4.1.5.1 Gesamtbetrachtung

 

Rz. 33

Eine Kündigung kann auf mehrere Gründe gestützt werden. Die Rechtsprechung prüft in diesem Fall zunächst, ob jeder Sachverhalt für sich allein geeignet ist, die Kündigung zu begründen. Wird dies abgelehnt, ist im Weg einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden, ob die einzelnen Kündigungsgründe in ihrer Gesamtheit die außerordentliche Kündigung rechtfertigen. In diese Würdigung werden allerdings nur gleichartige – z. B. mehrere verhaltensbedingte – Gründe einbezogen.[1] Alles andere hieße im Übrigen auch, "Äpfel mit Birnen" zu vergleichen.

 

Beispiel

Für die Frage, welche Gründe gleichartig sind, ist die Unterscheidung, die § 1 Abs. 2 KSchG trifft, hilfreich. Die Begründungen, der Arbeitnehmer sei zum einen in den vergangenen 2 Monaten 12-mal zu spät zur Arbeit erschienen und habe zum anderen zusätzlich 5-mal wegen dringender Arztbesuche die Arbeit erst 2 Stunden später angetreten, können nicht in eine Gesamtwürdigung einbezogen werden. Erstgenannter Grund liegt im Verhalten, zweitgenannter in der Person des Arbeitnehmers (sofern ihm hinsichtlich seiner Arztbesuche kein Vorwurf zu machen ist). Rechtfertigen die Gründe jeweils für sich genommen die Kündigung nicht, ist sie unwirksam.

4.1.5.2 Verziehene, verwirkte und verfristete Gründe

 

Rz. 34

Verziehene, verwirkte und nach Abs. 2 verfristete Kündigungsgründe können für sich genommen keine Kündigung mehr rechtfertigen. Sie können allerdings in die eben beschriebene Gesamtwürdigung einfließen und auf diese Weise einen anderen Kündigungssachverhalt derart untermauern, dass er für eine außerordentliche Kündigung ausreicht.[1]

Eine Ausnahme gilt für sog. Dauertatbestände. In diesen Fällen können sämtliche Tatsachen (meist Vertragsverletzungen des Arbeitnehmers) vollständig herangezogen werden (s. Rz. 78 ff.).

4.1.5.3 Nachschieben von Kündigungsgründen

 

Rz. 35

Da ein Kündigungsgrund dem Erklärenden nicht im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bekannt sein muss (s. Rz. 29), können Kündigungsgründe grds. auch noch im Kündigungsrechtsstreit bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz nachgeschoben werden[1]. Daran hindert auch Abs. 2 selbst dann nicht, wenn der Kündigende nach Bekanntwerden des Grundes länger als 2 Wochen wartet, bis er ihn in den Rechtsstreit einbringt.[2]

Freilich darf der Grund nicht verfristet sein, d. h. er darf dem Kündigenden nicht länger als 2 Wochen vor Zugang der Kündigungserklärung bekannt geworden sein (s. hierzu Rz. 72 ff.).

Allerdings muss der Arbeitgeber, will er Kündigungsgründe nachträglich einführen, den Betriebsrat – sofern vorhanden – regelmäßig erneut anhören.[3]

[1] BAG, Urteil v. 11.4.1985, 2 AZR 239/84, NZA 1986, 674; BAG, Urteil v. 6.9.2007, 2 AZR 264/06, NZA 2008, 1097; ausführlich zum Nachschieben von Kündigungsgründen Gabrys, § 1 KSchG Rz. 312 ff.; Thüsing, § 102 BetrVG, Rz. 61 f.
[2] Das BAG hat in einem BAG, Urteil v. 4.6.1997, 2 AZR 362/96, NZA 1997, 1158, 1159 f., auch eine analoge Anwendung des Abs. 2 abgelehnt.
[3] Hierzu Thüsing, § 102 BetrVG Rz. 61 f.

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