jeweiligen Person in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers, sondern auch das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebs- bzw. Unternehmensinhaber aufgrund eines mit diesem abgeschlossenen Arbeitsvertrags voraussetzt – mittlerweile aufgegeben[4] und zählt Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb mit, sofern Sinn und Zweck des jeweiligen gesetzlichen Schwellenwerts dies gebieten.[5] Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, regelmäßig im Entleiherbetrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer im Rahmen des § 17 Abs. 1 KSchG mitzuzählen.

 

Rz. 63

Auch der 1. Senat des BAG schien dieser Auffassung in der Entscheidung v. 18.10.2011 zuzuneigen. Im zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um die Frage, ob in einem Betrieb mit 20 Arbeitnehmern und einer für längere Zeit eingesetzten Leiharbeitnehmerin die betriebsbedingte Kündigung von insgesamt 11 Arbeitnehmern die Pflicht zur Verhandlung eines Interessenausgleichs und Sozialplans auslöst, welche nach § 111 Satz 1 BetrVG bei geplanten Betriebsänderungen "in Unternehmen mit i. d. R. mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern" besteht. Das BAG entschied, nach § 7 Satz 2 BetrVG seien wahlberechtigte Leiharbeitnehmer bei der Feststellung der Belegschaftsstärke nach § 111 Satz 1 BetrVG mitzuzählen, wenn sie zu den "in der Regel" Beschäftigten gehörten.[6] Außerdem führte das BAG aus, die betriebsbedingte Kündigung von 11 Arbeitnehmern[7] in einem Betrieb mit 21 Arbeitnehmern stelle eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG dar, weil "die Zahlen- und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG deutlich überschritten" seien[8]. Anders als die 1. Instanz – die explizit davon ausging, der Schutzzweck des § 17 Abs. 1 KSchG erfordere nicht die Einbeziehung von Leiharbeitnehmern bei der Frage, ob es sich um eine anzeigepflichtige Entlassung handelt[9] – zählte der 1. Senat des BAG die Leiharbeitnehmerin auch bei der Bestimmung der Betriebsgröße des Entleiherbetriebs i. S. d. Zahlenstaffel des § 17 Abs. 1 KSchG – die bei § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG relevant ist – mit.

 

Rz. 64

Richtigerweise sind Leiharbeitnehmer jedoch unter Berücksichtigung der ratio legis im Rahmen des § 17 Abs. 1 KSchG sowohl bei der Bestimmung der Betriebsgröße des Entleiherbetriebs als auch bei der Anzahl der geplanten Entlassungen nicht zu berücksichtigen.[10] Dies ergibt sich aus Folgendem: Der Wortlaut der Norm ist indifferent. Er stellt nur auf "Arbeitgeber" und "Arbeitnehmer" ab. Arbeitnehmer des Arbeitgebers können sowohl die beim Arbeitgeber (Entleiher) angestellten Arbeitnehmer sein als auch die dort eingesetzten Leiharbeitnehmer. Denn Leiharbeitnehmer stehen nach Auffassun...

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