Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungspflicht des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung nach krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften für eine festbetragsüberschreitende Hörgeräteversorgung, wenn der Rentenversicherungsträger den Antrag auf Hörgeräteversorgung nicht rechtzeitig an die Krankenkasse weitergeleitet hat

 

Orientierungssatz

1. Zur Leistungspflicht des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung nach krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften für eine festbetragsüberschreitende Hörgeräteversorgung, wenn der Rentenversicherungsträger den Antrag auf Hörgeräteversorgung nicht rechtzeitig an die Krankenkasse weitergeleitet hat.

2. Es besteht zwar grundsätzlich ein der Krankenkasse zurechenbarer Rechtsschein der Empfangszuständigkeit des Hörgeräteakustikers für rehabilitationsrechtliche Leistungsanträge iS einer geduldeten passiven Stellvertretung. Gleichwohl ist es nicht ausgeschlossen, dass Hörgeräteakustiker ausnahmsweise von Versicherten, denen ein freies Wahlrecht hinsichtlich des in Anspruch genommen Rehabilitationsträgers zusteht, allein in dieser Funktion - und nicht gleichzeitig als Repräsentant des Krankenversicherungsträgers - aufgesucht werden und damit nach dem rechtlich objektivierten Willen Raum für eine (Erst-)Antragstellung insbesondere bei einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung bleibt (vgl BSG vom 30.10.2014 - B 5 R 8/14 R = BSGE 117, 192 = SozR 4-1500 § 163 Nr 7).

3. Zur Unzulässigkeit der Aufspaltung eines Antrages auf Hörgeräteversorgung in zwei separate Leistungsanträge (vgl BSG vom 24.1.2013 - B 3 KR 5/12 R = BSGE 113, 40 = SozR 4-3250 § 14 Nr 19).

4. Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 10. Oktober 2016 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wird:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2013verurteilt, der Klägerin die vorläufig bewilligten Kosten für die Versorgung mit Hörgeräten der Marke Phonak AUDEO B30-312 XS/1811X09V0 bzw. AUDEO B30-312 XS/1811X09UY in Höhe von 2.475,20 € endgültig zu gewähren.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die endgültige Gewährung von zwischenzeitlich vorläufig bewilligten Kosten für von der Klägerin selbst beschaffte, festbetragsüberschreitende Hörgeräte.

Die 1964 geborene Klägerin leidet an einer progredienten, beidseitigen Schallempfindungsschwerhörigkeit, aufgrund derer sie etwa seit dem Jahr 2006 mit Im-Ohr-Hörgeräten versorgt war. Sie verfügt über eine Ausbildung als Damenmaßschneiderin und war seit April 2002 im Umfang von 30 bis 35 Stunden pro Woche als Verkäuferin in einem Modefachgeschäft in L beschäftigt. Derzeit ist sie als Erzieherin beschäftigt. Die Klägerin ist bei der Beklagten renten- und bei der beigeladenen Krankenkasse gesetzlich krankenversichert. Ihre behandelnde Fachärztin für HNO-Krankheiten, Dipl. Med. N, verordnete ihr mit der Begründung, die Verstärkung durch die bisher getragenen Geräte (Firma P, Aero22) sei nicht mehr ausreichend, beidseitig eine Hörhilfe (Verordnung vom 30. August 2012). Nach einem entsprechenden Anpassungsbericht vom 26. November 2012 erstellte ihr der von ihr aufgesuchte Hörgeräteakustiker, die A GmbH, am 26. November 2012 einen Kostenvoranschlag für zwei Hörgeräte (rechts und links) der Marke Audéo S Smart III XS des Herstellers P zu Gesamtkosten in Höhe von 3.515,74 € (Kassenanteil 828,88 €, Eigenanteil 2.686,86 €, gesetzliche Zuzahlung 20 €).

Ihren bei der Beklagten gestellten Antrag auf Leistungen zur Teilhabe vom 31. Januar 2013 wegen berufsbedingter Mehrkosten in Höhe von 2.686,86 € lehnte jene mit Bescheid vom 19. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2013 ab. Ein Hilfsmittel sei nur dann als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben anzusehen, wenn es ausschließlich zur Ausübung eines bestimmten Berufs oder zur Teilnahme an einer bestimmten beruflich vorbereitenden Maßnahme benötigt werde. Die Versorgung mit einer Hörhilfe gehöre grundsätzlich nicht zu den Leistungen der Beklagten, sondern zur Krankenbehandlung, wenn sie erforderlich sei, um eine Behinderung auszugleichen. Nur ausnahmsweise komme eine Leistungsgewährung in Betracht, wenn sie als spezifische berufsbedingte Hörgeräteversorgung erforderlich sei. Im Beruf der Klägerin als Verkäuferin im Modefachgeschäft bestünden keine gegenüber anderen Berufen erhöhten Höranforderungen.

Nachdem die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Schreiben vom 19. Februar 2013 an die Beigeladene weitergeleitet hatte, lehnte jene nach Einholung des nach Aktenlage erstatteten sozialmedizinischen Gutachtens des MDK (Dr. M) die Übernahme festbetragsübers...

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