2.2.1 Fall 1: Diskussionsbeitrag zu Trennungsgesprächen

Das BAG entschied im November 2005 einen Fall, in dem es um einen Diskussionsbeitrag zu Trennungsgesprächen ging, die der Arbeitgeber aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten führen musste, um die Solvenz des Unternehmens zu erhalten.[1] Der gekündigte Arbeitnehmer war Betriebsratsmitglied und postete eine Bilderabfolge ("Gif") auf einem von ihm erstellten Forum, das als Internetpräsenz für eine von ihm gegründete Arbeitsinitiative diente. Die Bilderabfolge zeigte eine Guillotine, ein Eingangstor zu einem Konzentrationslager mit der Überschrift "Arbeit macht frei" und einen Atompilz. Außerdem war ein animierter Selektionsprozess unter deportierten Häftlingen vor dem KZ zu sehen. Die Bilderabfolge war mit dem Text "Trennungsgespräche" unten rechts im Bild beschriftet.

In dem sich hieran anschließenden Kündigungsschutzverfahren entschied das BAG, dass beleidigende Vergleiche mit nationalsozialistischen Praktiken "an sich" geeignet seien, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Das Gericht war indes nicht davon überzeugt, dass der Arbeitnehmer einen solchen Vergleich zog. Es sei den "Besonderheiten der Bildgestaltung und des thematischen Zusammenhangs Rechnung zu tragen".[2] In diesem Zusammenhang stellte das BAG klar, dass der Schutz der Meinungsfreiheit unabhängig davon gelte, ob andere die Äußerung für schädlich halten.[3]

Dazu ging das BAG von dem Wortlaut der Äußerung aus, bezog aber den Kontext mit ein. Bei mehrdeutigen Äußerungen müsse eine ebenfalls mögliche Deutung mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden.[4] Das BAG nahm an, dass die Animation die Trennungsgespräche mit nationalsozialistischen Praktiken nicht gleichsetze. Ausreichend sei, dass der Vergleich mit nationalsozialistischen Praktiken nicht explizit gewesen sei.[5] Besondere Bedeutung maß das BAG auch dem Umstand zu, dass der Arbeitgeber im Vorfeld der Trennungsgespräche Schulungen durchführte. Diese thematisierten zu erwartende emotionale Reaktionen ("Tränenausbrüche") und gaben dazu Ratschläge, wie mit diesen umzugehen sei.[6] Aus diesem Blickwinkel erschien dem BAG die Animation noch als angemessene Reaktion, weil sie der nachvollziehbaren Verbitterung derjenigen, die die Trennungsgespräche auf sich zukommen sahen, zum Ausdruck verhalf. Daran zeigt sich, dass Meinungsäußerungen stärker geschützt sind, wenn sie sich auf tatsächliche Geschehnisse im Betrieb beziehen.

2.2.2 Fall 2: Polemische Aussagen über Vorgesetzte

Das BAG entschied im Dezember 2019 einen Fall, der polemische Aussagen einer Arbeitnehmerin über ihren Vorgesetzten zum Gegenstand hatte. Es stellte zwar heraus, dass eine Schmähkritik aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG herausfällt.[1] Das Gericht kam dennoch zu dem Ergebnis, dass die Bezeichnung "unterbelichteter Frauen- und Ausländerhasser" keine Schmähkritik sei, weil noch ein Sachbezug bestehe. Für diese Sichtweise bezog sich das BAG auf den Kontext der Äußerung.

Die Arbeitnehmerin äußerte sich, nachdem sie sich per E-Mail an den Vorstandsvorsitzenden wandte und unter anderem davon sprach, dass "kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleiden musste" wie sie; das Unternehmen sei voll mit Intrigen. Ferner wandte sie sich in einer anderen E-Mail an ihren Vorgesetzten und warf ihm Mobbing, Bossing, unberechtigte Kritik und unsachliche und leere Bemerkungen vor, die nur den Zweck hätten, ihr das Leben zur Hölle zu machen. Diese E-Mail schickte sie an 12 weitere Mitarbeiter. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis.

Das BAG entschied, dass die Kündigung sich mit der Begründung des vorinstanzlichen LAG nicht sozial rechtfertigen lasse gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG.Die soziale Rechtfertigung verlange, dass der Arbeitnehmer mit seinem Verhalten seine vertraglichen Pflichten so stark verletzt hat, dass eine dauerhafte störungsfreie Vertragserfüllung nicht mehr zu erwarten sei.[2] Zwar müsse der Arbeitgeber grob unsachliche Angriffe, die die Position eines Vorgesetzten untergraben können, nicht hinnehmen.[3] Dennoch seien die Aussagen der Arbeitnehmerin nicht als Schmähkritik aufzufassen, weil sie nicht allein darauf abzielten, die adressierte Person zu diffamieren. Im Kern gehe es darum, wahrgenommene Missstände anzuprangern.[4] Eine Kündigung lasse sich nicht rechtfertigen, wenn für den Arbeitnehmer günstigere Deutungen der Äußerung ohne Begründung unberücksichtigt blieben.[5] Angesichts der Schärfe der Wortwahl ließe sich indes auch die Ansicht vertreten, der Sachbezug gehe in der herabwürdigenden Diffamierung der Person unter.

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