Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wenden sich die Spitzenverbände der Sozialversicherung mit einer das Versicherungsverhältnis betreffenden Auskunft oder Beratung nicht direkt an das einzelne Mitglied, sondern verbreiten sie die Information in einer Presseverlautbarung über die Medien, machen sie es den Betroffenen unmöglich, später zu beweisen, dass sie persönlich von dem Vorgang Kenntnis erlangt haben. Es kann nicht angehen, die Beweislast für den Kausalzusammenhang gleich wohl den Versicherten aufzubürden.

2. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Fällen, in denen gesetzlich die Anwendung des § 44 SGB 10 ausgeschlossen ist.

 

Orientierungssatz

Zum Begriff der höheren Gewalt iS von § 67 Abs 3 SGG.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 09.06.2005 und der Bescheid der Beklagten vom 12.05.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2003 aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 29.07.1997 bis zum 16.07.1998 die Differenz zwischen einem Verletztengeld nach einem um 10 v.H. erhöhten Regelentgelt und dem bisher gezahlten Verletztengeld zu gewähren.

III. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Instanzen. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob das vom Kläger im Zeitraum vom 29.07.1997 bis 16.07.1998 bezogene Verletztengeld unter Berücksichtigung von Einmalzahlungen neu zu berechnen und ihm die Differenz nachzuzahlen ist.

Das einmalig gezahlte Arbeitsentgelt unterlag in der Vergangenheit zwar der Beitragspflicht zur Sozialversicherung, wurde bei der Bemessung von entgeltbezogenen Lohnersatzleistungen jedoch nicht berücksichtigt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte dies mit Beschluss vom 11.01.1995 (BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200 § 385 Nr. 6) als verfassungswidrig beanstandet und dem Gesetzgeber eine Änderung aufgegeben. Da in der Folge auch gegen die durch das Gesetz zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt (Einmalzahlungsgesetz) vom 12.12.1996 (BGBl. I Seite 1859) getroffenen Neuregelung verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht und die Versicherten von verschiedener Seite aufgefordert wurden, gegen die einschlägigen Beitrags- und Leistungsbescheide Widerspruch einzulegen, wandten sich die Sozialpartner und Spitzenorganisationen der Sozialversicherung im Juli 1998 mit einer über die Medien verbreiteten gemeinsamen Erklärung an die Öffentlichkeit. Darin wurde auf mehrere beim BVerfG anhängige Musterverfahren Bezug genommen und in Aussicht gestellt, dass die Versicherungsträger die zu erwartende Entscheidung über die Beitragspflicht von Einmalzahlungen auf gleichgelagerte Sachverhalte übertragen und zu Unrecht erhobene Beiträge erstatten werden, ohne dass insoweit Anträge oder Widersprüche erforderlich seien.

Mit Beschluss vom 24.05.2000 (BVerfGE 102, 127 = SozR 3-2400 § 23a Nr. 1) hat das BVerfG auch den durch das Einmalzahlungsgesetz geschaffenen Rechtszustand für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber abermals eine verfassungskonforme Neuregelung - wahlweise auf der Beitrags- oder auf der Leistungsseite - aufgegeben. Zugleich hat es ihn verpflichtet, durch geeignete Regelungen sicherzustellen, dass rückwirkend in Leistungsfällen ab 01.01.1997 einmalig gezahltes Arbeitsentgelt, für das Beiträge entrichtet worden waren, bei der Berechnung des Krankengeldes berücksichtigt wird, soweit über die Leistungsgewährung noch nicht bestandskräftig entschieden wurde. Der Gesetzgeber ist dem mit dem Gesetz zur Neuregelung der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt (Einmalzahlungsneuregelungsgesetz) vom 21.12.2000 (BGBl. I Seite 1971) nachgekommen. Er hat an der Beitragspflicht von Einmalzahlungen festgehalten, zugleich aber mit dem neu geschaffenen § 47 Abs. 1a Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) rückwirkend für die Zeit ab 22.06.2000, dem Tag nach der Veröffentlichung der Entscheidung des BVerfG im Bundesgesetzblatt, die Einbeziehung des einmalig gezahlten Arbeitsentgelts in die Verletztengeldberechnung angeordnet. Einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht werdenden Abwicklung der Leistungsfälle aus der Übergangszeit vom 01.01.1997 bis 21.06.2000 dient ebenfalls die Regelung des § 47 Abs. 1a SGB VII. Danach gilt die neue Regelung lediglich für Ansprüche auf Verletztengeld, sofern über die Ansprüche vor dem 22.06.2000 bereits unanfechtbar entschieden war, für Zeiten vom 22.06.2000 an bis zum Ende der Leistungsdauer. Eine Rücknahme gemäß § 44 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ausdrücklich ausgeschlossen.

Der 1953 geborene Kläger zog sich bei dem mit Bescheid der Beklagten vom 14.01.1999 anerkannten Arbeitsunfall vom 16.06.1997 eine Radiusfraktur rechts zu. Arbeitsunfähigkeit bestand deshalb vom 17.06.1997 bis 07.08.1998. Für d...

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