Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung von im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten des Wehrdienstes in der gesetzlichen Rentenversicherung. Verfassungsmäßigkeit des § 256a Abs 4 SGB 6

 

Leitsatz (amtlich)

Die begehrte Bewertung von im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten des Wehrdienstes mit 1,0 Entgeltpunkten gemäß § 256 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB VI kommt nicht in Betracht, wenn der Kläger nicht vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst ist. Da er seinen Wehrdienst im Beitrittsgebiet zurückgelegt hat, richtet sich die Bewertung seiner Wehrdienstzeiten nach der insoweit spezialgesetzlichen Regelung des § 256a Abs 4 SGB VI, wonach für Zeiten vor dem 1.1.1992 für jedes volle Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte und für jeden Teilzeitraum der entsprechende Anteil zugrunde zu legen sind. Die unterschiedliche Bewertung der Wehrdienstzeiten beruht nach der Begründung des Gesetzgebers zu § 256a Abs 4 SGB VI darauf, dass im "alten Bundesgebiet" im Zeitraum von 1961 bis 1981 tatsächlich Beiträge für die zurückgelegten Wehrdienstzeiten entrichtet wurden, im Beitrittsgebiet jedoch nicht.

 

Orientierungssatz

Die von § 256 Abs 3 S 1 SGB 6 abweichende Bewertung der Wehrdienstzeiten im Beitrittsgebiet in § 256a Abs 4 SGB 6 verstößt nicht gegen das GG, insbesondere nicht gegen Art 3 Abs 1 GG und/oder gegen Art 14 Abs 1 GG.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 28.04.2022; Aktenzeichen B 5 R 29/22 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 15. Juni 2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Bewertung der vom Kläger vom 3. Mai 1977 bis zum 28. Oktober 1978 im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten des Wehrdienstes nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) umstritten.

Die Beklagte bewilligte dem am ... 1957 geborenen Kläger ab dem 1. April 2021 Altersrente für besonders langjährig Versicherte (Bescheid vom 11. Januar 2021). Dabei berücksichtigte sie die Pflichtbeitragszeiten für den im Beitrittsgebiet zurückgelegten Wehrdienst ausgehend von 0,75 Entgeltpunkten für jedes volle Kalenderjahr anteilig für den Zeitraum vom 3. Mai 1977 bis zum 28. Oktober 1978.

Mit dem hiergegen am 22. Januar 2021 eingelegten Widerspruch verfolgte der Kläger die Bewertung der Grundwehrdienstzeit bei der Nationalen Volksarmee (NVA) mit 1,0 Entgeltpunkten pro Jahr entsprechend der Bewertung für denselben Zeitraum des Wehrdienstes im „Altbundesgebiet“ gemäß § 256 Abs. 3 S. 1 SGB VI.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2021 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein Anspruch auf Bewertung der Zeit des Grundwehrdienstes im Beitrittsgebiet für die Zeit vom 3. Mai 1977 bis zum 28. Oktober 1978 mit einem Entgeltpunkte bestehe nicht. Im Beitrittsgebiet seien für die Zeiten des Grundwehrdienstes von der NVA bzw. vom Staat keine Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt worden. Die Zeit des Grundwehrdienstes sei nach den Regelungen im Beitrittsgebiet eine versicherungspflichtige Tätigkeit in der Sozialversicherung der DDR gewesen, wobei die Beitragszahlung zur Sozialversicherung während dieser Zeit geruht habe. Um gleichwohl Zeiten des gesetzlichen Wehrdienstes im Beitrittsgebiet in die Rentenberechnung nach gesamtdeutschen Recht einfließen lassen zu können, sei in § 256a Abs. 4 SGB VI normiert worden, dass im Beitrittsgebiet bis zum 31. Dezember 1981 zurückgelegte Grundwehrdienstzeiten mit 0,75 Entgeltpunkten pro Kalenderjahr zu bewerten seien. Für vom 1. Mai 1961 bis zum 31. Dezember 1981 in den alten Bundesländern zurückgelegte Zeiten des gesetzlichen Wehrdienstes seien tatsächlich Beiträge vom Bund eingezahlt worden, weshalb diese Zeiten eine Bewertung mit einem Entgeltpunkt erhielten. Die hiervon abweichende Regelung des § 256a Abs. 4 SGB VI sei vom Gesetzgeber mit der tatsächlich fehlenden Beitragszahlung im Beitrittsgebiet begründet worden. Ab dem 1. Januar 1982 seien Grundwehrdienstzeiten sowohl im alten Bundesgebiet als auch im Beitrittsgebiet mit 0,75 Entgeltpunkten bzw. 0,75 Entgeltpunkten (Ost) pro Jahr zu bewerten.

Hiergegen hat der Kläger am 1. April 2021 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben. Der Rentenbescheid der Beklagten verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und sei daher rechtswidrig und abzuändern. Nach Art. 3 Abs. 1 GG dürfe insbesondere niemand wegen seiner Heimat und Herkunft benachteiligt werden. Eine entsprechende Ungleichbehandlung sei vorliegend gegeben, da gemäß § 256 Abs. 3 S. 1 SGB VI der Wehrdienst bzw. der Zivildienst zwischen 1961 und 1981 in den alten Bundesländern pro Kalenderjahr mit einem Entgeltpunkte berücksichtigt werde, wohingegen im Beitrittsgebiet lediglich eine Berücksichtigung mit 0,75 Entgeltpunkten erfolge. Wegen der Verfassungswidrigkeit der angewendeten Norm sei eine Richtervorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 80 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz angezeigt.

Das Sozialgericht hat...

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