Entscheidungsstichwort (Thema)

Interessenabwägung. Kündigung. Pause. Pausenzeiten. Raucherpausen. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Kündigung wegen Überschreitung der Pausenzeiten. exzessive Raucherpausen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Überziehen unbezahlter Raucherpausen durch zusätzliche bezahlte Pausen in erheblichem Umfang stellt eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar, die den Arbeitgeber zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen kann.

2. Die bei jeder auf verhaltensbedingte Gründe gestützten Kündigung erforderliche Interessenabwägung im Einzelfall kann dazu führen, dass die Kündigung trotz einer Vertragspflichtenverletzung unwirksam ist, weil die Vertragspflichtenverstöße durch andere, mildere Mittel – etwa die Verpflichtung des die Pausenzeiten nicht einhaltenden Arbeitnehmers, zu Beginn und am Ende jeder Pause das Zeiterfassungsgerät zu bedienen – verhindert werden können.

 

Normenkette

BGB § 626; KSchG § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Urteil vom 10.06.2009; Aktenzeichen 8 Ca 206/09)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 10. Juni 2009, Az.: 8 Ca 206/09, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 27.01.2009 wegen Überziehung der Pausenzeiten.

Der Kläger (geb. am 23.01.1955, geschieden, keine Unterhaltspflichten) ist am 01.07.1970 als Auszubildender bei der Beklagten eingetreten. Seit Abschluss seiner Berufsausbildung wird er als Chemielaborwerker zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt ca. EUR 3.000,00 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in A-Stadt ca. 32.000 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat. Das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ist von der Beklagten wegen einer Alkoholerkrankung zum 04.05.1988 gekündigt worden. Am 18.09.1989 stellte sie ihn entsprechend der Betriebsvereinbarung „Suchtmittelmissbrauch” (BV 85) nach erfolgreicher Langzeitentwöhnungsbehandlung unter Anrechnung der früheren Dienstzeit wieder ein. Der Kläger ist starker Raucher. Er raucht nach eigenen Angaben täglich ca. 50 Zigaretten.

Der Kläger arbeitet in Gleitzeit nach der Betriebsvereinbarung „Flexible Jahresarbeitszeit” (BV 47) auf Basis der tariflichen Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden. Der Arbeitszeitrahmen liegt montags bis freitags von 6:00 bis 20:00 Uhr, wobei die tägliche Arbeitszeit 10 Stunden nicht überschreiten darf. Die tägliche Anwesenheitszeit wird durch das Bedienen des Zeiterfassungsgeräts beim Kommen und Gehen erfasst. Das Zeiterfassungssystem errechnet die Pausenzeit und zieht sie automatisch von der Anwesenheitszeit ab. Die BV 47 hat – auszugsweise – folgenden Wortlaut:

5.Pausen

Die Länge der unbezahlten Pausen orientiert sich an der Anwesenheitszeit. Entsprechend der Anwesenheitszeit werden folgende Pausen in Abzug gebracht:

ab 4 Stunden 30 Minuten bis unter 9 Stunden

15 Minuten plus dem linear steigenden Anteil von 45 Minuten[1]

ab 9 Stunden

60 Minuten Pause

Bei Überschreitung dieser Pausenzeiten oder bei Arbeitsunterbrechung aus sonstigen Gründen ist zu Beginn und Ende der Pause das Zeiterfassungsgerät zu bedienen.

7.Zeiterfassung

Mittels Zeiterfassung wird die Dauer des Arbeitseinsatzes dokumentiert. Es werden je Arbeitstag nach Abzug der Pausen maximal 10 Stunden im Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. …

8.Einschränkungen

Für Mitarbeiter, die wiederholt diese Arbeitszeitvereinbarung nicht einhalten bzw. nicht einhalten können, wird eine Einzelfallregelung getroffen.

…”

Auf dem Werksgelände der Beklagten gibt es ausgewiesene Raucherräume und Raucherbereiche. Das Rauchen ist nur dort erlaubt. Der Kläger sucht regelmäßig den in seinem Arbeitsbereich ausgewiesenen Raucherraum auf, ohne das Zeiterfassungsgerät zu bedienen.

Mit Schreiben vom 06.03.2008 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, weil er am 19.10.2007 (Anwesenheitszeit von 06:37 bis 14:28 Uhr, unbezahlte Pausenzeit 49 Minuten) insgesamt 3 Stunden und 46 Minuten Pause gemacht haben soll. Im Einzelnen von:

06:37 – 06:50 Uhr

11:30 – 11:45 Uhr

07:25 – 07:50 Uhr

12:00 – 13:00 Uhr

08:10 – 08:45 Uhr

13:40 – 13:55 Uhr

10:05 – 10:55 Uhr

14:15 – 14:28 Uhr

Mit Schreiben vom 07.03.2008 erteilte ihm die Beklagte eine zweite Abmahnung, weil er am 28.01.2008 (Anwesenheitszeit von 06:37 bis 16:27 Uhr, unbezahlte Pausenzeit 60 Minuten) insgesamt 2 Stunden und 55 Minuten Pause gemacht haben soll. Im Einzelnen von:

07:20 – 07:50 Uhr

12:05 – 13:05 Uhr

09:10 – 09:30 Uhr

13:45 – 14:00 Uhr

11:00 – 11:35 Uhr

15:25 – 15:40 Uhr

Beide Abmahnungen wurden dem Kläger am 01.04.2008 übergeben. Sie haben unter anderem folgenden Wortlaut:

„Sie haben sich durch Ihre unredliche Vorgehensweise Zeitguthaben erschlichen, auch indem Sie nicht unmittelbar nach dem Rauchen einer Zigarette Ihre Arbeit aufgenommen haben. (Des Weiteren haben Sie Ihren Arbeitstag mit jeweils einer Pause begonnen und beendet [nur Abmahnung vom 06.03.2008].)

Wir fordern Sie auf, künftig P...

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