Für die Identifikation eines Talents müssen sowohl Leistung als auch Potenzial betrachtet werden, siehe Abb. 1.

Abb. 1: Leistung versus Potenzial

Die Messung der Leistung ist direkt beobachtbar und kann über Quantität und/oder Qualität beobachtet werden. In vielen Unternehmen bestehen hierzu Instrumente des Performance Management, die es erlauben, die Erreichung von Zielen, das Erfüllen von Erwartungen und Arbeitsanforderungen zu dokumentieren und so zu einer Bewertung der Leistung zu kommen.

Die Einschätzung des Potenzials ist weitaus schwieriger, handelt es sich bei Potenzial doch nicht um eine beobachtbare Leistung, sondern um eine noch nicht ausgeschöpfte Möglichkeit, eine Fähigkeit zur Entwicklung. Konsequenterweise kann dies nur vermutet oder geschätzt werden. Es hat sich in der Praxis bewährt, dass eine Ersteinschätzung des Potenzials durch die jeweiligen disziplinarischen Vorgesetzten vorgenommen wird.

In Abbildung 2 sehen Sie ein Beispiel, wie ein Instrument zur Einschätzung von Leistung und Potenzial aussehen könnte, die Kriterien der Leistungsbeurteilung und der Potenzialeinschätzung sollten fachlich korrekt UND auf das Unternehmen zugeschnitten sein.

Abb. 2: Beispiel für eine Leistungs-/Potenzialeinschätzung

In so genannten Portfoliorunden (häufig auch Personaldurchsprachen, Potenzialeinschätzungsrunden oder Talent-Reviews genannt) werden alle relevanten Mitarbeiter in Abhängigkeit von ihrer Hierarchieebene in einem Portfolio dargestellt (siehe Abb. 3) und das Gesamtbild vom verantwortlichen Management besprochen.

Die Praxis zeigt immer wieder, dass sich zu günstige oder zu kritische Einschätzungen einzelner Führungskräfte in den jeweiligen Diskussionen relativieren.

Zudem kalibrieren sich die Führungskräfte untereinander dahingehend, wer ein Potenzial- bzw. Leistungsträger oder ein Talent ist und wie diese abstrakten Definitionen sich in der Praxis ausprägen können.

Abb. 3: Aggregiertes Personalportfolio

Welche Konsequenzen aus dem Portfolio für die einzelnen Kandidaten erwachsen, beleuchten wir im Kapitel "Förderung unter Berücksichtigung der Portfolio-Ergebnisse".

2.2.1 Potenzialanalyse zur Validierung der Ergebnisse

Häufig werden die Ergebnisse einer derartigen Potenzialeinschätzung durch wissenschaftliche Verfahren untermauert. Auf dem Markt verfügbare psychologische Tests zur Potenzialanalyse fokussieren in erster Linie auf Potenzialtreiber, d. h. messbare Eigenschaften, wie z. B.

  • Lernfähigkeit,
  • Leistungsmotivation
  • oder Intelligenz,

die die Umsetzung von Potenzial in Verhalten begünstigen. Kritisch anzumerken bleibt an dieser Stelle, dass die marktüblichen Potenzialanalyseverfahren auf wissenschaftlich abgesicherten Kriterien fußen, die im Normalfall einer sehr starken Korrelation unterliegen, aber keine Kausalität begründen.

Mit anderen Worten: Es besteht ein nachweislicher Zusammenhang von Kriterien (z. B. der Schul-Abschlussnote in Mathematik und dem Berufserfolg) – damit ist aber nicht ausgesagt, dass eben diese Kriterien kausal den Berufserfolg verursachen.

Das stark vereinfachte Beispiel von eben aufgegriffen, ergeben sich zum Beispiel Fragen wie die Folgenden:

  • Haben alle guten Mathematiker einen hohen Berufserfolg?
  • Gibt es auch Menschen mit hohem Berufserfolg, die keine guten Schul-Abschlussnoten in Mathematik aufweisen?
  • Hat sich die Anforderung an Tätigkeiten seit der letzten Erhebung des statistischen Zusammenhangs verändert, so dass die Mathematiknote ggf. eine untergeordnete Rolle spielt?

Weiterhin stellt sich die Frage, wie man ggf. mit voneinander abweichenden Ergebnissen umgeht. Was also, wenn eine Kandidatin laut Potenzialeinschätzung durch Ihre Führungskraft sich bewährt hat, in der Portfoliorunde bestätigt wurde, aber in der Potenzialanalyse ein abweichendes Bild zeigt? Aus praktischer Erfahrung ist ein schlichtes "follow the science" nicht immer der richtige Weg. Zu viele Beispiele der Praxis – die aus wissenschaftlicher Sicht anekdotisch sein mögen, für die Unternehmen aber erfolgskritische Auswirkungen haben – zeigen, dass so manches Mal, beste wissenschaftliche Ergebnisse bei geringer Akzeptanz im Management ebenso wenig Erfolg hervorbringt wie umgekehrt: Kandidaten, die auf breite Akzeptanz stoßen auch sehr erfolgreich sein können, wenngleich nicht zwingend die Ergebnisse wissenschaftlicher Testverfahren überzeugen würden.

Selbstverständlich braucht es (und gibt) es eine kontinuierliche Verbesserung wissenschaftlicher Verfahren und immer solidere Einschätzungen des Managements über die Zeit, mit dem Startpunkt "Jetzt", sollte dies als eine Grundsatzüberlegung berücksichtigt werden. Der Wert von Potenzialanalysen wird damit nicht geschmälert, gegebenenfalls aber relativiert.

2.2.2 Verbleibende Herausforderungen einer Potenzialeinschätzung

Die reinen Potenzialeinschätzungen in Portfolio-Formaten unterliegen dennoch auch einigen Herausforderungen, welche durch die Ergänzung mit Potenzialanalysen nicht immer aufzulösen sind So ist eine grundlegende Frage bislang stillschweigend ausgeklammert worden:

Hat nicht jeder irgendein Talent, welches Wert wäre entwickelt zu werden?

Dieser Ansatz geht von einem huma...

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