Entscheidungsstichwort (Thema)

Kausalität zwischen einem Merkmal des § 1 AGG und der Benachteiligung. Erleichterung der Darlegungslast in § 22 AGG. Kein Generalverdacht für diskriminierendes Verhalten

 

Leitsatz (amtlich)

Der Kläger, früherer katholischer Pastoralreferent und zwischendurch altkatholischer Pfarrer, erhält auf seine Bewerbung als Leiter der Telefonseelsorge beim beklagten Erzbistum eine Absage, weil er sich zur anberaumten Onlinevorstellung nicht eingefunden noch entschuldigt hat. Seine Klage auf Entschädigung, weil er als schwerbehinderter Mensch betroffen sei, war in erster wie in zweiter Instanz erfolglos: Es fehlte an der Darlegung von Indizien; einen Generalverdacht der Diskriminierung gibt es nicht.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zwischen der Benachteiligung und einem Merkmal des § 1 AGG muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Dafür genügt es, dass das betreffende Merkmal ein Motiv für das Handeln des Benachteiligenden im Sinne von Mitursächlichkeit ist, ohne ausschließliches oder auch nur wesentlichen Motiv sein zu müssen.

2. Eine Person, die sich durch eine Benachteiligung wegen ihrer Behinderung für beschwert hält, genügt ihrer Darlegungslast, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass sie als eine solche Person wahrgenommen und deshalb benachteiligt wurde.

3. Die bloße Behauptung "ins Blaue hinein", benachteiligt zu sein, ist irrelevant. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass die Ablehnung eines behinderten Menschen wegen seiner Behinderung erfolgt. Einen Generalverdacht diskriminierenden Verhaltens gibt es nicht.

 

Normenkette

AGG §§ 15, 22; RL 2000/43/EG Art. 8; RL 2004/113/EG Art. 9; RL 2000/78/EG Art. 10; RL 1997/80/EG Art. 14; AGG §§ 1, 3, 7 Abs. 1; SGB IX § 164 Abs. 1, § 178 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 28.04.2022; Aktenzeichen 22 Ca 8239/21)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 28.04.2022, Az: 22 Ca 8239/21, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch des Klägers.

Der Kläger, Diplomtheologe der katholischen Theologie, zunächst Pastoralreferent der katholischen Kirche, anschließend Priester der altkatholischen Kirche, bewarb sich bei der Beklagten auf die ausgeschriebene Position der Leitung der Telefonseelsorge Z (Ausschreibung in Anlage B6 zum Beklagtenschriftsatz vom 16.12.2021, BL. 70 d.A.). In seinem Schreiben vom 14.06.2021 (in Anlage zur Klage vom 29.08.2021, Bl. 3 der Akten) wies der Kläger darauf hin, dass er als schwerbehinderter Mensch anerkannt sei.

Mit Email vom 13.06.2021 bestätigte die Beklagte den Eingang der Bewerbung, mit solcher vom 23.06.2021 und nochmals mit solcher vom 30.06.2021 lud sie den Kläger zu einem Online-Vorstellungsgespräch am 05.07.2021, 09:30 Uhr, ein. Der Kläger bestätigte den Termin, nahm ihn aber nicht wahr. Auf Nachfrage der Beklagten hin berief er sich auf technische Probleme; eine Entschuldigung für den Ausfall erfolgte nicht.

Am Folgetag fand daraufhin ein Ersatzgespräch unter Beisein der Schwerbehindertenvertretung bei der Beklagten statt. Mit Email vom 12.08.2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Stelle sei anderweitig besetzt worden.

Mit seiner Klage vom 29.08.2021, die beim Arbeitsgericht München am 16.09.2021 eingegangen ist, fordert der Kläger Entschädigung in Höhe von € 8.000,-.

Zur Begründung hat er erstinstanzlich vorgetragen, er sei nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden, dessen Verlauf auf eine Einstellung habe schließen lassen. Es sei von einer Diskriminierung wegen seiner Schwerbehinderung auszugehen, solange die Beklagte nicht ihrerseits dargelegt und nachgewiesen habe, dass sie die Vorgaben des AGG eingehalten, die am Bewerbungsverfahren beteiligten Personen nach dem AGG geschult und ein ordnungsgemäßes Beschwerdeverfahren durchgeführt habe. Diese Beweislastumkehr entspreche der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Der Kläger hat daher folgenden Antrag angekündigt:

Der/Die Beklagte wird verurteilt, an mich als Kläger 8000,- EUR brutto/netto zu zahlen.

In der Güteverhandlung vom 17.11.2021 ist der Kläger nicht erschienen, noch war er vertreten oder entschuldigt. Gegen das daraufhin ergangene klageabweisende Versäumnisurteil, das dem Kläger am 19.11.2021 zugestellt worden ist, hat dieser mit Schriftsatz vom 26.11.2021, bei Gericht eingegangen am selben Tag, Einspruch eingelegt und zuletzt wie in der Klage beantragt.

Die Beklagte hat beantragt,

Das Versäumnisurteil vom 17.11.2021 bleibt aufrechterhalten.

Die Beklagte sieht keinen Anspruch des Klägers. Erstinstanzlich hat sie angegeben, Grund der Ablehnung des Klägers sei zum einen das Fehlen der in der Ausschreibung genannten therapeutischen Zusatzqualifikation beim Kläger gewesen, zum anderen ein Zweifel an dessen Verlässlichkeit, nachdem er sich auf das Vorstellungsgespräch vom 05.07.2021 nicht gemeldet und weder auf ...

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