Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Antragstellung. Bedingungsfeindlichkeit. Unwirksamkeit. Verwaltungsverfahren. Mitwirkungspflichten. Datenschutz

 

Leitsatz (amtlich)

Der Antrag nach § 37 SGB 2 ist bedingungsfeindlich. Ein bedingter Antrag kann das Verwaltungsverfahren nicht in Gang setzen. Stellt ein Antragsteller nach dem SGB 2 einen zunächst wirksam gestellten Antrag unter eine Bedingung - hier, dass der Grundsicherungsträger eine Verarbeitung seiner Daten mittels EDV unterlasse - so macht dies den Antrag jedenfalls insofern unwirksam, als dieser seine Türöffnerfunktion (vgl BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 166/11 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 31) nicht weiter erfüllen kann.

 

Orientierungssatz

Ein Antragsformular muss gem § 60 SGB 1 nur insoweit ausgefüllt werden, als die Angaben für die Feststellung des Leistungsanspruchs erheblich und daher erforderlich sind. Die Nichtverwendung des Antragsformulars macht den Antrag nicht unwirksam. Wird ein Antrag formlos gestellt und werden in eindeutiger und leicht zu erfassender Weise alle zur Beurteilung eines Leistungsanspruchs notwendigen Angaben gemacht, so muss der Leistungsträger den Antrag bearbeiten und ggf Leistungen gewähren.

 

Normenkette

SGB II § 37; SGB I §§ 60, 36, 16 Abs. 3; SGB X §§ 11, 9, 20, 67 Abs. 1

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 18. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligte haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Der 1960 geborene Antragsteller bezog bis Ende September 2004 Leistungen der Arbeitsagentur Kassel. Im August 2004 übersandte die Bundesagentur für Arbeit dem Antragsteller einen Antragsvordruck zur Antragstellung nach dem SGB II mit dem Hinweis, dass nur bei rechtzeitiger Abgabe des Antrags zum 1. Januar 2005 eine Leistungsgewährung erfolgen könne. Im Rahmen eines Gespräches mit seinem Arbeitsvermittler stellte der Antragsteller am 19. Januar 2005 mündlich einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Das ihm ausgehändigte Antragsformular reichte der Antragsteller nicht ausgefüllt zurück.

In einem ersten einstweiligen Rechtsschutzverfahren versuchte der Antragsteller eine vorläufige Leistungsgewährung zu erstreiten. Sein Antrag wurde mit Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 12. August 2005 abgelehnt (Az. S 21 168/05 ER) und die hiergegen gerichtete Beschwerde zum Hessischen Landessozialgericht mit Beschluss vom 17. Oktober 2005 zurückgewiesen (Az. L 9 AS 69/05 ER), weil der Antragsteller seine Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I) nicht erfüllt habe.

Am 1. November 2006 stellte der Antragsteller erneut einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Kassel (Az. S 21 907/06 ER). In einem Erörterungstermin am 20. November 2006 erklärte sich der Antragsteller bereit, “ohne Ausfüllen des Formularantrags gewisse Angaben schriftlich zu machen und die Richtigkeit zu bestätigen„ und nahm anschließend seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurück.

Mit Schreiben vom 23. November 2006 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner diverse Daten betreffend Familienstand, Wohnort, Arbeitsfähigkeit mit und erklärte, keine Einkünfte, kein Vermögen, keine Unterhaltsansprüche und keine Ansprüche gegenüber früheren Arbeitgebern zu haben. Er versah diese Angaben mit dem Zusatz “Eine IT-mäßige Erfassung und Erhebung untersage ich Ihnen zwingend„.

Hierauf versagte der Antragsgegner mit Bescheid vom 13. Dezember 2006 Leistungen ab 13. Dezember 2006 mit der Begründung, der Antragsteller sei seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, und wies den Widerspruch des Antragstellers mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2007 zurück. In dem Widerspruchsbescheid wird unter anderem darauf abgehoben, dass zu den wesentlichen Mitwirkungspflichten des Antragstellers sein Einverständnis in die elektronische Verarbeitung seiner Daten gehöre. Ohne die Verarbeitung in der EDV sei nicht nur eine Leistungsberechnung zumindest erschwert. Eine Auszahlung von Leistungen könne dann schlichtweg nicht vorgenommen werden, da auch dazu die Daten des Antragstellers be- und verarbeitet werden müssten.

Die hiergegen am 15. Juli 2008 erhobene Klage wies das Sozialgericht Kassel mit Gerichtsbescheid vom 26. Juni 2008 als unzulässig ab (Az. S 5 AS 201/07). Das Hessische Landessozialgericht hob diesen Gerichtsbescheid sowie die angegriffenen Bescheide mit Urteil vom 23. September 2009 auf, weil der Antragsgegner bei der Versagung der Leistungen nach § 66 SGB I das ihm eingeräumte Ermessen nicht hinreichend ausgeübt habe (Az. L 6 AS 275/08).

Nachdem der Antragsgegner hierauf nicht tätig wurde, erhob der Antragsteller am 23. Dezember 2009 beim Sozialgericht Kassel eine Klage auf Zahlung von Leistungen nach dem SGB II (Az. S 10 AS 1408/10), die...

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