Rz. 848

Schwerbehinderte Arbeitnehmer sind in besonderem Maße sozial schutzwürdig. Die Definition der Schwerbehinderteneigenschaft findet sich im SGB IX. Dort ist in den §§ 168 ff. auch der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer geregelt. § 2 SGB IX enthält die Begriffsbestimmungen sowohl für die einfache Behinderung (Abs. 1), als auch die Schwerbehinderung (Abs. 2). Eine Schwerbehinderung ist im Rahmen der Sozialauswahl zwingend zugunsten des betroffenen Arbeitnehmers zu berücksichtigen (BAG, Urteil v. 18.1.1990, 2 AZR 357/89[1]). Maßgeblich ist das Bestehen einer Schwerbehinderung bzw. das Vorliegen eines Antrags auf Feststellung der Schwerbehinderung im Zeitpunkt der Kündigung. Aus § 151 SGB IX ergibt sich, dass Arbeitnehmer, die einem Schwerbehinderten gleichgestellt sind, ebenfalls in besonderem Maße schutzwürdig und entsprechend zu berücksichtigen sind.

 

Rz. 849

Die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers bedarf der Zustimmung des Integrationsamtes. Ist dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des zu kündigenden Arbeitnehmers nicht bekannt und weist der Arbeitnehmer ihn auch nicht innerhalb eines Monats nach Zugang der Kündigung auf das Vorliegen einer Schwerbehinderung hin, so ist die Schwerbehinderung kündigungsschutzrechtlich nicht zu beachten (BAG, Urteil v. 7.3.2002, 2 AZR 612/00[2]). Informiert der Arbeitnehmer den Arbeitgeber über seine Schwerbehinderung nach Kündigung innerhalb eines Monats, ist die Kündigung – abgesehen von den Ausnahmefällen des § 173 SGB IX – bereits aufgrund der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam, auf eine fehlerhafte Sozialauswahl kommt es dann nicht mehr an. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber es trotz Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers unterlassen hat, die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen.[3] Der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung (gem. § 152 SGB IX) reicht zur Begründung des in den §§ 168 ff. SGB IX normierten Sonderkündigungsschutzes aus, wenn der Arbeitnehmer später als Schwerbehinderter anerkannt wird.[4] Hat der Arbeitnehmer einen Antrag auf Feststellung seiner Schwerbehinderung gestellt, so gilt das zum Vorliegen einer Schwerbehinderung Gesagte entsprechend. Unter den Voraussetzungen des § 173 SGB IX ist der Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte ausgeschlossen.

 

Beispiel

Kündigt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der einen Antrag auf Feststellung seiner Schwerbehinderung gestellt hat und für den keiner der Ausschlussgründe des § 173 SGB IX greift, und hat der Arbeitnehmer von der Antragstellung keine Kenntnis, so besteht für den Arbeitnehmer bis zur Feststellung seiner Schwerbehinderung kein Kündigungsschutz. Stellt das zuständige Versorgungsamt nach Ausspruch der Kündigung die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers fest, kann sich dieser gegenüber dem Arbeitgeber auf seine Schwerbehinderung und die fehlende Zustimmung des Integrationsamtes berufen, mit der Folge, dass die ausgesprochene Kündigung unwirksam ist.

 

Rz. 850

Um die Schwerbehinderung eines oder mehrerer seiner Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl berücksichtigen zu können, muss der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung bzw. dem Antrag auf deren Feststellung Kenntnis haben. Zur Vermeidung unnötiger Kündigungsschutzprozesse liegt es daher in seinem eigenen Interesse, die in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer nach dem Vorliegen bzw. dem Grad einer Schwerbehinderung zu fragen, um im Anschluss eine korrekte Auswahlentscheidung treffen zu können. Schweigt der Arbeitnehmer oder verweigert er die Auskunft über seine Schwerbehinderteneigenschaft, so kann er sich in einem angestrebten Kündigungsschutzprozess nicht auf seine Schwerbehinderung berufen. Insofern liegt es auch im Interesse des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber umfassend und frühzeitig über eine bestehende Schwerbehinderung zu informieren.

 

Rz. 851

Im Zusammenhang mit der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers ist kündigungsschutzrechtlich zwischen dem Sonderkündigungsschutz gem. der §§ 168 ff. SGB IX einerseits, und der Schwerbehinderteneigenschaft als maßgebliches Kriterium bei der Sozialauswahl andererseits zu unterscheiden. In den meisten Fällen wird die Schwerbehinderung im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung einheitlich Berücksichtigung finden: Denn nur wenn ein schwerbehinderter Arbeitnehmer aufgrund der Zustimmung des Integrationsamtes überhaupt gekündigt werden darf, kann seine Behinderung auch im Rahmen der Sozialauswahl berücksichtigt werden. Denkbar ist aber auch der Fall, dass dem Arbeitnehmer der Sonderkündigungsschutz gem. der §§ 168 ff. SGB IX nicht zugutekommt, seine Schwerbehinderung im Rahmen der Sozialauswahl aber dennoch zu berücksichtigen gewesen wäre. Eine solche – recht unwahrscheinliche – Konstellation kann sich ergeben, wenn der Arbeitnehmer kurz vor Ausspruch der Kündigung einen Antrag auf Feststellung seiner Schwerbehinderung gestellt hat, der Sonderkündigungsschutz der §§ 168 ff. SGB IX aber deshalb nicht greift, weil das zuständige V...

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