Der Fall

Die Arbeitgeberin stellte im Frühjahr 2017 nacheinander zwei neue Beschäftigte als "Mitarbeiter Vertrieb/Außendienst" ein, die die gleichen Verantwortlichkeiten und Befugnisse hatten und sich bei Urlaub und Krankheit gegenseitig vertraten. Die Klägerin ist im März 2017 als Außendienstmitarbeiterin eingestellt worden, ihr Kollege P bereits im Januar 2017.

Die Arbeitgeberin bot beiden Mitarbeitern bei ihrer Einstellung ein Grundgehalt von brutto 3.500 EUR/Monat sowie eine umsatzabhängige Provision nach 10 Monaten. Der männliche Bewerber P verlangte 4.500 EUR, auf die sich der Arbeitgeber dann auch einließ. Die Klägerin akzeptierte hingegen das Angebot von 3.500 EUR, wollte aber zusätzlich noch 20 Tage unbezahlte Freistellung.

2018 wurde ein Haustarifvertrag geschlossen mit einer entsprechenden Entgelttabelle. Mitarbeiter P erhielt ausgehend von seinem höher verhandelten ursprünglichen Gehalt und unter Anwendung einer im Tarifvertrag vorgesehenen Deckelung brutto 4.120 EUR gezahlt, während die Klägerin nur brutto 3.620 EUR/Monat erhielt.

Die Klägerin verlangte eine Gehaltsnachzahlung in Höhe der Differenz zum Gehalt des Arbeitnehmers P und Zahlung einer Entschädigung wegen geschlechtsbezogener Entgeltdiskriminierung.

Die Arbeitgeberin verteidigte die Ungleichbehandlung bei der Vergütung im Wesentlichen mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Außerdem sei Mitarbeiter P nur gegen Zahlung eines höheren Entgelts bereit gewesen, das Arbeitsverhältnis einzugehen.

Die Entscheidung (BAG, Urteil v. 16.2.2023, 8 AZR 450/21)

Anders als die Vorinstanzen (Sächsisches LAG) gab das BAG der Klägerin recht.

In der geringeren Vergütung der Klägerin gegenüber ihrem Kollegen P bei gleicher Arbeit sah das BAG die Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts, die zu einer Gehaltsnachzahlung und einer von der Arbeitgeberin zu zahlenden Entschädigung führte.

Anspruchsgrundlage für die Zahlung des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts sind Art. 157 AEUV, der zwingenden Charakter hat und von den Gerichten direkt anzuwenden ist, und §§ 3 Abs. 1, 7 EntgTranspG.

Bereits seit dem Urteil des BAG[1] wird eine geschlechtsbezogene Entgeltdiskriminierung vermutet, wenn ein Mitarbeiter aufzeigen kann, dass Mitarbeiter des anderen Geschlechts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit mehr verdienen. Der Arbeitgeber muss dies dann im Wege des "Vollbeweises" widerlegen.

Da die Klägerin und der Mitarbeiter P gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten und die Klägerin für den Zeitraum ab 1.3.2017 ein um 1.000 EUR und ab 1.7.2018 ein um 500 EUR brutto geringeres monatliches Grundentgelt erhalten hat als der Kollege P, besteht in Bezug auf das Entgelt nach § 22 AGG die Vermutung einer Benachteiligung der Klägerin wegen des Geschlechts.

Der Arbeitgeber hat deshalb darzulegen und zu beweisen, dass das unterschiedliche Entgelt nichts mit dem Geschlecht der Klägerin zu tun hat.

Nach Ansicht des BAG konnte die Arbeitgeberin die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts nicht widerlegen: Dass der Arbeitgeber dem höheren Gehaltsverlangen eines Beschäftigten des anderen Geschlechts nachgegeben hat, schließt gerade nicht aus, dass das Geschlecht hierfür nicht mitursächlich war.

Zunächst ist der Vergleich der Entgelthöhe auf das Grundgehalt zu beschränken. Andere Entgeltbestandteile sind nicht einzubeziehen. Der Grundsatz der Entgeltgleichheit besteht hinsichtlich jedes einzelnen Bestandteils des Entgelts. Nur auf diese Weise kann echte Transparenz und wirksame Kontrolle erreicht werden. Es erfolgt somit keine Gesamtbewertung der Entgeltbestandteile.

Andere Gründe für eine zulässige Unterscheidung beim Entgelt hatte die Arbeitgeberin nicht ausreichend vorgetragen: Dazu gehören beispielsweise die bessere Qualifikation eines Bewerbers (im Sinne einer fachspezifischen Ausbildung oder einschlägigen Berufserfahrung). Ebenso können unter Umständen Personalgewinnungsschwierigkeiten am Arbeitsmarkt bzw. die Personalsituation im Betrieb eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Diese Umstände sind aber zu belegen. Nur wenn der Arbeitgeber keinen anderen geeigneten Bewerber hatte, kann er sich darauf berufen.

Der Arbeitgeber muss in diesem Fall einen Vortrag leisten, der eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung durch die Gerichte erlaubt.[2] Bloße allgemeine Behauptungen genügen zur Widerlegung hingegen nicht. Dies erfordert bereits bei Einstellung eine gründliche Dokumentation nebst Beweissicherung.

Aufgrund der geschlechtsbezogenen Entgeltdiskriminierung – auch durch die zu Unrecht angewandte Deckelung im Haustarifvertrag ab Juli 2018 – steht der Klägerin eine Entschädigung nach § 15 AGG wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 AGG zu. Unter Berücksichtigung der Aspekte der Schadenkompensation einerseits und der Prävention andererseits sah das BAG (zusätzlich zu der Zahlung des Differenzgehalts) einen Betrag von 2.000 EUR als verhältnismäßig an.

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