Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Berufungsbegründung. Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers für Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers. Prüfung mitwirkenden Verschuldens von Amts wegen. Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung. Freie Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO im Zivilprozess. Mitverschulden durch Organisationsverschulden des Arbeitgebers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Anschluss an BAG 8 AZR 116/14:

a) Gemäß § 619a BGB liegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein/e Arbeitnehmer/in vorwerfbar seine/ihre Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt hat und dem Arbeitgeber nach § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz zu leisten hat, beim Arbeitgeber. Dies gilt bezüglich der Pflichtverletzung und des Vertretenmüssen des/der Arbeitnehmers/Arbeitnehmerin.

b) Die Frage eines eventuellen mitwirkenden Verschuldens des Arbeitgebers gemäß § 254 Abs. 1 BGB ist von Amts wegen zu prüfen und nicht mit den (ggfl. gleichfalls zu berücksichtigenden) Grundsätzen über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung zu vermengen.

2. Ob die Tatsacheninstanzen nach ihrer freien Überzeugung eine tatsächliche Behauptung für wahr oder unwahr erachten, haben sie unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer ggfl. durchgeführten Beweisaufnahme zu befinden. Dabei setzt auch die volle richterliche Überzeugungsbildung nach § 286 Abs. 1 ZPO keine absolute oder unumstößliche Gewissheit voraus, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen.

3. Ein Mitverschulden des Arbeitgebers kann durch ein Organisationsverschulden begründet sein.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Berufungsbegründung muss die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben. Sie muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen und tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen. Bloße formelhafte Wendungen oder Wiederholungen bisherigen Vorbringens reichen nicht aus.

 

Normenkette

BGB § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 254; ZPO § 286 Abs. 1 S. 1, § 138 Abs. 3; StGB § 73 ff.; ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2; BGB §§ 619a, 823 Abs. 2; StGB § 263

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 07.02.2019; Aktenzeichen 4 Ca 608/18)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 07. Februar 2019 – 4 Ca 608/18 – teilweise abgeändert und die Klägerin auf die Widerklage der Beklagten verurteilt, an die Beklagte Schadensersatz in Höhe von 23.980, -- Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. Juli 2018 zu zahlen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über ursprünglich im Rahmen einer Widerklage geltend gemachte Schadensersatzansprüche der Beklagten.

Die Beklagte hat Feinkostmärkte in Warenhäusern von A in B betrieben. Dort hat sie auch Leergut zurückgenommen und zwar auf zwei Arten: zum einen hat sie einen Automaten für die Leergutrücknahme unterhalten, zum anderen ist es möglich gewesen, das Leergut an den Kassen zurückzugeben. Hierzu hat der Kassenmitarbeiter das Leergut entgegengenommen, den Pfandwert des Leergutes per Hand in die Kasse eingegeben (Handeingabe) und dem Kunden den Pfandbetrag ausgezahlt. Gleichzeitig ist von der Kasse ein Leergutbon/Pfandbon erstellt worden. Diesen hat der Kassenmitarbeiter in eine hierfür vorgesehene Schachtel in der Kasse eingelegt. Durch den Leergutbon ist der Kassensaldo, im von der Beklagten verwendeten Kassensystem, um den entsprechenden Betrag gemindert worden.

Jedenfalls im Berufungsverfahren ist unstreitig geworden, dass das Pfandsystem in Deutschland über die deutsche Pfandsystem GmbH (im Folgenden: DPG) realisiert wird, die den rechtlichen und organisatorischen Rahmen für den Pfandausgleich (Pfand-Clearing) bereitstellt. Grundsätzlich erheben Getränkehersteller oder Importeure als Erstinverkehrbringer/Pfandkontoführer einen Pfandbetrag für jede pfandpflichtige Einweggetränkeverpackung, die sie verkaufen und verwalten bis auf weiteres den Pfandbetrag. Händler oder andere Letztvertreiber erstatten als Rücknehmer/Forderungssteller dem Endverbraucher den Pfandbetrag für jede zurückgenommene Einwegverpackung. Das Pfand-Clearing erfolgt im DPG-System auf Basis elektronischer Rohdatensätze. Diese Rohdatensätze werden in den Rücknahmeautomaten des Einzelhandels oder -bei händischer Rücknahme- bei der nachgelagerten automatischen Erfassung im Zählzentrum erzeugt. Dabei wird für jede zurückgenommene DPG-Verpackung ein signierter, nicht kopierbarer elektronischer Datensatz erzeugt. Die Erstattung des Pfandbetrages erfolgt zwischen Erstinverkehrbringer/Pfandkontoführer und dem Händler oder Letztvertreiber, der dem Endverbraucher den Pfandbetrag für die zurückgen...

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