Rz. 306

Im Bereich der verhaltensbedingten Kündigung stellt das Erfordernis einer vorherigen erfolglosen Abmahnung die mit Abstand wichtigste Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dar. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG scheidet eine verhaltensbedingte Kündigung aus, wenn schon eine Abmahnung als milderes Mittel und Reaktion vonseiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken.[1]

Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass das Verhalten eines pflichtwidrig handelnden Arbeitnehmers schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann.[2]

 

Rz. 307

Die Abmahnung kommt nicht nur als milderes Mittel im Vergleich zu einer verhaltensbedingten Kündigung in Betracht, sondern dient darüber hinaus der Verbesserung der tatsächlichen Grundlagen für die auch bei der verhaltensbedingten Kündigung erforderliche Negativprognose.[3] Regelmäßig wird die erforderliche Wahrscheinlichkeit zukünftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses nur dann festgestellt werden können, wenn der Arbeitnehmer schon auf eine zuvor ausgesprochene Abmahnung nicht mit der grundsätzlich zu erwartenden Verhaltensänderung reagiert hat. Der Abmahnung kommt insoweit eine Doppelrolle zu.[4]

 

Rz. 308

Erforderlich ist eine Abmahnung nach § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB sowohl vor dem Ausspruch einer ordentlichen als auch einer außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer wegen einer Vertragsverletzung des anderen Teils (Haupt- oder Nebenpflicht).

 

Rz. 309

Entbehrlich ist eine Abmahnung ausnahmsweise nur dann, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht (etwa weil erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer gar nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten[5]), oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist[6].

[1] Siehe nur BAG, Urteil v. 15.12.2016, 2 AZR 42/16.
[2] BAG, Urteil v. 31.7.2014, 2 AZR 434/13.
[3] Überwiegend wird insoweit von einer "Objektivierung der Prognose" gesprochen, vgl. BAG, Urteil v. 23.6.2009, 2 AZR 283/08; LKB/Krause, § 1 KSchG Rz. 479; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 199; treffender BeckOK ArbR/Rolfs, § 1 KSchG Rz. 235.
[4] Näher zur Abmahnung Liebscher, Rz. 399.
[5] Vgl. LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 31.8.2021, 1 Sa 70 öD/21.

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