Rz. 30

Grundsätzlich folgt auch die Einschätzung der Pflegebedürftigkeit bei Kindern den Prinzipien der Erwachsenenbegutachtung, da die für die Erwachsenen relevanten Kriterien mit nur wenigen Anpassungen auch auf Kinder und Jugendliche zutreffen (Begutachtungs-Richtlinie S. 108). Aus diesem Grund wurde auf die Einführung einer vollständig eigenen Begutachtungssystematik verzichtet.

Der Gesetzgeber hat für die Bestimmung des Pflegegrades eines Kindes jedoch Abweichungen von der in Abs. 1 bis 5 geregelten Systematik implementiert. Die hierfür maßgeblichen Regelungen finden sich im Wesentlichen in § 15 Abs. 6 und Abs. 7 (vgl. hierzu Rz. 31 ff.).

Neben diesen systematischen Besonderheiten zur Feststellung des Pflegegrades eines Kindes sind jedoch auch definitorische Besonderheiten bei der Begutachtung selbst zu beachten. So findet sich in den Begutachtungs-Richtlinien ein eigenes, umfangreiches Kapitel mit Vorgaben und Empfehlungen zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit bei Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre (Kapitel 5, S. 108 ff.). In diesem Kapitel werden u. a. die die kindlichen Fähigkeiten berücksichtigenden Abweichungen bei der pflegefachlichen Konkretisierung der Module und der Abstufungen der Selbständigkeit aufgeführt. Zur besseren Übersicht werden die für Kinder heranzuziehenden Konkretisierungen im Folgenden nahezu vollständig abgebildet, auch wenn diese in weiten Teilen den für die Feststellung des Pflegegrades eines Erwachsenen geltenden Konkretisierungen entspricht, welche bereits im Rahmen der Kommentierung zu § 14 aufgeführt sind (vgl. hierzu Rz. 42 ff.).

2.5.1 Systematische Besonderheiten

 

Rz. 31

Dass der Pflegegrad eines pflegebedürftigen Kindes im Grundsatz ebenfalls anhand des in § 15 Abs. 1 bis Abs. 5 normierten Begutachtungssystems unter Berücksichtigung der Schwere der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten ermittelt wird, folgt explizit auch aus § 15 Abs. 6 Satz 2, der die vorgenannten Absätze für entsprechend anwendbar erklärt.

 

Rz. 32

Der wesentliche Unterschied zu der Bestimmung des Pflegegrades eines Erwachsenen ist aber, dass es – wie auch schon unter Rz. 28 ausgeführt – vorgelagert eines Vergleichs mit altersentsprechend entwickelten Kindern bedarf, um festzustellen, ob überhaupt eine das übliche Maß der Pflege und Versorgung eines Kindes übersteigende Pflegebedürftigkeit besteht (§ 15 Abs. 6 Satz 1). Hintergrund ist, dass regelmäßig auch altersentsprechend entwickelte Kinder hilfebedürftig sind (etwa vollständig unselbständige Säuglinge, vgl. insoweit Rz. 37 hinsichtlich der Sonderregelungen bei pflegebedürftigen Kindern im Alter bis zu 18 Monaten), dieser Umstand aber gerade keinen Leistungsanspruch gegen die soziale Pflegeversicherung begründen soll (BT-Drs. 18/5926 S. 114).

Es ist also beispielsweise zu hinterfragen, ab welchem Alter eine bestimmte Aktivität üblicherweise selbständig von einem Kind durchgeführt werden kann bzw., ab welchem Alter eine bestimmte Fähigkeit üblicherweise ausgebildet ist (näher hierzu sogleich). Aktivitäten, die entwicklungsbedingt bis zu einem bestimmten Alter auch gesunde Kinder nicht selbständig ausüben können, müssen bzw. dürfen dann nicht beurteilt werden (Begutachtungs-Richtlinien S. 108).

Konnte eine Abweichung von den üblichen Fähigkeiten eines altersentsprechend entwickelten Kindes festgestellt werden, ist in einem zweiten Schritt – abgesehen von Fällen gemäß Abs. 7 – nach Maßgabe der Abs. 1 bis 5 zu bestimmen, welchen Grad die insoweit bestehenden Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen. Wie dies auch nach der alten Rechtslage der Fall war, ist für die Bestimmung des Pflegegrades (weiterhin) folglich allein die Abweichung von der Selbständigkeit oder den Fähigkeiten von altersentsprechend entwickelten Kindern maßgeblich.

 

Rz. 33

Vor dem Hintergrund, dass kindliche Entwicklung nicht stets linear erfolgt und anzunehmen ist, dass die fachliche Beurteilung, welche Fähigkeiten oder Verhaltensweisen eines Kindes als (noch) altersentsprechend anzusehen sind, in vielen Fällen nicht einheitlich ist, hat der Richtliniengeber hinsichtlich der Module 1, 2, 4 und 6 Tabellen zur Abbildung des altersentsprechenden Selbständigkeitsgrades/der altersentsprechenden Ausprägung von Fähigkeiten bei Kindern erstellt (vgl. Begutachtungs-Richtlinien S. 110 ff.).

In den Modulen 3 "Verhaltensweisen und psychische Problemlagen" und 5 "Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen" gibt es hingegen keine Festlegung von Altersgrenzen, da hier krankheits- und therapiebedingte Beeinträchtigungen erfasst werden, die altersunabhängig bei jedem Kind zu bewerten sind (Begutachtungs-Richtlinien S. 108).

Die in den Tabellen aufgeführten (pauschalen) Altersgrenzen beruhen – darauf wird explizit hingewiesen – auf einer umfangreichen Literaturrecherche und Analyse, die durch Fachexpertisen ergänzt wurden. Ausweislich der Ausführungen in der Begutachtungs-Richtlinie war es Ziel der Analyse, zu den im Begutach...

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