Hat der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten bezüglich des Verfalls des Erholungsurlaubes nicht genügt, verfällt der Urlaub nicht am Jahresende, sondern wird dem Erholungsurlaub des Folgejahres zugeschlagen.

Da die Hinweispflicht des Arbeitgebers durch die Rechtsprechung erst im Jahre 2019 entwickelt worden ist, aber gleichwohl auch für die Vergangenheit gilt, kommt es zu Situationen, in denen Arbeitnehmer, die in der Vergangenheit über Jahre hinweg nicht den vollen Erholungsurlaub in Anspruch genommen haben, nun – insbesondere, wenn sie ausscheiden – nachträglich diese nicht genommenen Urlaubstage verlangen.

Da der Arbeitgeber in aller Regel den Arbeitnehmer nicht über den Verfall des Urlaubs hinreichend belehrt hat, kann er sich auch nicht darauf berufen, dass der Urlaub am Jahresende nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen ist. So kann es dazu kommen, dass wie im nachfolgenden Fall eine große Zahl an Urlaubstagen nicht erfüllt worden ist.

Der Fall

Die Arbeitnehmerin war vom 1.11.1996 bis zum 31.7.2017 bei B beschäftigt. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte sie von B für die von ihr zwischen 2013 und 2017 nicht genommenen 101 Tage bezahlten Jahresurlaubs Urlaubsabgeltung.

B lehnte es ab, ihr den Jahresurlaub abzugelten und berief sich u. a. auf die Verjährung.

Das BAG[1] war der Ansicht, nach § 7 Abs. 3 BUrlG seien die Ansprüche der Arbeitnehmerin für die Jahre 2013–2016 nicht erloschen, weil B die Arbeitnehmerin nicht in die Lage versetzt habe, ihren bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zur gebotenen Zeit zu nehmen. Jedoch wird darauf hingewiesen, dass B eine Einrede der Verjährung nach § 194 BGB erhoben hat. Nach §§ 195 und 199 BGB verjähren die Ansprüche eines Gläubigers 3 Jahre nach dem Schluss des Jahres, in dem sein Anspruch entstanden ist. Deshalb hat es den Fall dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Damit stellt sich die Frage, ob Urlaubsansprüche auch dann verjähren, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten auf den Verfall des Urlaubs am Jahresende nicht nachgekommen ist.

Die Entscheidung (EuGH, Urteil v. 22.9.2022, C-120/21)

Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin für einen Bezugszeitraum erworben hat, verjährt nicht nach Ablauf einer Frist von 3 Jahren, deren Lauf mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem dieser Anspruch entstanden ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen. Der EuGH führt wörtlich aus:

"Ließe man zu, dass sich der AG auf die Verjährung der Ansprüche des AN berufen kann, ohne ihn tatsächlich in die Lage versetzt zu haben, diese Ansprüche wahrzunehmen, würde man unter diesen Umständen im Ergebnis ein Verhalten billigen, das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des AG führt und dem eigentlichen von Art. 31 II GRCh verfolgten Zweck, die Gesundheit des AN zu schützen, zuwiderläuft."

Mittlerweile hat das BAG der Arbeitnehmerin die weitere Urlaubsabgeltung in Umsetzung der Vorabenscheidung des EuGH zugesprochen.[2]

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung des EuGH hat vor allem Bedeutung für Sachverhalte, in denen die Arbeitnehmer vor dem Jahr 2019 ihren jeweiligen Jahresurlaub nicht vollständig genommen haben. Wie der Ausgangsfall zeigt, können hier über Jahre hinweg zahlreiche offene Urlaubstage zusammenkommen. Bisher konnte sich der Arbeitgeber "notfalls" auf den Verfall des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 BUrlG berufen. Seit der EuGH, und mit ihm das BAG verlangt, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmenden zuvor über den Verfall des Urlaubs belehrt haben muss, ist dieser Weg versperrt. Die Rechtsprechung bezüglich der Hinweispflichten gilt auch für Altfälle, ab dem Jahr 2003 (Inkrafttreten der Richtlinie 2003/88). Ungeklärt war noch, ob der Arbeitgeber sich in diesen Fällen nicht wenigstens darauf berufen konnte, dass der Urlaub nach 3 Jahren ab Ende des Urlaubsjahres verjährt ist. Die Möglichkeit der Verjährung hat der EuGH zwar nicht ausgeschlossen, aber davon abhängig gemacht, ob der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten über den Verfall des Urlaubs nachgekommen ist. Damit ist es ausgeschlossen, dass sich der Arbeitgeber auf die Verjährung des Urlaubs für die Vergangenheit beruft, wenn er nicht über den Verfall zum Jahresende belehrt hat. Damit ist für Fallgestaltungen, in denen der Arbeitnehmer den Urlaub regelmäßig nicht vollständig genommen hat, andererseits aber der Arbeitgeber ihn nicht über den Verfall des Urlaubs belehrt hat, der Ausweg über die Verjährung ausgeschlossen und der Arbeitgeber hat auch in diesen Fällen erhebliche Abgeltung- oder Nachgewährungsansprüche zu erfüllen.

Diese Rechtsprechung gilt aber nur für Urlaubsansprüche – und hier auch nur für den gesetzlichen Mindesturlaub. Ist der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin zwischenzeitlich aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, so stehen ihm oder ihr lediglich Urlaubsabgeltungsansprüche zu. Diese unterliegen als reine Entgeltansprüche Ausschlussfristen bzw. der gesetzlichen Verjährung.[3]

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