Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Versicherungsfall einer Leibesfrucht. Berufskrankheit. Kausalität. Exposition der Mutter während der Schwangerschaft. Gesundheitsschaden des Nasciturus. Wahrscheinlichkeit. Maschinenbedienerin in der Texturierung

 

Orientierungssatz

Zur Frage der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen nachgewiesenen Gesundheitsschäden (Chronic-Fatigue-Syndrom, neurotische Fehlentwicklung, narbige Einziehung an der rechten Niere) des Nasciturus und der den Grenzwert überschreitenden Exposition der Mutter gegenüber Trichlorethylen und Perchlorethylen während der Schwangerschaft.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Versicherungsfalls nach § 551 i.V.m. § 555a Reichsversicherungsordnung (RVO) streitig.

Die ... 1969 geborene Klägerin, die nach der mittleren Reife den Beruf der Verwaltungsangestellten erlernte und als solche ca. zweieinhalb Jahre tätig war, bezieht seit Dezember 1993 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und seit August 1997 Leistungen nach Pflegestufe I.

Sie wandte sich mit Schreiben vom 23.07.1999 an die Beklagte und teilte mit, ihre Mutter sei während der Schwangerschaft mit ihr in einer Chemiefabrik (ICI Fibres in Östringen) beschäftigt und dabei Perchlorethylen (Per) und Trichlorethylen (Tri) ausgesetzt gewesen. Kurz nach ihrer Geburt sei sie "schwer an den Nieren erkrankt" und bis zum heutigen Tag durchgehend krank. Ihr Arzt habe auf einen möglichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit der Mutter hingewiesen.

Die Beklagte nahm daraufhin Ermittlungen auf, indem sie die Klägerin und ihre Mutter persönlich befragte, die Akte des Versorgungsamtes Freiburg, die ärztlichen Unterlagen der Universitäts-Kinderklinik H ab 1970, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), der BEK und die - die Mutter betreffenden - Unterlagen der AOK Rhein-Neckar beizog, Anfragen bei ICI durchführte und den Technischen Aufsichtsdienst der Beklagten (TAD) mit arbeitsplatzbezogenen Erhebungen beauftragte.

Nach dem abschließenden Bericht des TAD/Dr. W vom 02.05.2002 ist die Mutter der Klägerin als Maschinenbedienerin - neben Spitzenbelastungen bei ganztätiger Generalreinigung der Maschinen - im Durchschnitt etwa 30 bis 40 Minuten pro Tag dermal und pulmonal gegenüber Tri und Per exponiert gewesen; auf Grund der Reinigungstätigkeiten mit lösungsmittelgetränktem Putzlappen ohne Ergreifung von Schutzmaßnahmen müsse von einer Grenzwertüberschreitung ausgegangen werden.

Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. S führte unter dem 25.07.2002 aus, nach den ärztlichen Unterlagen sei die Klägerin fünf Monate nach der Geburt ambulant, zeitweise auch stationär, wegen einer Viruspneumonie und einer Nierenbeckenentzündung, welche einen chronischen Verlauf genommen, jedoch zu keiner Nierenschädigung geführt habe, behandelt worden. In der aktuellen Krankheitsgeschichte stehe das Krankheitsbild eines chronischen Ermüdungssyndroms im Vordergrund. Dies habe jedoch nichts mit der Exposition gegenüber Tri oder Per zu tun. Dieser Auffassung schloss sich auch die Staatliche Gewerbeärztin Dr. E in ihrer Stellungnahme vom 20.08.2002 an.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.10.2002 die Anerkennung einer BK nach § 551 Abs. 1 und 2 RVO a.F. ab.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte den Befundbericht der H-klinik vom 30.07.2002 ein und veranlasste eine Begutachtung (auf Vorschlag der Klägerin) durch Dipl.-Chem. und Facharzt für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin Dr. P sowie zusätzlich durch Neurologe und Psychiater Dr. K Letzterer verneinte in seinem Gutachten vom 24.04.2003 Störungen auf neurologischem Fachgebiet. Eine Schädigung des zentralen oder peripheren Nervensystems durch eine vorgeburtliche toxische Schädigung bestehe nicht; weder eine Enzephalopathie noch eine Polyneuropathie lägen vor. Die schwere neurotische Störung sei durch anlagebedingte Wesenszüge, vor allem aber durch die frühkindliche Entwicklung hervorgerufen worden. Dr. P führte unter Berücksichtigung des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Dr. K in seinem Gutachten vom 26.05.2003 u.a. aus, insgesamt ergäben sich zwar Hinweise für fruchtschädigendes Potential beider Stoffe bei hoher Exposition. Diese führten aber in erster Linie zu frühzeitigen Schädigungen der Leibesfrucht mit der Folge des Aborts. Organschäden, insbesondere Immunstörungen würden nicht berichtet und ergäben sich auch aus den MAK-Wert-Begründungen nicht. Nachdem eine Polyneuropathie und eine Enzephalopathie nicht vorlägen und die neurotische Fehlentwicklung in keiner Weise einer pränatalen Einwirkung durch Lösemittel zugeordnet werden könne, sei eine wahrscheinliche Verursachung der weiter vorliegenden Leiden (erhöhte Infektanfälligkeit, Allergieerkrankung und Nahrungsmittelintoleranz) durch die pränatale Lösemitteleinwirkung nicht gegeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2003 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Am 11.08.2003 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht ...

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