Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachweis der Stilltätigkeit im einstweiligen Verfügungsverfahren. Vermutung der Gefährdungslage für Schwangere bei Kontaktmöglichkeit mit Gefahrenstoffen. Widerlegung der Gefährdungsvermutung nach § 11 MuSchG bei ausreichendem Schutz durch Arbeitgeber. Summarische Prüfung der Gefährdungsbeurteilung durch Arbeitgeber im einstweiligen Verfügungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Will eine Arbeitnehmerin im einstweiligen Verfügungsverfahren erreichen, dass sie wegen ihres Stillens nicht mit bestimmten Tätigkeiten beschäftigt wird, obliegt es ihr, falls der Arbeitgeber ihr Stillen bestreitet und sie zur Vorlage einer aktuellen Stillbescheinigung aufgefordert hat, glaubhaft zu machen, dass sie zum Zeitpunkt der mündlichen Berufungsverhandlung noch stillt.

2. Die Kontaktmöglichkeit mit biologischen Gefahrstoffen begründet nach § 11 Abs. 1 Satz 2 MuSchG eine Vermutung für eine Gefährdungslage. Nach § 11 Abs. 1 Satz 3 MuSchG gilt allerdings die nach Satz 2 vermutete unverantwortbare Gefährdung als ausgeschlossen, wenn die schwangere Frau einen ausreichenden Immunschutz hat. Dem Arbeitgeber ist es ebenso in Bezug auf den Schutz stillender Frauen gemäß § 12 Abs. 2 Satz 4 MuSchG grundsätzlich gestattet, bestehende Immunisierungen zu berücksichtigen.

3. Ein Gefährdungsausschluss kann dann nach § 9 Abs. 2 Satz 3 MuSchG auch in Betracht kommen; danach gilt eine unverantwortbare Gefährdung als ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber alle Vorgaben einhält, die aller Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die Gesundheit einer stillenden Frau oder ihres Kindes nicht beeinträchtigt wird.

4. Ob im konkreten Fall der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung richtig erstellt hat und das Regierungspräsidium unter Bezugnahme auf das Empfehlungspapier des Ad-hoc-Ausschusses Stillschutz diese zu Recht als vertretbar und nachvollziehbar angesehen hat und ob wissenschaftliche Erkenntnisse dafür oder dagegen sprechen, kann im einstweiligen Verfügungsverfahren nur summarisch geprüft werden, weil die Möglichkeit der Hinzuziehung von Sachverständigen ausgeschlossen ist.

 

Normenkette

MuSchG §§ 12-13; ZPO § 940; MuSchG § 9 Abs. 2 S. 3, § 10 Abs. 1; ZPO § 936

 

Verfahrensgang

ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 14.04.2021; Aktenzeichen 8 Ga 1/21)

 

Tenor

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg - Kn. Lörrach - vom 14.06.2021 - 8 Ga 1/21 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Frage, ob der Arbeitgeberin, die eine Praxis für Zahnmedizin betreibt, im Rahmen einer einstweiligen Verfügung zu untersagen ist, die bei ihr beschäftigte Oralchirurgin oralchirurgische und zahnärztliche Tätigkeiten ausüben zu lassen.

Die Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) ist seit dem 1. Januar 2020 bei der Verfügungsbeklagten (im Folgenden: Beklagte) zuletzt als Oralchirurgin mit einer Bruttomonatsvergütung von ca. 7.500.- € beschäftigt.

Im Sommer 2020 wurde die Klägerin schwanger, worauf die Beklagte für die Zeit der Schwangerschaft ein betriebliches Beschäftigungsverbot aussprach.

Am 12. März 2021 brachte die Klägerin ihr Kind zur Welt. Bis einschließlich 20. Mai 2021 befand sie sich im Mutterschutz. Dann nahm sie bis einschließlich 22. Juni 2021 Resturlaub aus dem Jahr 2020 und wurde seitens der Beklagten aufgefordert, ihre Tätigkeit am 23. Juni 2021 wieder aufnehmen (Schreiben des Beklagtenvertreters v. 17. Mai 2021, Anl. 2).

Allerdings kam es zwischen den Parteien zum Streit, ob ein weiteres Beschäftigungsverbot wegen unverantwortbarer Gefährdungen aufgrund Stillen des Kindes vorliege. Diesbezüglich erstellte die Beklagte am 18. März 2021 eine Gefährdungsbeurteilung, wonach keine unverantwortbare Gefährdung für Mutter und Kind vorliege (Anl. 3).

Die Klägerin hat in ihrer beim Arbeitsgericht Freiburg - Kammern Lörrach - am 26. Mai 2021 eingegangenen einstweiligen Verfügungsklage im Wesentlichen vorgetragen, sie stille ihr Kind bis auf weiteres.

Ihre Tätigkeiten seien mit unverantwortbaren Gefährdungen für Mutter und Kind verbunden. In der Vergangenheit habe sie sich bei der Arbeit auch an Instrumenten verletzt. Es bestehe die Gefahr, dass sie mit Blut und Speichel von Patienten in Berührung komme, zum Beispiel durch das Spritzen von Körperflüssigkeiten in ihr Auge. Auch das sei schon vorgekommen. Ebenso sei eine Übertragung von Krankheiten durch Aerosole möglich. Zudem sei die Corona-Pandemie zu berücksichtigen. Die insgesamt vorliegenden Gefährdungen seien als unverantwortbar einzustufen. Es bestehe eine Gesundheitsgefahr für sie und ihr zu stillendes Kind. Es genüge schon eine sehr geringe Infektionsgefahr. Diese sei nicht durch Schutzvorkehrungen auszuschließen, weshalb stets ein Risiko bestehen bleibe. Die Berufung der Beklagten auf Hinweise und Empfehlungen zum Schutz stillender Frauen des Ad-hoc-Arbeitskreises Stillschutz sei nicht zulässig. Denn im Rahmen dieses Papiers würden die meisten Infektionskrankheiten aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht als mit un...

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