Rz. 423

Mit Ausspruch der Abmahnung verzichtet der Arbeitgeber regelmäßig konkludent auf ein Kündigungsrecht wegen der Gründe, die Gegenstand der Abmahnung waren (BAG, Urteil v. 19.11.2015, 2 AZR 217/15[1]). Nach Erteilung der Abmahnung ist daher eine weitere Vertragspflichtverletzung erforderlich, die ihrerseits Grund für die ausgesprochene verhaltensbedingte Kündigung ist. Der Arbeitgeber gibt durch eine Abmahnung kund, er sehe das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört an, dass ihm eine weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer nicht mehr möglich sei. Er zeigt, dass eine negative Prognose noch nicht möglich ist. Eine spätere Kündigung kann daher nicht allein auf die abgemahnten Gründe gestützt werden. Auf diese kann nur zurückgegriffen werden, wenn weitere kündigungsrechtlich erhebliche Umstände eintreten oder bereits vorlagen, dem Arbeitgeber aber erst nachträglich bekannt werden (BAG, Urteil v. 10.11.1988, 2 AZR 215/88[2]).

 

Rz. 424

Ein Verzicht auf die Kündigung ist anzunehmen, wenn die Vertragsrüge deutlich und unzweifelhaft zu erkennen gibt, dass der Arbeitgeber den vertraglichen Pflichtverstoß damit als ausreichend sanktioniert und die Sache als damit erledigt ansieht (BAG, Urteil v. 2.2.2006, 2 AZR 222/05[3]). Treten weitere Gründe hinzu und war die Abmahnung daher vergeblich oder werden weitere Gründe erst nach Erteilung der Abmahnung bekannt, sind diese von einem Kündigungsverzicht nicht erfasst (BAG, Urteil v. 26.11.2009, 2 AZR 751/08[4]). Diese Grundsätze gelten auch für eine Abmahnung, die in der Wartezeit des § 1 KSchG ausgesprochen wird (BAG, Urteil v. 13.12.2007, 6 AZR 145/07[5]).

 

Beispiel

Kein eindeutiger Verzicht auf das Kündigungsrecht wegen eines bestimmten Fehlverhaltens liegt in einem mit "Abmahnung" überschriebenen Schreiben, welches wie folgt gegliedert ist:

  1. Sachverhaltsschilderung
  2. Rechtliche Wertung
  3. Hinweis auf rechtliche Konsequenzen mit folgendem Wortlaut: "Sie wurden über Ihr Fehlverhalten informiert. Der Betrieb behält sich weitere rechtliche Schritte… vor" (BAG, Urteil v. 6.3.2003, 2 AZR 128/02[6]).
 

Rz. 425

Ist der Arbeitnehmer wegen gleichartiger Pflichtverletzung schon einmal abgemahnt worden und verletzt er seine Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch weiterhin zu Vertragsstörungen kommen. Dabei ist nicht erforderlich, dass es sich um identische Pflichtverletzungen handelt; es reicht aus, dass es sich um gleichartige Pflichtverletzungen handelt.

Eine gleichartige Vertragspflichtverletzung liegt vor, wenn die jeweiligen Pflichtverletzungen aus demselben Bereich stammen und somit Abmahnung und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen (BAG, Beschluss v. 10.12.1992, 2 ABR 32/92[7]; BAG, Urteil v. 13.12.2007, 2 AZR 818/06[8]) bzw. wenn sie in einem inneren Bezug zu der der Kündigung zugrunde liegenden negativen Zukunftseinschätzung steht (BAG, Urteil v. 16.9.2004, 2 AZR 406/03[9]). Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer aufgrund der Abmahnung erkennen konnte, der Arbeitgeber werde weiteres Fehlverhalten nicht hinnehmen, sondern ggf. mit einer Kündigung reagieren (BAG, Urteil v. 9.6.2011, 2 AZR 323/10[10]).

 
Hinweis

Gleichartig sind z. B.

  • unpünktliches Erscheinen, vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes, unentschuldigtes Fehlen oder Überziehung der Pausen,
  • unberechtigtes Fehlen und berechtigtes, aber nicht angezeigtes Fernbleiben von der Arbeit,
  • verbale sexuelle Belästigung und körperlicher Übergriff,
  • Verstoß gegen Berichts- und Besuchspflichten und verspätete Anmeldung zu Tagungen, nicht umgehende Terminvereinbarungen, verspätete Vorlage von Übersichten.
[1] AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75.
[2] AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 3.
[3] AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 52.
[4] AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61.
[5] AP KSchG 1969 § 1 Nr. 83.
[6] AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 30.
[7] AP ArbGG 1979 § 87 Nr. 4.
[8] AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64.
[9] AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50.
[10] AP BGB § 626 Nr. 236.

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