Entscheidungsstichwort (Thema)

Empfangsbekenntnis als Beweis für die Zustellung einer Urkunde. Zurückweisung einer Kündigung nach § 174 BGB. Pflichtverletzung bei Arbeitszeitbetrug. Entbehrlichkeit einer Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Empfangsbekenntnis erbringt grundsätzlich den Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung.

2. Nach § 174 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grund unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung muss aber ausdrücklich "wegen" der fehlenden Vollmachtsurkunde erklärt werden. Dies kann sich auch im Wege der Auslegung ergeben, z.B. aus der Begründung oder anderen, dem Kündigenden eindeutig erkennbaren Umständen.

3. Ein Arbeitszeitbetrug, bei dem ein Mitarbeiter vortäuscht, für einen näher genannten Zeitraum seine Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht oder nicht in vollem Umfang der Fall ist, stellt eine besonders schwere Pflichtverletzung dar und erfüllt an sich den Tatbestand des wichtigen Grundes i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB. Dasselbe gilt für den Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber sonst kaum sinnvoll kontrollierbare Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren.

4. Eine Abmahnung ist dann nicht erforderlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist.

 

Normenkette

ZPO § 174 Abs. 2, 4; BGB §§ 174, 180 S. 1, § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2; BPersVG §§ 72, 79 Abs. 1; SGB III §§ 44d, 44h

 

Verfahrensgang

ArbG Suhl (Entscheidung vom 29.07.2020; Aktenzeichen 6 Ca 248/19)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 29.07.2020 - Az. 6 Ca 248/19 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 05.02.2019 sowie um Weiterbeschäftigung, wobei in der Berufungsinstanz nur noch die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung im Streit steht.

Die am 21.02.1962 geborene, geschiedene Klägerin war zunächst ab 05.02.1986 beim Rat des Kreises A... beschäftigt. Mit Wirkung ab dem 14.05.1990 nahm die Klägerin auf Basis des Überleitungsvertrags vom 14./15.05.1990 (Bl. 7/8 d.A.) ihre Tätigkeit in den Diensten der Beklagten als Mitarbeiterin im Arbeitsamt auf. Mit Schreiben der Beklagten vom 28.08.2015 (Bl. 16/17 d.A.) wurde die Klägerin mit Wirkung ab dem 01.01.2016 gemäß § 44g SGB II auf Dauer als Arbeitsvermittlerin dem Jobcenter des Landkreises B... zugewiesen. Das Schreiben enthält den Hinweis, dass die Rechtsstellung der Klägerin als Arbeitnehmerin der Beklagten von dieser Zuweisung unberührt bleibe. Die Klägerin erhielt zuletzt ein monatliches Festgehalt von 4.297,21 € brutto.

Zwischen dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit C... und dem dortigen Personalrat wurde am 23.04.2010 eine Dienstvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit in der Agentur für Arbeit C... (Bl. 139 ff. d.A.) abgeschlossen, die unter Ziffer 8 auszugsweise die nachfolgenden Regelungen enthält:

"Es werden grundsätzlich für alle Mitarbeiter Arbeitszeitkonten geführt, in denen alle für die Arbeitszeitaufzeichnung notwendigen Daten für den Abrechnungsabschnitt unter Beachtung des personenbezogenen Datenschutzes erfasst werden.

Die Arbeitszeit ist bei jedem Betreten oder Verlassen der Dienstgebäude zu erfassen. Dies gilt ferner für das Erfassen der Pausen (Raucherpausen, Pausen in der Kantine sowie in den Sozialräumen oder am Arbeitsplatz)."

Im Jobcenter des Landkreises B... gilt eine zwischen dem Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung und dem Personalrat des Jobcenters abgeschlossene Dienstvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit vom 18.01.2012 (Bl. 160 ff. d.A.). Diese Dienstvereinbarung regelt in § 9 zur Zeiterfassung auszugsweise:

"(2) Es werden für alle Mitarbeiter Arbeitszeitkonten geführt, in denen alle für die Arbeitszeitaufzeichnung notwendigen Buchungen und Daten für den Abrechnungsabschnitt unter Beachtung des personenbezogenen Datenschutzes erfasst werden.

(3) Die Arbeitszeit ist bei jedem Betreten oder Verlassen der Dienstgebäude zu erfassen. Dies gilt ebenso für das Erfassen der Pausen (Raucherpausen, Pausen in der Kantine sowie in den Sozialräumen oder am Arbeitsplatz)."

Bei der Beklagten gibt es ein "Handbuch Personalrecht/Gremien", das sich mit der Delegation von dienst- und arbeitsrechtlichen Vertretungsbefugnissen des Vorstands der Beklagten befasst (Bl. 69-76 d.A.). In diesem Handbuch wird in Ziffer 1 Abs. ...

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