Entscheidungsstichwort (Thema)

Einigungsstelleneinsetzungsverfahren. Betriebsänderung. EDV-Programm

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der für die Offensichtlichkeitsprüfung nach § 98 ArbGG erhebliche Sachverhalt ist von Amts wegen nach den allgemeinen Vorschriften über das Beschlussverfahren (§§ 8084 ArbGG) zu ermitteln. Ein Abstellen auf Hilfstatsachen (Indizien) reicht dafür nicht aus.

2. Die grundlegende Änderung von Betriebsanlagen kann auch in der Einführung einer neuen Software liegen, soweit damit qualitative Auswirkungen auf den Betriebsablauf, die Arbeitsweise oder die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer verbunden sind. Es muss sich dabei regelmäßig um tiefgreifende Änderungen in der Software handeln. Die Ergänzung der bisherigen Software um ein Programm zur Unterstützung der bisherigen Arbeitsabläufe reicht dafür nicht aus.

3. Für eine mögliche Betriebsänderung iSv § 111 Satz 1 BetrVG bedarf es des zusätzlichen Vorbringens wesentlicher Nachteile für die Belegschaft, um eine Einigungsstelle einrichten zu können.

 

Normenkette

ArbGG § 98; BetrVG § 111 S. 3 Nr. 4, S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Braunschweig (Beschluss vom 09.02.2007; Aktenzeichen 4 BV 12/07)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 9. Februar 2007 – 4 BV 12/07 – abgeändert.

Der Antrag des Betriebsrats und Beteiligten zu 1) wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob zu dem Regelungsgegenstand „Interessenausgleich und Abschluss eines Sozialplans über die Einführung des Redaktionssystems D.” eine Einigungsstelle einzurichten ist. Streitig ist, ob – gemessen am Maßstab der offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle – die geplante Einführung der Software D. im Zusammenhang mit der Buchherstellung den tatbestandlichen Voraussetzungen einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 S. 2 Nr. 4 BetrVG genügt oder sich nur als Ergänzung und Modernisierung der bisher eingesetzten Software darstellt.

Im zweiten Rechtszug hat die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) das Pflichtenheft „Redaktionssystem für die W.-Verlagsgruppe in der Version 1.0 vom 22. Juni 2005” zu den Gerichtsakten gereicht. Dieses Pflichtenheft ist auch dem Betriebsrat und Beteiligten zu 1) nach Abschluss des Verfahrens vom Arbeitsgericht Braunschweig – 7 BVGa 13/06 – ausgehändigt worden.

Im Betrieb der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 2) sind ca. 230 Arbeitnehmer beschäftigt. Von der Einführung des Redaktionssystems D. sind etwa 110 Redakteure, 30 Produktmanager und 25 Hersteller und in einer größeren Zahl externe Mitarbeiter betroffen.

Für den Standort B. besteht für den Betrieb der Beteiligten eine Betriebsvereinbarung vom 14. Juli 2004, die insbesondere zum Zwecke der Umsetzung von Mitbestimmungsrechten gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG zur Planung, Erprobung, Einführung, Anwendung und Änderung von EDV-Anlagen einschließlich der damit verbundenen Bildschirmarbeitsplätze abgeschlossen worden ist (Bl. 153 bis 157 d. A.). Darin sind unter anderem die Pflichten der Arbeitgeberseite zur Unterrichtung und Beteiligung des Betriebsrats festgelegt. Außerdem ist dort die Einweisung und Schulung der betroffenen Arbeitnehmer, die Arbeitsplatzgestaltung, der Gesundheitsschutz und die Grundsätze der Personaldatenverarbeitung einschließlich der Regelungen zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle und zum Datenschutz und zur Datensicherheit einvernehmlich bestimmt. Es ist weiter in 3.3 der genannten Betriebsvereinbarung vorgesehen, dass die zur Erprobung und Verbesserung von Funktionen der EDV-Systeme möglichen Testsysteme einer vorläufigen Betriebsvereinbarung bedürfen. Diese haben die Betriebspartner unter dem 4. Dezember 2006 für den Test- und Probebetrieb der Redaktionssoftware D. geschlossen. Die Betriebsvereinbarung über den Test- und Probebetrieb endet danach spätestens am 7. September 2007 ohne Nachwirkung (Bl. 13 d. A.).

Die Entscheidung über das Ob der Einführung des neuen Redaktionssystems unter Zuhilfenahme von D. ist ausweislich des Pflichtenheftes bereits gefallen. Wann und wie die Umsetzung erfolgt, ist auf Grund der noch nicht abgeschlossenen Testläufe offen.

Das Arbeitsgericht Braunschweig hat mit Beschluss vom 9. Februar 2007 antragsgemäß den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Müller-Glöge zum Vorsitzenden der Einigungsstelle bestellt und die Zahl der Beisitzer für beide Seiten auf je 3 festgesetzt. Dem weitergehenden Antrag des Betriebsrats, für beide Seiten je 5 Beisitzer in die Einigungsstelle zu entsenden, hat das Arbeitsgericht nicht entsprochen. In seiner Entscheidung, auf die auch hinsichtlich des Vorbringens im ersten Rechtszug Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass eine offensichtliche Unzuständigkeit der beantragten Einigungsstelle nicht gegeben sei. Es könne zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Einführung der Redaktionssoftware D. als interessenausgleichs- und sozialplanpflichtige Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG darstelle. Als Bet...

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