Entscheidungsstichwort (Thema)

Wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung. Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten eines Chefarztes

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für eine fristlose Kündigung müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Ein solcher wichtiger Grund kann in einer erheblichen Verletzung der den Arbeitnehmer gem. § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers liegen.

2. Setzt ein Chefarzt in mehreren Fällen ohne Rücksichtnahme auf die Interessen Dritter seinen therapeutischen Ansatz eigenmächtig über seine Verpflichtung, den gesetzlichen Rahmen einzuhalten und die Interessen Dritter zu beachten, liegt eine gravierende Vertragsstörung vor, die zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung berechtigt. Einer vorhergehenden Abmahnung bedarf es dabei nicht.

 

Normenkette

BGB § 241 Abs. 2, § 626 Abs. 1-2, §§ 630d, 630e, 1631b Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Verden (Aller) (Entscheidung vom 26.03.2019; Aktenzeichen 2 Ca 278/18)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 12.01.2021; Aktenzeichen 2 AZN 724/20)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 26.03.2019, AZ: 2 Ca 278/18, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund arbeitgeberseitiger fristloser Kündigung, Beschäftigung und Zahlungsansprüche.

Der 1959 geborene Kläger war seit dem 01.04.2000 bei der Beklagten als Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (im Folgenden: KJP) beschäftigt. Für die Einzelheiten wird auf den maßgeblichen Dienstvertrag vom 03.04.2000 Bezug genommen (Blatt 7 ff. d. A.). Die durchschnittliche Bruttomonatsvergütung betrug ca. 34.000,00 €. Der Kläger erhielt außerdem monatlich eine Rufbereitschaftspauschale in Höhe von 1.547,44 € brutto und durchschnittlich monatlich 754,18 € brutto für die tatsächliche Inanspruchnahme von Rufbereitschaft. Das Arbeitsverhältnis war gemäß § 16 Ziffer 3 des Dienstvertrages nach Ablauf der Probezeit nur aus wichtigem Grund im Sinne von § 626 BGB kündbar. Für den gesamten Inhalt des Dienstvertrages vom 03. April 2000 wird auf Bl. 7 ff. Bezug genommen.

Der Kläger war seit dem 18.05.2018 von der Arbeitsleistung freigestellt. Hintergrund der Freistellung waren eine Anfrage der R. Kreiszeitung über Vorwürfe hinsichtlich der Leitung der KJP durch den Kläger und ein Schreiben eines niedergelassenen Arztes an den Theologischen Direktor Pastor R., in dem mitgeteilt wurde, dass der Fachbereich Medizin des Universitätskrankenhauses D-Stadt gebeten wurde, den Status der KJP - Klinik als Lehrkrankenhaus zu überprüfen. Die Freistellung des Klägers am 18.05.2018 war Gegenstand eines einstweiligen Verfügungs- und Hauptsacheverfahrens zu den Aktenzeichen 2 Ga 5/18 und 2 Ca 246/18, welches nach Ausspruch der hier streitigen Kündigung vom 29.06.2018 für erledigt erklärt wurde.

Mit Schreiben vom 23.05.2018 entzog das Universitätskrankenhaus D-Stadt der KJP den Status eines Lehrkrankenhaus. Die Beklagte richtete eine Beschwerdestelle für Patienten und andere Betroffene ein und beauftragte am 27.06.2018 Frau S., Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und Psychoanalytikerin mit der Erstellung eines Gutachtens über verschiedene Fragestellungen zur Behandlung von Patienten.

Die Beklagte hörte 0die bei ihr gebildete Mitarbeitervertretung mit Schreiben vom 22.06.2018 zur beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung des Klägers an und kürzte die Frist zur Stellungnahme auf drei Tage ab. Für den Inhalt des Schreibens wird auf Blatt 48 ff. der Akte Bezug genommen. Die Mitarbeitervertretung stimmte der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 27.06.2018 zu.

Mit Schreiben vom 29.06.2018, dem Kläger am selben Tag zugegangen, erklärte die Beklagte die außerordentliche Kündigung. Die Kündigung wurde auf eine seitens der Beklagten behauptete Tätlichkeit im Jahr 2015 durch den Kläger gegenüber einer Mitarbeiterin gestützt, die nach der Behauptung der Beklagten erst mit Mail vom 20.06.2018 der Geschäftsführung bekannt geworden sei.

Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens schob die Beklagte nach Anhörung und Zustimmung der Mitarbeitervertretung weitere Kündigungsgründe in den Rechtsstreit nach. Hierbei handelte es sich um nach der Behauptung der Beklagten vorsätzlich fehlerhafte Abrechnungen von Behandlungen, Fehlbehandlungen von Patienten aufgrund struktureller Missstände in der Klinik und einen Fall des Vertrauensbruchs gegenüber dem Familiengericht durch den Kläger im Zusammenhang mit der Beurlaubung des Patienten S. Den nachgeschobenen Kündigungsgründen lagen folgende Sachverhalte zugrunde:

Der Kläger rechnete u.a. Befundberichte für Sozialämter und andere Behörden unter Angabe sein...

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