Entscheidungsstichwort (Thema)

Immaterieller Schadensersatz nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG. Kausalzusammenhang zwischen Benachteiligung und Diskriminierungsgrund. Keine Diskriminierung bei krankheitsbedingter Kündigung eines schwerbehinderten Beschäftigten. Wirksame Kündigung bei unterlassenem betrieblichen Eingliederungsmanagement

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann der Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Voraussetzung ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG.

2. Zwischen der benachteiligenden Handlung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Dafür ist nicht erforderlich, dass der betreffende Grund i.S.v. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Ein Kausalzusammenhang ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund i.S.v. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei bloße Mitursächlichkeit genügt.

3. Mit einer Kündigungserklärung bedient sich der Arbeitgeber eines zulässigen Gestaltungsmittels zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, wenn er die Kündigung auf Gründe in der Person des Beschäftigten, konkret die in der Vergangenheit aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten, welche die Befürchtung auch künftiger Fehlzeiten in einem erheblichen Maße begründen, stützt.

4. Das Unterlassen eines vorgeschriebenen betrieblichen Eingliederungsmanagements führt nicht zur Unwirksamkeit einer aufgrund von Krankheitszeiten ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung. Auch sonstige Rechtsfolgen für einen Verstoß gegen § 84 Abs. 2 SGB IX sieht das Gesetz nicht vor.

 

Normenkette

AGG § 15 Abs. 2 S. 1; RL 2000/78/EG; AGG §§ 7, 1; RL 2000/78/EG Art. 5; AGG §§ 3, 15; SGB IX § 84 Abs. 2, § 168

 

Verfahrensgang

ArbG Suhl (Entscheidung vom 01.02.2020; Aktenzeichen 1 Ca 333/20)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 01.02.2020, Az. 1 Ca 333/20, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über diskriminierungsbedingte Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche.

Die Beklagte war seit 01.09.2010 als zusätzliche Betreuungskraft nach § 53c SGB XI für an Demenz erkrankten Patienten für 25 Stunden in der Woche bei der Klägerin beschäftigt. Sie bezog zuletzt ein Bruttomonatsgehalt von 1.033,13 €. Seit 06.09.2016 ist sie bis zum heutigen Tag arbeitsunfähig. Sie leidet seit 2008 an Schwerhörigkeit. Diese wurde seit 2010 mit Hörgeräten versorgt. Zwischenzeitlich ließ das Hörvermögen bis hin zur funktionellen Taubheit beidseits nach. Die Beklagte wurde mit Cochlea-Implantaten links im Juni 2017 und rechts im Juni 2020 versorgt. Zudem leidet sie unter rezidivierendem Schwindel sowie einem Tinnitus aurium beidseits. Zwischenzeitlich wurde auch eine rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig mittelgradig bis schwere Episode) sowie ein chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren diagnostiziert.

Die Beklagte bezieht seit 01.10.2017 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Diese war zunächst befristet bis 30.06.2020, wurde sodann verlängert bis 30.06.2021 und ist nunmehr bis 2025 befristet. Aufgrund der länger andauernden Erkrankung beabsichtigte die Klägerin, die Beklagte zu kündigen. Sie hatte aufgrund eines Schreibens der Bundesagentur für Arbeit vom 23.05.2015 Kenntnis vom Bezug der Erwerbsminderungsrente der Beklagten und stellte mit Schreiben vom 03.01.2020 einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt. Aufgrund der Nachfrage des Integrationsamtes bat die Klägerin mit Schreiben vom 13.01.2020 um Übersendung des Bescheids der Rentenversicherung über den Bezug der vollen Erwerbsminderungsrente. Diesen übersandte die Beklagte am 16.01.2020 an die Klägerin per Fax.

Am 20.01.2020 nahm die Beklagte an einer internen Weiterbildung der Pflegedienstleiterin in ...., Frau ....., teil. Die Beklagte teilte Ihr mit, dass sie zeitnah eine Wiedereingliederung anstrebe und die technischen Möglichkeiten am Arbeitsplatz klären wolle, um notwendige Hilfsmittel zeitnah testen und beantragen zu können. Frau ..... reagierte positiv auf die Absichten der Beklagten.

Am 22.01.2020 fand ein weiteres Gespräch mit der Prokuristin der Klägerin, Frau ...., statt. Die Beklagte wollte auch der Prokuristin die Absicht mitteilen, zeitnah an ihren Arbeitsplatz zurückkehren zu wollen. Die Prokuristin erklärte, dass eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses beabsichtigt sei und die Klägerin die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung beantragt habe. Außerdem verwies die Prokuristin die Beklagte auf die Kosten, die bei einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses für die Klägerin anfallen würden.

Am 24.01.2020 ging bei der Klägerin ein Schreiben der Beklagten vom 20.01.2020 ein. In diesem übersandte sie den geänderten Schwerbehindertenausweis und teilte mit, dass sie im Oktob...

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