Rz. 132

Zweck dieser Öffnungsklausel ist es, den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit zu geben, in den unterschiedlichen Branchen und Beschäftigungsbereichen jeweils sachnahe und angemessene Regelungen zu vereinbaren.[1]

 
Hinweis

Eine abweichende Regelung kann nur in Tarifverträgen getroffen werden. In einer Betriebsvereinbarung ist eine Regelung nur dann zulässig, wenn eine diesbezügliche Öffnungsklausel im Tarifvertrag es erlaubt.[2]

 

Rz. 133

Die Tarifvertragsparteien sollen nach der Intention des Gesetzgebers nicht nur die Berechnungsmethode (Ausfall- oder Referenzprinzip), sondern auch die der Berechnung zugrunde zu legende Zusammensetzung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts abweichend von § 4 Abs. 1 EFZG festlegen können.[3]

 

Rz. 134

Ändern können die Tarifvertragsparteien danach zunächst die Berechnungsmethode, was im Einzelfall zu ungünstigeren Ergebnissen für den betroffenen Arbeitnehmer führen kann.[4] Sie können also etwa festlegen, dass anstelle des Entgeltausfallprinzips[5] das so genannte Referenzprinzip gelten soll, wonach auf einen Durchschnittsverdienst in einem in der Vergangenheit liegenden Referenzzeitraum abgestellt wird.[6] In einem früheren Urteil[7] betont das BAG, durch den Wechsel zum Referenzprinzip solle praktischen Bedürfnissen, insbesondere gewerblicher Arbeitnehmer (wechselnde Arbeitsentgelte, Leistungslöhne, Mehrarbeit u. a.), entsprochen werden.[8]

Wird bei einer solchen Änderung der Berechnungsmethode im Rahmen einer Durchschnittsbetrachtung ein tariflicher oder gesetzlicher Mindestlohn unterschritten, so ist dies zulässig, da § 4 Abs. 4 EFZG im Verhältnis zu Mindestlohnregelungen lex specialis ist.[9]

 

Rz. 135

Es kann aber auch etwa dergestalt eine andere Berechnungsmethode eingeführt werden, dass ein täglicher Durchschnittslohn der Bemessung zugrunde gelegt wird.[10] Schließlich sind die Tarifvertragsparteien auch nicht daran gehindert, von der für den einzelnen Arbeitnehmer maßgebenden konkreten Arbeitszeit abzuweichen und stattdessen Werktage oder Kalendertage zur Grundlage des Entgeltfortzahlungsanspruchs zu machen und damit vom konkreten Entgeltausfallprinzip abzugehen: Sie können damit von dem in § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 EFZG angelegten Grundsatz abweichen, dass für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung die Arbeit allein aufgrund der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ausgefallen sein muss.[11]

 

Rz. 136

Möglich sind aber auch Änderungen in Bezug auf die Berechnungsgrundlage. Die Tarifvertragsparteien können danach Entgeltbestandteile aus der Berechnung herausnehmen. Sie können mithin zum einen Umfang und Bestandteile des der Entgeltfortzahlung zugrunde zu legenden Arbeitsentgelts, also die Zusammensetzung des Geldfaktors[12] ändern; also etwa auch alle tariflichen Zuschläge aus der Entgeltfortzahlung ausnehmen.[13] Es ist jedoch darauf zu achten, dass es sich bei der Herausnahme von Entgeltbestandteilen lediglich um solches Arbeitsentgelt handelt, das nicht den Lebensstandard des Arbeitnehmers entscheidend prägt[14], also etwa zusätzliche Leistungen wie Prämien oder Mehrarbeitszuschläge.[15] Mangels Gestaltungsmacht können Tarifvertragsparteien auch nicht in über- oder außertarifliche Zulagen im Krankheitsfall eingreifen.[16]

 

Rz. 137

Zum anderen können die Tarifvertragsparteien auch die Bestandteile des Zeitfaktors (vgl. Rz. 9) ändern, indem sie Abweichungen hinsichtlich der Berechnung der maßgeblichen regelmäßigen Arbeitszeit vereinbaren.[17] So kann etwa geregelt werden, dass sich die Entgeltfortzahlung nicht nach der individuellen regelmäßigen Arbeitszeit des Arbeitnehmers, sondern nach der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit bestimmt.[18] Ebenfalls hier zu nennen sind die in einigen Tarifverträgen enthaltenen Bestimmungen über die Entgeltfortzahlung im Freischichtenmodell.[19]

 
Hinweis

Unter der Geltung des alten § 2 Abs. 3 Satz 1 Lohnfortzahlungsgesetz war es noch umstritten, ob die Tarifvertragsparteien neben der Berechnungsmethode auch die Berechnungsgrundlagen zuungunsten der Arbeiter verändern konnten. Durch § 4 Abs. 1 EFZG wurde dieser Diskussion jedoch der Boden entzogen mit der Folge, dass nun – wie dargestellt – sowohl die Berechnungsmethode als auch die Berechnungsgrundlagen veränderbar sind.[20]

 

Rz. 138

Nicht zu den veränderbaren Berechnungsgrundlagen i. S. d. § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG gehören die in den §§ 3, 511 EFZG geregelten Inhalte, also etwa die Dauer des Entgeltfortzahlungszeitraums von 6 Wochen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG) oder die in § 10 EFZG geregelten Inhalte hinsichtlich der wirtschaftlichen Sicherung für den Krankheitsfall im Bereich der Heimarbeit. Schließlich ist nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG ausdrücklich auch eine von § 4 Abs. 2 EFZG nachteilig für den Arbeitnehmer abweichende tarifvertragliche Regelung unzulässig.[21] Auch ist eine Tarifregelung unzulässig, die dem Arbeitgeber das Recht einräumt, den Arbeitnehmer für jeden Tag der Entgeltfortzahlung unentgeltlich nacharbeiten zu lassen, bzw. ein vorhandenes Arbeitszeitkonto zu kürzen....

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