Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverhältnismäßige krankheitsbedingte Kündigung bei Nichtdurchführung betrieblicher Eingliederungsmaßnahmen. Kündigungsschutzklage eines Schlossers bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin im Rahmen der erweiterte Darlegungs- und Beweislast zur leidensgerechten Beschäftigung

 

Leitsatz (amtlich)

Den Arbeitgeber trifft die Initiativlast für die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM). Hat der Arbeitnehmer das bEM abgelehnt, muss er erst dann wieder ein bEM anbieten, wenn sich in einem Zeitraum von maximal 365 Tagen abermals Fehlzeiten im in § 84 Abs. 2 SGB IX genannten Umfang angesammelt haben.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 1-2; SGB IX § 84 Abs. 1-2; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 1; SGB IX § 84 Abs. 2 Sätze 1, 3

 

Verfahrensgang

ArbG Flensburg (Entscheidung vom 19.09.2014; Aktenzeichen 1 Ca 256/14)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgericht Flensburg vom 19.09.2014 - 1 Ca 256/14 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen.

Der am ....1958 geborene, ledige Kläger trat am 01.10.1979 in die Dienste der Beklagten. Er arbeitete langjährig als Schlosser, zuletzt in der Wannenschmiede. Zum 01.07.2011 versetzte ihn die Beklagte in das Materiallager. Dort gehören zu seinen Aufgaben die Inventur, der Versand und das Kommissionieren. Sein Bruttomonatslohn beträgt 2.638,68 EUR.

Der Kläger war seit dem Jahr 2003 in erheblichem Umfang arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitsunfähigkeit bestand (jeweils Arbeitstage)

im Jahr 2003 an 81 Tagen,

im Jahr 2004 an 104 Tagen,

im Jahr 2005 an 87 Tagen,

im Jahr 2006 an 204 Tagen,

im Jahr 2007 an 70 Tagen,

im Jahr 2008 an 61 Tagen,

im Jahr 2009 an 113 Tagen,

im Jahr 2010 an 45 Tagen,

im Jahr 2011 an 127 Tagen,

im Jahr 2012 an 31 Tagen,

im Jahr 2013 an 69 Tagen

im Jahr 2014 bis Anfang März an 34 Tagen.

Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung

im Jahr 2003 für 65 Tage,

im Jahr 2004 für 34 Tage,

im Jahr 2005 für 2 Tage,

im Jahr 2006 für 30 Tage,

im Jahr 2007 für 30 Tage,

im Jahr 2008 für 59 Tage,

im Jahr 2009 für 17 Tage,

im Jahr 2010 für 42 Tage,

im Jahr 2011 für 61 Tage,

im Jahr 2012 für 31 Tage

im Jahr 2013 für 69 Tage

im Jahr 2014 bis März für 27 Tage.

Die Entgeltfortzahlungskosten betrugen

im Jahr 2003 7.620,29 EUR,

im Jahr 2004 4.075,74 EUR,

im Jahr 2005 243,50 EUR,

im Jahr 2006 3.652,51 EUR,

im Jahr 2007 3.738,90 EUR,

im Jahr 2008 7.738,36 EUR,

im Jahr 2009 2.239,83 EUR,

im Jahr 2010 5.616,09 EUR,

im Jahr 2011 8.360,50 EUR,

im Jahr 2012 2.703,62 EUR,

im Jahr 2013 9.862,23 EUR,

im Jahr 2014 4.128,62 EUR.

Seit der Versetzung im Jahr 2011 war der Kläger ausweislich der Bescheinigungen der Krankenkasse (Bl. 59 ff. d. A.) arbeitsunfähig wegen Erkrankungen der Atemwege und des Skelettapparates (Rückenwirbelsäule).

Der Kläger hat in den Jahren 2003, 2004 und 2006 jeweils Kuren durchgeführt. In den Jahren 2004, 2005 und 2009 fanden Wiedereingliederungsmaßnahmen nach dem Hamburger-Modell statt, nach denen er arbeitsfähig war und wieder arbeitete.

Die Beklagte lud den Kläger mit Schreiben vom 14.05.2013 zu einem Informationsgespräch (betriebliches Eingliederungsmanagement (= bEM) ein. In dem Gespräch, das am 20.06.2013 stattfand, wurde der Kläger über die Ziele des Eingliederungsmanagements aufgeklärt.

Der Kläger stimmte dem bEM auf einem vorformulierten Formular erst am 11.03.2014 zu. Zwischen dem Gespräch am 20.06.2013 und dem 11.03.2014 hatte er sich wegen des bEM gegenüber der Beklagten nicht geäußert. Ein bEM fand vor Ausspruch der Kündigung nicht mehr statt.

Der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat schloss mit der Beklagten eine Betriebsvereinbarung zum bEM mit Wirkung ab 11.02.2014 (Anlage K 4 = Bl. 70 ff. d. A.). In dieser Betriebsvereinbarung ist der Ablauf des bEM im Einzelnen geregelt. § 3 Ziffer 3.3. lautet u. a. wie folgt:

" Lehnt der/die Betroffene eine Teilnahme am betrieblichen Eingliederungsmanagement ab oder erklärt sich der/die Betroffene erst im Laufe des Gespräches nicht damit einverstanden, dass weitere Schritte durchgeführt werden, so ist das betriebliche Eingliederungsmanagement beendet. Das Angebot und die Ablehnung sind schriftlich zu dokumentieren und von dem/der Betroffenen zu bestätigen.

Besteht ein Zusammenhang zwischen der Arbeitsunfähigkeit und dem Arbeitsplatz und der/die Mitarbeiter/-in erkennt trotz überzeugender Gründe diesen Zusammenhang nicht und lehnt die Durchführung des BEM ab, sollte dem/der Mitarbeiter/-in erläutert werden, warum der Betrieb eine Handlungsnotwendigkeit in Bezug auf seine/ihre Arbeitsunfähigkeit sieht."

Die Beklagte hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 26.02.2014 zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an (Bl. 15 ff d. A.). Der Betriebsrat widersprach der Kündigung. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 05.03.2014 zum 31.10.2014.

Der Kläger hat gemeint, die Kündigung sei rechtsunwirksam. Die Gesundheitsprognose sei günstig. In den Jahren 2012 ...

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