Rz. 2

§ 224 regelt den zur sachgerechten Risikozuordnung zwischen Renten- und Arbeitslosenversicherung notwendigen Finanzausgleich für arbeitsmarktbedingte Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Der Regelung liegt folgender rechtlicher Hintergrund bezüglich des Anspruchs auf Renten wegen (voller) Erwerbsminderung nach § 43 zugrunde:

 

Rz. 3

Der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ist nicht nur auf den in § 43 Abs. 2 Satz 2 geregelten Fall beschränkt, wonach volle Erwerbsminderung vorliegt, wenn das krankheitsbedingt geminderte Restleistungsvermögen des Versicherten auf einen täglichen Arbeitseinsatz von unter 3 Stunden reduziert ist. Voll erwerbsgemindert ist über den Wortlaut des Gesetzes hinaus auch der Versicherte, der noch 3, aber keine 6 Stunden täglich mehr erwerbstätig sein kann (und der damit nach dem Wortlaut des § 43 Abs. 1 Satz 2 nur teilweise erwerbsgemindert ist), wenn er einen seinem Restleistungsvermögen entsprechenden (Teilzeit-)Arbeitsplatz nicht innehat und damit arbeitslos ist (Arbeitsmarktrente; vgl. hierzu die Gesetzesbegründung zu § 43 in BT-Drs. 14/4230 S. 23, 25, sowie BSG, Urteil v. 19.10.2011, B 13 R 78/09 R). Obwohl der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit v. 20.12.2000 (BGBl. I S. 1827) auch das Ziel verfolgte, das Risiko der Vermittlung eines Arbeitsplatzes eindeutig(er) der Arbeitslosenversicherung und das der krankheitsbedingten Erwerbsminderung klarer der gesetzlichen Rentenversicherung zuzuordnen, behält auch § 43 die von der Rechtsprechung des BSG zum (früheren) Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelte sog. konkrete Betrachtungsweise bei (vgl. BSGE 30 S. 167; 30 S. 192; 43 S. 75; 95 S. 112 st. Rspr., zuletzt BSG, Urteil v. 19.10.2011, B 13 R 78/09 R, sowie Urteil v. 9.5.2012, B 5 R 68/11 R). Diese Rechtsprechung des BSG, die zunächst noch zu den entsprechenden Bestimmungen der RVO und des AVG ergangen war, war von der Grundvorstellung des BSG getragen, dass der deutsche Arbeitsmarkt im Wesentlichen durch Vollzeitarbeitsplätze geprägt sei und Teilzeitarbeitsplätze nur in geringer Zahl vorhanden seien. Demnach müsse bei einem vollschichtig leistungsfähigen Versicherten vom Grundsatz her davon ausgegangen werden, dass er – trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen – noch eine reale Chance der Vermittelbarkeit eines leidensgerechten Arbeitsplatzes besitze, auch wenn er arbeitslos sei.

 

Rz. 4

Diese Rechtsprechung ist nunmehr – bezogen auf die nach § 43 maßgebliche Zeitgrenze von 6 Stunden – in § 43 Abs. 3 verankert, wonach ein 6-stündiges Leistungsvermögen vom Grundsatz her den Tatbestand der Erwerbsminderung ausschließt (vgl. hierzu Komm. zu § 43). Bei arbeitslosen Versicherten, die jedoch untervollschichtig leistungsfähig sind (also bei arbeitslosen Teilzeitkräften), müsse – so das BSG zum Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit nach § 44 in seiner bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung – jedoch im Hinblick auf die nur geringe Zahl von Teilzeitarbeitsplätzen im Einzelfall konkret geprüft werden, ob der Versicherte einen seinem Restleistungsvermögen entsprechenden Teilzeitarbeitsplatz innehabe oder ihm ein solcher vermittelt werden könne (= konkrete Betrachtungsweise). War dies nicht der Fall, so war von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes und der Begründetheit des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auszugehen. Diese Rechtsprechung findet nunmehr auf die Versicherten Anwendung, die nur noch 3- bis unter 6-stündig täglich leistungsfähig sind und über einen entsprechenden Arbeitsplatz nicht verfügen. Auch wenn diese Auslegung des Gesetzes dem Gesetzeswortlaut nicht (unmittelbar) entnommen werden kann (vgl. auch Majerski-Pahlen, in: NZS 2002 S. 457), ist sie in der Praxis der Rentenversicherungsträger und der Rechtsprechung allgemein anerkannt (vgl. BSG, Urteil v. 19.11.2011, B 13 R 78/09 R) und findet auch im Gesetz (vgl. hierzu Komm. zu § 43 und zu § 102) und nicht zuletzt in § 224 ihre Stütze.

 

Rz. 5

Für den anspruchsberechtigten Personenkreis trägt mithin die Rentenversicherung das Arbeitsmarktrisiko mit der Folge, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld und eine entsprechende finanzielle Belastung der Bundesagentur für Arbeit nicht besteht; denn der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht gemäß § 156 Abs. 1 Nr. 3 SGB III während der Zeit, für die dem Arbeitslosen eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt ist. Vor diesem Hintergrund war es nur sachgerecht, die Bundesagentur mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zum 1.1.2001 entsprechend einer bereits langjährig erhobenen Forderung (vgl. zur Historie der Gesetzesentwicklung Finke, in: Hauck/Haines, Gesetzlichen Rentenversicherung, Bd. 2, § 224 Rz. 5) gesetzlich zu entsprechenden Ausgleichszahlungen zugunsten der gesetzlichen Rentenversicherung zu verpflichten.

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