0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

§ 103 ist am 1.1.1992 in Kraft getreten und hat im Wesentlichen die frühere Regelung aus § 1277 Abs. 1 Satz 1 RVO, § 54 AVG ersetzt. Jedoch hat der Gesetzgeber eine Erweiterung insoweit vorgenommen, als im ab 1992 geltenden Recht sich der Rechtsausschluss nicht nur auf die Renten wegen Berufsunfähigkeit und wegen Erwerbsunfähigkeit, sondern auf alle Rentenleistungen bezieht, für die eine Erwerbsminderung erforderlich ist (BT-Drs. 11/4124). Das Rentenreformgesetz 1999 v. 16.12.1997 (BGBl. I S. 2998) sah die Streichung der Worte "Berufsunfähige und Erwerbsunfähige" zum 1.1.2000 vor. Durch das Korrekturgesetz v. 19.12.1998 (BGBl. I S. 3843) ist der Termin um ein Jahr verschoben worden.

Durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit v. 20.12.2000 (BGBl. I S. 1827) sind mit Wirkung zum 1.1.2001 die Worte "Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige" endgültig gestrichen worden. Es handelt sich um eine Folgeänderung, die aufgrund der Änderung von § 37 erforderlich war. Die Vorschrift ist durch das SGB IX v. 19.6.2001 (BGBl. I S. 1046) mit Wirkung zum 1.7.2001 nochmals redaktionell geändert worden.

1 Allgemeines

 

Rz. 1a

§ 103 bestimmt, dass ein Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Altersrente für schwerbehinderte Menschen oder große Witwen-/Witwerrente für die Personen nicht bestehen soll, die die gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine der Voraussetzungen für diese Renten ist, absichtlich herbeigeführt haben. Die Versichertengemeinschaft soll nicht von diesen Personen in Anspruch genommen werden können. Damit wird das Prinzip der Solidargemeinschaft (LSG Hessen, Urteil v. 23.8.2019, L 5 R 226/18) der Versicherten (und Arbeitgeber) gestärkt. Parallelvorschriften gibt es in § 1 Abs. BVG, § 81 Abs. 8 SVG, § 2 Abs. 1 Satz 2 OEG und § 47 Abs. 7 ZDG.

2 Rechtspraxis

2.1 Ausschluss

 

Rz. 2

Regelmäßig ist es für den Rentenanspruch ohne Bedeutung, auf welcher Ursache die gesundheitliche Beeinträchtigung beruht. Ein Rentenanspruch wird nämlich grundsätzlich nicht ausgeschlossen, wenn die Gesundheitsstörung durch schuldhaftes Verhalten des Berechtigten eingetreten ist. Die Rente soll nur dann ausgeschlossen sein, wenn die sie begründenden Gesundheitsstörungen absichtlich herbeigeführt worden sind (LSG Hessen, Urteil v. 23.8.2019, L 5 R 226/18). Die Weigerung, sich ernsthaft behandeln zu lassen, ist keine absichtliche Herbeiführung einer verminderten Erwerbsfähigkeit. Allerdings ist dann zu prüfen, ob eine mangelnde Mitwirkung mit den Rechtsfolgen gemäß § 60 SGB I vorliegt (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 23.6.2020, L 9 R 1194/19). Dies ist Ausdruck des in der gesetzlichen Rentenversicherung geltenden Solidaritätsprinzips. Vom Ausschluss betroffen sind Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§§ 43, 45 Abs. 1 und 2), Altersrenten für schwerbehinderte Menschen (§ 37), große Witwen- bzw. Witwerrenten (§ 46 Abs. 2, § 243 Abs. 2). Für andere Renten ist die Vorschrift nicht, auch nicht entsprechend, anwendbar, da sie als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 11.9.2020, L 9 R 1194/19). Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen hat der Rentenversicherungsträger, ohne dass ihm Ermessen eingeräumt ist, die Gewährung einer Rente abzulehnen.

2.2 Absicht

 

Rz. 3

Während es anfänglich (§ 1261 RVO a. F.) für den Ausschluss als ausreichend angesehen wurde, dass der Versicherte sich vorsätzlich invalide gemacht hat, ist später dann in § 1277 Abs. 1 Satz 1 RVO das Tatbestandsmerkmal "absichtlich" eingefügt worden. Absichtlich handelt, wer erstens weiß, dass er durch sein Tun die Erwerbsminderung herbeiführt, und zweitens dies auch will (direkter Vorsatz). Die Herbeiführung einer Erwerbsminderung durch Unterlassen reicht grundsätzlich auch aus. Davon zu unterscheiden ist aber das nicht ausreichende Unterlassen einer Beseitigung der Erwerbsminderung. Nicht erforderlich ist es jedoch, dass der Versicherte nur das Ziel hatte, die Voraussetzungen für den Rentenanspruch zu schaffen. Es muss jedoch als ausreichend angesehen werden, wenn er wusste, Folge seines Handelns werde eine die Rentenleistung auslösende gesundheitliche Beeinträchtigung sein. Es kann jedoch nicht als ausreichend angesehen werden, wenn der Versicherte nur mit der Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit der Minderung der Erwerbsfähigkeit gerechnet hat, selbst wenn er die Erwerbsminderung billigend in Kauf genommen hat (bedingter Vorsatz – dolus eventualis).

 

Rz. 4

Hat ein Versicherter einen Selbstmordversuch begangen, so ist sein Vorsatz auf den Tod, nicht auf die Selbstbeschädigung gerichtet. Die Selbstbeschädigung nimmt er allenfalls im Sinne eines dolus eventualis in Kauf. Es besteht danach i. d. R. ein Rentenanspruch. Ist die gesundheitliche Beeinträchtigung durch Alkohol- oder Drogenabhängigkeit hervorgerufen, so ist § 103 nicht anwendbar. Soweit eine andere Ansicht vertreten wird (BSG, Urteil v. 25.6.1964, 4 RJ 425/63; LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 22.10.2011, L 7 RJ 15/00; Hauck/Haines, SGB VI, § 103 Rz. 5), wird die psychische Situation ein...

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