Rz. 371

Ein an sich vertragspflichtwidriges Verhalten ist nur vorwerfbar, wenn es rechtswidrig ist. Ein Verhalten ist dann gerechtfertigt, d. h. es stellt sich nicht als objektiv pflichtwidriges Verhalten dar, wenn ein rechtfertigender Grund vorliegt.

 

Rz. 372

Rechtfertigungsgründe sind u. a. die Anlässe, die dem Arbeitnehmer ein Zurückbehaltungs- oder Leistungsverweigerungsrecht geben. Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. So kann der Arbeitnehmer berechtigt sein, seine Arbeitsleistung zu verweigern, wenn der Arbeitgeber oder einer seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) gegen vertragliche oder gesetzliche Vorgaben verstößt. Hierzu kann ein Verstoß gegen die nach § 241 Abs. 2 BGB normierte vertraglich geschuldete Rücksichtnahmepflicht ausreichen, z. B. weil die Gesundheit des Arbeitnehmers oder dessen Persönlichkeitsrecht in erheblicher Weise verletzt wird (z. B. Mobbing, hierzu BAG, Urteil v. 22.10.2015, 2 AZR 569/14[1]) und mit weiteren Verletzungen zu rechnen ist. Nach § 273 Abs. 1 BGB darf der Schuldner, der aus dem gleichen Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat – sofern sich aus dem Schuldverhältnis nichts anderes ergibt –, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird.

 

Rz. 373

Voraussetzung ist stets, dass das Zurückbehaltungsrecht nicht rechtsmissbräuchlich geltend gemacht wird. Ferner muss der Arbeitnehmer vor der Ausübung unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde das Zurückbehaltungsrecht aufgrund einer ganz bestimmten, konkreten Gegenforderung ausüben. Nur so wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und zu erfüllen (BAG, Urteil v. 13.3.2008, 2 AZR 88/07[2]). Dem Arbeitnehmer kann z. B. ein Recht zustehen, die Arbeitsleistung zurückzuhalten, wenn der Arbeitgeber erheblich mit seiner Vergütungsverpflichtung in Verzug geraten ist. Lediglich geringe oder kurze Zahlungsverzögerungen lassen ein Zurückbehaltungsrecht dagegen nicht entstehen (BAG, Urteil v. 25.10.2007, 8 AZR 917/06[3]: 2 Monatsvergütungen Rückstand).

 

Beispiel

Ein Arbeitgeber geriet in Rückstand mit der Zahlung von 4 Monatsgehältern i. H. v. insgesamt ca. 7.000 EUR. Anderweitige Sicherungsmöglichkeiten des Anspruchs lagen nicht vor. Auf eine Abmahnung des Arbeitnehmers reagierte der Arbeitgeber nicht. Die Kündigung wegen Arbeitsverweigerung aufgrund des vom Arbeitnehmer daraufhin geltend gemachten Zurückbehaltungsrechts an seiner Arbeitsleistung war unwirksam (BAG, Urteil v. 9.5.1996, 2 AZR 387/95[4]).

 

Rz. 374

Ein Zurückbehaltungsrecht besteht ferner bei Nichterfüllung gesetzlicher oder vertraglicher Schutzpflichten (§ 618 Abs. 1 BGB), die vielfach durch Normen des Arbeitsschutzrechts konkretisiert werden. Hiernach hat der Arbeitgeber u. a. Räume, Vorrichtungen und Gerätschaften so einzurichten und zu unterhalten, dass der Arbeitnehmer gegen Gefahr für Leib und Leben geschützt ist. Allerdings ist zu beachten, dass selbst dann, wenn der Arbeitgeber seinen Pflichten gemäß § 618 Abs. 1 BGB i. V. m. den Arbeitsschutznormen nicht genügt, die Zuweisung eines Arbeitsplatzes gleichwohl billigem Ermessen entsprechen kann. Voraussetzung ist, dass es sich um nur geringfügige oder kurzzeitige Verstöße handelt, die keinen nachhaltigen Schaden bewirken können (BAG, Urteil v. 28.6.2018, 2 AZR 436/17[5]: Unzureichende Büroausstattung und Anweisung an die Arbeitnehmerin, das Büro auf Kosten des Arbeitgebers auszustatten).

 

Beispiel

Der Anweisung des Arbeitgebers, in einem Gebäude mit Asbestbelastung tätig zu sein, muss der Arbeitnehmer nicht nachkommen (BAG, Urteil v. 19.2.1997, 5 AZR 982/94[6]; BAG, Urteil v. 2.2.1994, 5 AZR 273/93[7]).

 

Rz. 375

Mitbestimmungswidriges Verhalten des Arbeitgebers kann einen Anspruch auf Leistungsverweigerung ergeben, wenn der Betriebsrat sich auf die Verletzung seines Mitbestimmungsrechts beruft und die Aufhebung der Maßnahme verlangt. Dabei führt die Verletzung kollektivrechtlicher Normen aber nur dann zur Unwirksamkeit der individualrechtlichen Maßnahme und damit zum Leistungsverweigerungsrecht, wenn dies Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts zwingend erfordern. In personellen Angelegenheiten ist zu differenzieren: So ist zwar eine Versetzung ohne die nach § 99 BetrVG notwendige Zustimmung des Betriebsrats unwirksam (BAG, Urteil v. 5.4.2001, 2 AZR 580/99[8]), nicht aber eine ohne Zustimmung des Betriebsrats erfolgte Einstellung (BAG, Beschluss v. 22.3.1983, 1 ABR 49/81[9]). Es ist insbesondere auch bei der Frage der Ein- und Umgruppierung kein Mitbestimmungsrecht betroffen, sondern "nur" ein Mitbeurteilungsrecht, sodass der Arbeitnehmer in seiner individualrechtlichen Position nicht berührt wird und ihm daher allein wegen mitbestimmungswidri...

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