Entscheidungsstichwort (Thema)

Unbefristetes Arbeitsverhältnis aufgrund günstigerer arbeitsvertraglicher Regelung. Feststellungsantrag zur Entfristung des Arbeitsverhältnisses bei fehlendem Änderungsvorbehalt im Arbeitsvertrag

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Enthält der Arbeitsvertrag keine ausdrückliche Befristungsabrede, kann der Arbeitnehmer nach dem für die Auslegung von Verträgen maßgeblichen Blickwinkel (§§ 133, 157 BGB) eine bei seiner Einstellung getroffene Vereinbarung nicht anders als dahingehend verstehen, dass das Arbeitsverhältnis unbefristet und damit auf unbestimmte Zeit abgeschlossen wird; der unbefristete Abschluss des Arbeitsvertrages auf unbestimmte Zeit ist der gesetzliche Normalfall, so dass der Ausnahmefall des befristeten Arbeitsvertrages in der Regel einer sachlichen Rechtfertigung und der Annahme besonderer Umstände bedarf.

2. Betriebsvereinbarungen gelten gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend, so dass die Betriebsvereinbarung insbesondere unabhängig vom Willen der einzelnen Beschäftigten gesetzesgleiche Wirkung auf den Inhalt des Arbeitsverhältnisses entfaltet und zu ihrer Wirksamkeit einer weiteren Umsetzung nicht bedarf.

3. Der Grundsatz unmittelbarer und zwingender Geltung der Betriebsvereinbarung wird durch das Günstigkeitsprinzip erweitert; als allgemeine Kollisionsnorm des Arbeitsrechts schützt es unter anderem als vertragliche Regelung vor einer Verschlechterung durch Betriebsvereinbarungen, so dass einzelvertragliche Vereinbarungen gegenüber der Betriebsvereinbarung Vorrang haben, soweit sie eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung enthalten.

4. Die Feststellung, wann eine Betriebsvereinbarung für den Arbeitnehmer günstiger ist, erfolgt grundsätzlich nach dem individuellen Günstigkeitsvergleich.

5. Die Nichtregelung einer fest bestimmten Altersgrenze im Arbeitsvertrag ist günstiger als die kollektive Norm einer Betriebsvereinbarung, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses (etwa) zum 65. Lebensjahr vorsieht (Altersgrenzenregelung), denn der Arbeitnehmer erlangt dadurch eine größere Wahlfreiheit, ob er bei Erreichen der Altersgrenze ausscheiden oder weiterarbeiten möchte; die Nichtregelung einer fest bestimmten Altersgrenze muss allerdings bewusst erfolgt sein.

6. Nimmt der schriftlich abgeschlossene Arbeitsvertrag Bezug auf tarifvertragliche Regelungen, die eine Altersgrenze nicht enthalten, sowie auf eine "Arbeitsordnung" als einseitig von der Arbeitgeberin vorgegebene Regelung, nicht aber auf Betriebsvereinbarungen, kann zwar durch eine verschlechternde Betriebsvereinbarung auch dann eine arbeitsvertragliche Einheitsregelung wirksam und insbesondere ohne Verletzung des Günstigkeitsprinzips abgelöst werden, wenn diese insgesamt den Vorbehalt einer kollektiv-rechtlichen Abänderung enthält, also "betriebsvereinbarungsoffen" ausgestaltet ist; der Änderungsvorbehalt muss aber (ausdrücklich oder auch stillschweigend) in der Vereinbarung oder Zusage der Leistungsgewährung oder zumindest anlässlich der Verhandlungen über die vertragliche Regelung zum Ausdruck kommen (§ 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB) und bedarf unter Umständen der Auslegung im Einzelfall, wobei es maßgeblich darauf ankommt, dass dem einzelnen Arbeitnehmer der Hinweis auf eine spätere Betriebsvereinbarung oder eine frühere Beteiligung des Betriebsrats seinerzeit erkennbar war.

 

Normenkette

BGB §§ 305 ff.; BetrVG § 77 Abs. 4; BGB §§ 133, 157, 307 Abs. 1 S. 2, § 611 Abs. 1; BetrVG § 77 Abs. 4 S. 1; ZPO § 256 Abs. 1; TzBfG § 17

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 13.06.2013; Aktenzeichen 6 Ca 266/13)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 13.06.2013 - 6 Ca 266/13 - aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht durch Erreichen des gesetzlichen Rentenalters am 31.03.2013 sein Ende gefunden hat, sondern darüber hinaus unbefristet fortbesteht.

Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer rechtswirksamen Altersbefristung sein Ende gefunden hat, oder aber unbefristet fortbesteht.

Der Kläger ist aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 30.06.1992 bei der Beklagten als Mitarbeiter im Vertrieb beschäftigt. Er ist 65 Jahre alt und hat zuletzt ca. 5.000,00 EUR brutto verdient. Der Arbeitsvertrag enthält unter anderem folgende Regelungen:

"1. Herr A. wird mit Wirkung vom 01.10.1992 eingestellt.

Während der ersten 6 Monate kann das Dienstverhältnis beiderseits mit Monatsfristen zum Monatsende gekündigt werden. Nach Ablauf dieser 6 Monate gelten die gesetzlichen Kündigungsfristen. Eine gesetzliche Verlängerung der Kündigungsfrist gegenüber dem Angestellten gilt auch in gleicher Weise gegenüber der Firma als vereinbart.

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Arbeitszeit / Gehalt

Die tarifliche Arbeitszeit beträgt 37 Stunden pro Woche. Ltd. Betriebsvereinbarung wird pro...

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