Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwellenwert zur verpflichtenden Benennung eines Datenschutzbeauftragten. Datenschutz-Folgenanalyse bei Datenverarbeitung mit hoher Risikobewertung. Restriktive Auslegung des Begriffs "voraussichtlich hohes Risiko" in Art. 35 DSGVO. Kein besonderer Kündigungsschutz bei freiwilliger Bestellung eines Datenschutzbeauftragten. Der Grundsatz von Treu und Glauben im deutschen Kündigungsschutzrecht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 38 Abs. 1 S. 1 BDSG haben nichtöffentliche Verantwortliche und Auftragsbearbeiter einen Datenschutzbeauftragten zu benennen, wenn sie in der Regel mindestens 20 Personen ständig mit der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten beschäftigen.

2. Mit der Datenschutz-Folgenanalyse soll ermittelt werden, ob das identifizierte Risiko bei der Datenverarbeitung mit Hilfe von Abhilfemaßnahmen unter die Schwelle eines hohen Risikos reduziert werden kann und welche konkreten Maßnahmen hierfür geeignet sind. Folgt aus der Risikoanalyse dagegen, dass kein hohes Risiko besteht, hat der Verantwortliche seinen Pflichten aus Art. 35 DSGVO damit genügt.

3. Ein hohes Risiko im Rahmen des Art. 35 Abs. 1 DSGVO soll nach dem Willen des Gesetzgebers nur in Ausnahmefällen vorliegen, der Begriff des "voraussichtlich hohen Risikos" ist mithin restriktiv auszulegen.

4. Ist der Arbeitgeber zur Bestellung eines (stellvertretenden) Datenschutzbeauftragten nicht verpflichtet, greift der besondere Kündigungsschutz nach § 38 Abs. 2 BDSG nicht ein, wenn der Arbeitgeber freiwillig einen Datenschutzbeauftragten bestellt.

5. Das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Eine Kündigung verstößt deshalb in der Regel nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind. Es geht vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen, zum Beispiel vor Diskriminierungen.

 

Normenkette

BDSG § 38; BGB § 612 a; DSGVO Art. 35 ff.; KSchG §§ 1, 23; DSGVO Art. 9, 35, 37 Abs. 2; BDSG § 6 Abs. 4; BGB § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 05.05.2021; Aktenzeichen 12 Ca 3829/20)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 05.05.2021 - 12 Ca 3829/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 06.11.2020 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis beendet hat, oder aber nicht.

Der Kläger war auf der Grundlage eines schriftlich abgefassten Arbeitsvertrages, hinsichtlich dessen weiteren Inhalts auf Blatt 5 - 11 d.A. Bezug genommen wird, seit dem 01.01.2018 bei der Beklagten als Management Consultant gegen eine monatliche Bruttovergütung von zuletzt 7.336,55 EUR beschäftigt.

Die Beklagte ist ein Unternehmen im Bereich des Datenschutzes und IT-Sicherheit. Sie berät ihre Kunden in den Bereichen Datenschutz, z.B. durch Implementierung von Datenschutzmanagementsystemen oder durch die Übernahme des Mandats eines betrieblichen oder behördlichen Datenschutzbeauftragten. Hinsichtlich der insoweit wahrgenommenen Kerntätigkeiten der Beklagten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Beklagtenschriftsatz vom 20.11.2020 (S. 3 = Bl. 22 d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagte hat im Jahr 2020 weniger als 10 Mitarbeiter beschäftigt.

Gemäß Änderungsmitteilung vom 22.06.2020 (Bl. 34, 35 d.A.) wurde der Kläger mit Wirkung ab dem 01.07.2020 - weiterhin - als stellvertretender Datenschutzbeauftragter benannt. Mit Schreiben vom 26.11.2020 (Bl. 25 d.A.) hat die Beklagte die Benennung des Klägers zum stellvertretenden Datenschutzbeauftragten mit sofortiger Wirkung widerrufen.

Der Kläger hat in der Nacht vom 25. auf den 26.09.2020 einen Schlaganfall erlitten und war seitdem arbeitsunfähig erkrankt. Vom 12.10. bis 13.11.2020 unterzog er sich einer REHA-Maßnahme. Er war noch bis zum 20.11.2020 krankgeschrieben. Der Geschäftsführer der Beklagten rief den Kläger am 06.11.2020 an. Noch am selben Tag sprach die Beklagte die ordentliche Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses aus, die dem Kläger am 07.11.2020 zuging. Dem Kündigungsschreiben war eine Telefonnotiz vom 06.11.2020 beigefügt, hinsichtlich deren Inhalts auf Blatt 16 d.A. Bezug genommen wird.

Mit der am 09.11.2020 beim Arbeitsgericht Koblenz eingegangenen und der Beklagten am 25.11.2020 zugestellten Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung.

Der Kläger hat vorgetragen,

ihm könne als stellvertretendem Datenschutzbeauftragten nicht ordentlich gekündigt werden. Jedenfalls sei die Kündigung wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben sowie gegen das Maßregelungsverbot nach § 612 a BGB unwirksam.

Die Beklagte habe ihn als stell...

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