In einer weiteren Entscheidung des EuGH ging es um die Frage, ob der Urlaub im Falle einer Langzeiterkrankung des Arbeitnehmers über mehrere Jahre auch ohne Belehrung des Arbeitgebers über den Verfall des Urlaubs auch in dem Jahr verfällt, in dem der Arbeitnehmer noch einen Teil des Jahres gearbeitet hat bevor er dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt ist.

Der Fall

Der Arbeitnehmer ist seit dem Jahr 2000 beschäftigt. Er bezieht seit dem 1.12.2014 eine Rente wegen voller, aber nicht dauerhafter Erwerbsminderung, die zuletzt bis zum 31.8.2022 verlängert wurde. Im Jahr 2014 arbeitete er, bis er aufgrund seiner Erkrankung die Erwerbsminderungsrente erhielt. Der Arbeitnehmer erhob Klage auf die Feststellung, dass ihm 34 Tage bezahlter Jahresurlaub aus dem Jahr 2014 zustehen. Diese Urlaubstage habe er aufgrund seines Gesundheitszustands nicht in Anspruch nehmen können. Die Arbeitgeberin sei ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen, an der Gewährung und Inanspruchnahme des Urlaubs mitzuwirken. Das BAG hat dem Europäischen Gerichtshof diesen Fall vorgelegt und angefragt, ob auch hier ein Verfall des Urlaubs deswegen ausgeschlossen ist, weil der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten über den Verfall des Urlaubs am Jahresende nicht nachgekommen ist. Die Frage drängte sich deshalb auf, weil der Arbeitnehmer nach dem Jahr 2014 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt war und auch im Falle einer Belehrung der Urlaub möglicherweise dennoch am 31.3.2016 (also 15 Monate nach Ende des Jahres 2014) verfallen wäre.

Die Entscheidung (EuGH, Urteil v. 22.9.2022, C-518/20, C-727/20)

Der EuGH hat die Vorlagefrage des BAG dahin beantwortet, dass im vorliegenden Fall der Urlaub nicht verfällt, weil der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten nicht nachgekommen ist. Art. 7 RL 2003/88 und Art. 31 II GRCh sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub, den er in einem Bezugszeitraum erworben hat, in dessen Verlauf er tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, entweder nach Ablauf eines nach nationalem Recht zulässigen Übertragungszeitraums oder später auch dann erlöschen kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch auszuüben. Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dazu muss er den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahrs oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt.[1] Hat der Arbeitgeber diesen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, tritt der am 31.12. des Urlaubsjahrs nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1.1. des Folgejahrs entsteht. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG. Der Arbeitgeber kann deshalb das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren dadurch vermeiden, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt.[2]

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung betrifft nur den Fall, dass die Arbeitnehmer erst im Laufe eines Kalenderjahres arbeitsunfähig erkranken und dann lange Zeit arbeitsunfähig bleiben. Sind Arbeitnehmende während des ganzen Kalenderjahres arbeitsunfähig und werden auch bis zum Ablauf des erweiterten Übertragungszeitraumes von 15 Monaten (also bis zum 31. März des übernächsten Jahres) nicht wieder arbeitsfähig, so verfällt der Urlaub auch dann, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten nicht nachgekommen ist. Das hatte das BAG bereits entschieden und mit Urteil vom 7.9.2021[3] auch nochmals bestätigt. Dem Arbeitgeber ist zu raten, bei langzeitkranken Arbeitnehmern die Belehrung für das Jahr, in dem die langandauernde Arbeitsunfähigkeit begonnen hat, nachzuholen. Ob das die Rechtsprechung akzeptiert, ist noch offen. In jedem Fall sollte der Arbeitgeber die Belehrung nachholen, wenn der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin wieder arbeitsfähig wird. Dann ist darauf zu achten, dass die Belehrung das richtige Datum für den Verfall des Urlaubs angibt, wobei es dem Arbeitgeber unbenommen ist, eine großzügigere Verfallfrist mitzuteilen.

Das BAG hat den Fall mittlerweile entsprechend der Vorabentscheidung des EuGH entschieden und dem Arbeitnehmer die begehrten Urlaubstage aus dem Jahr 2014 zugesprochen.[4]

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