Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Prozeßstandschaft des nachrangigen Pfändungsgläubigers

 

Leitsatz (amtlich)

Dem nachrangigen Pfändungsgläubiger steht es frei, statt gemäß §§ 853, 856 ZPO auf Hinterlegung des pfändbaren Schuldbetrages zu klagen, seine Klage direkt auf Leistung an den Bestberechtigten zu richten (gesetzliche Prozeßstandschaft).

 

Normenkette

ZPO §§ 853, 856

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 25.04.1990; Aktenzeichen 16 Ca 14/90)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25. April 1990 – 16 Ca 14/90 – aufgehoben.

II. Der Rechtsstreit wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufungsinstanz, an das Arbeitsgericht Berlin zurückverwiesen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte aufgrund eines am 20. Dezember 1988 zugestellten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses in Anspruch. Sie verlangt Zahlung des pfändbaren Teils der Vergütung ihres bei der Beklagten seit 1985 tätigen Schuldners für die Monate Januar und Februar 1989. Die Zahlung soll mit Rücksicht auf eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 04. Dezember 1985 an das Finanzamt Wilmersdorf erfolgen.

Die Klägerin hat behauptet, ihr Schuldner verrichte im Betrieb der Beklagten nach Art und Umfang Arbeiten, für die ihm ein Bruttogehalt von mindestens 6.000,– DM monatlich zustünde. Er unterhalte weiterhin die Geschäftsbeziehungen zu den größeren seiner eigenen früheren Kunden, weshalb er laufend nach Westdeutschland fliege. Im Jahre 1980 habe der Schuldner aus seiner damals noch selbständigen Tätigkeit ein Jahresgewinn von ca. 600.000,– DM erzielt.

Die Beklagte hat demgegenüber behauptet, der im Jahre 1929 geborene Schuldner könne wegen eines Asthmaleidens maximal 100 Stunden im Monat arbeiten. Hierfür erhalte er aufgrund seines 1985 geschlossenen Arbeitsvertrages 2.000,– DM brutt. Von dem sich daraus errechnenden Nettoverdienst in Höhe von 1.372,10 DM führe sie den pfändbaren Anteil von 424,20 DM a Finanzamt Wilmersdorf ab.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Klägerin fehle für ihr Begehren die Prozeßführungsbefugnis. Ihr Interesse daran, daß ihr Schuldner sei Schulden gegenüber vorrangigen Gläubigern tilge, sei bloß wirtschaftlicher, nicht jedoch rechtlicher Art.

Gegen dieses ihr am 15. Juni 1990 zugestellte Urteil richtet sich die am 26. Juni eingelegte und zugleich begründete Berufung der Klägerin. Sie ist der Ansicht, ihr Interesse an einer Durchsetzung der Forderung des bevorrechtigten Finanzamts ergebe sich daraus, daß sie wegen ihrer größeren Sachnähe als geschiedene Ehefrau des Schuldners über dessen Verhältnisse besser Bescheid wisse.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25. April 1990 – 16 Ca 14/90 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an das Finanzamt Wilmersdorf zur Steuernummer … 6.000,– DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und verweist darauf, daß die Klägerin über das jetzige Leben ihres Schuldners keine weitergehenden Kenntnisse haben könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

1.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 ArbGG statthafte und nach dem Beschwerdewert gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG zulässige Berufung der Klägerin ist fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG §§ 518, 519 Abs. 1 und 3 ZPO).

2.

Die Berufung ist sachlich begründet.

2.1

Die Klage ist zulässig.

2.1.1

Die Klägerin ist prozeßführungsbefugt. Sie kann im eigenen Namen aus fremden Recht von der Beklagten Leistung an einen vorrangigen Gläubiger verlangen.

Aufgrund der offenbar seinerzeit zugestellten und deshalb auch von der Beklagten mit monatlich 424,20 DM bedienten Pfändungs und Einziehungsverfügung des Finanzamts Wilmersdorf vom 04. Dezember 1985 ist das Finanzamt zur Einziehung des pfändbaren Teils des Gehaltsanspruchs des Schuldners der Klägerin für die Monate Januar und Februar 1989 berechtigt (§§ 282 Abs. 1, 305 Abs. 2 Satz 1, 314 Abs. 1 und 2, 315 Abs. 1 Satz 1, 319 AO, §§ 850 ff ZPO). Diese Einziehungsberechtigung gerichtlich geltend zu machen, ist die Klägerin aufgrund dessen befugt, daß sie hinsichtlich derselben Forderung einen der Beklagte am 20. Dezember 1988 zugestellten Pfändungs- und Überweisung beschluß erwirkt hat. Nach § 282 Abs. 3 AO geht das früher begründete Pfändungspfandrecht des Finanzamts Wilmersdorf Pfändungspfandrecht der Klägerin vor mit der Folge, daß die Klägerin nicht nach § 836 Abs. 1 ZPO berechtigt ist, die gepfändete Forderung selbst einzuziehen. Ebenso wie ihr jedoch gemäß §§ 853, 856 Abs. 1 ZPO die Befugnis eingeräumt ist, die Beklagte als Drittschuldnerin auf Hinterlegung des pfändbaren Schuldbetrages zu verklagen, ergibt sich aus ihrer Stellung als nachrangiger Pfändungsgläubigerin die gesetzliche Ermächtigung, auf Leistung an...

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