Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame, außerordentliche Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit bei unsubstantiierten Darlegungen der Arbeitgeberin zur Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Täuscht der Arbeitnehmer unter Vorlage eines ärztlichen Attestes eine Arbeitsunfähigkeit vor und macht Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geltend oder lässt sich solche gewähren, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB vorliegen.

2. Die Vorlage eines ärztlichen Attestes begründet in der Regel den Beweis für die Tatsache der zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung. Ist es dem Arbeitgeber gelungen, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, indem er Umstände, die gegen die Arbeitsunfähigkeit sprechen, näher darlegt und notfalls beweist, ist es wiederum Sache des Arbeitnehmers, seinen Vortrag z.B. mit Hinweisen zu den Fragen, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben, welche Verhaltensmaßregeln der Arzt gegeben hat, welche Medikamente gegeben wurden, weiter zu substantiieren. Ist der Arbeitnehmer dieser Substantiierungspflicht nachgekommen, muss der Arbeitgeber aufgrund der ihm obliegenden Beweislast den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen.

3. Hier: Einzelfallentscheidung zur fehlenden Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; EFZG § 5 Abs. 1 S. 2; ZPO § 138 Abs. 1-2, § 286

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 21.03.2013; Aktenzeichen 6 Ca 898/12)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - 6 Ca 898/12 - vom 21. März 2013 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen um die Wirksamkeit einer von der Beklagten mit der Begründung vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung und um Vergütungsansprüche der Klägerin.

Die Klägerin wurde ab 22. August 2012 unter Vereinbarung einer dreimonatigen Probezeit mit zweiwöchiger Kündigungsfrist zu einer monatlichen Bruttovergütung von 1.600,00 Euro von der Beklagten als Versicherungskauffrau beschäftigt. Am Abend des 26. September 2012 führten die Klägerin und der Geschäftsführer der Beklagten ein inhaltlich streitiges Gespräch über die Arbeitsleistung der Klägerin. Nach dem Telefonat rief die Klägerin ihre Kollegin S. an. Die Einzelheiten des Telefonates sind zwischen den Parteien streitig, insbesondere die Behauptung der Klägerin, sie habe der Zeugin gesagt, sie sei wegen des heftigen Verlaufs des Gesprächs krank und werde deshalb am Folgetag einen Arzt aufsuchen und nicht zur Arbeit kommen. Ebenso ist zwischen den Parteien streitig, was die Zeugin S. dem Geschäftsführer der Beklagten bzw. dessen Ehefrau am Folgetag wegen des Nichterscheinens der Klägerin mitgeteilt hat. Die Zeugin hat der Klägerin auf deren Bitte hin ihre Lesebrille und einige private Fotografien aus dem Büro mitgebracht.

Mit Schreiben vom 28. September 2012 teilte die Beklagte der Klägerin unter Übersendung einer auf 1.448,61 Euro brutto und 1.085,70 Euro netto endenden Lohnabrechnung für September 2012 mit, sie nehme Bezug auf die von der Klägerin ausgesprochene Kündigung vom 26. September 2012 und bestätige die Aufhebung des Arbeitsvertrages im beiderseitigem Einvernehmen zum 27. September 2012. Eine ihr überlassene ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Klägerin vom 27. September 2012 für die Zeit vom 27. September 2012 bis 05. Oktober 2012 reichte die Beklagte mit Schreiben vom 01. Oktober 2012 unter Verweis auf das beendete Arbeitsverhältnis zurück. Mit Schreiben vom 02. Oktober 2012 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie habe zu keinem Zeitpunkt eine Kündigung ausgesprochen, sei zur Zeit krank geschrieben und werde nach vollständiger Genesung ihre Arbeitsstelle wieder antreten. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 10. Oktober 2012 vorsorglich fristlos, hilfsweise in der Probezeit ordentlich zum 25. Oktober 2012.

Die Klägerin, die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis einschließlich 25.Oktober 2012 vorgelegt hat, hat gegen die ihr am 11. Oktober 2012 zugegangene außerordentliche Kündigung am 31. Oktober 2012 beim Arbeitsgericht Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - Kündigungsschutzklage erhoben und zugleich die Septembervergütung geltend gemacht. Im Verlauf des Rechtsstreits hat sie die Klage um Entgeltfortzahlungsansprüche bis 25. Oktober 2012 nebst Abrechnungserteilung und einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung erweitert.

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen,

der Geschäftsführer der Beklagten habe vor dem Gespräch vom 26. September 2012 zunächst die Zeugin S. vorzeitig nach Hause geschickt und sämtliche Fenster seines Büros geschlossen. Er habe sie in dem Gespräch aufs heftigs...

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