Entscheidungsstichwort (Thema)

Verdachtskündigung. unrechtmäßiges Einlösen von Pfandbons

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die rechtswidrige und vorsätzliche Verletzung des Eigentums oder Vermögens des Arbeitgebers ist, auch wenn die Sachen nur geringen Wert besitzen, als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich geeignet (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. nur BAG 11.12.2003 – 2 AZR 36/03).

2. Die Frage, ob bei einem gegebenen Eigentumsdelikt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber zumutbar ist oder nicht, ist dann im Rahmen einer Interessenabwägung im Einzelfall zu beantworten. In diese Interessenabwägung sind auf Seiten des Arbeitnehmers regelmäßig die Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter einzubeziehen. Auf Seiten des Arbeitgebers sind u.a. die Funktion des Arbeitnehmers im Betrieb und die Frage der Fortdauer des für das Arbeitsverhältnis notwendigen Vertrauensverhältnisses zu berücksichtigen. Auch generalpräventive Gesichtspunkte können auf Seiten des Arbeitgebers Gewicht erlangen.

3. Im Rahmen der so vorzunehmenden Interessenabwägung sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu würdigen. Dabei kann auch auf das Verhalten des Arbeitnehmers nach der Tatbegehung abgestellt werden, ob er beispielsweise die Tat einräumt, oder aber bei den Aufklärungsmaßnahmen des Arbeitgebers weitere Täuschungshandlungen begeht.

4. Auf den Einzelfall bezogen war hier in der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Rahmen der arbeitgeberseitigen Aufklärung den Sachverhalt beharrlich geleugnet, den Verdacht haltlos auf andere Mitarbeiter abzuwälzen versucht hat und sich im Prozess entgegen § 138 ZPO zu maßgeblichem Sachvortrag wahrheitswidrig eingelassen hat. Dadurch war der Vertrauensverlust irreparabel geworden.

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 21.08.2008; Aktenzeichen 2 Ca 3632/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 10.06.2010; Aktenzeichen 2 AZR 541/09)

BAG (Beschluss vom 28.07.2009; Aktenzeichen 3 AZN 224/09)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21.08.2008 – 2 Ca 3632/08 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, die die Beklagte gegenüber der Klägerin wegen des Verdachts, diese habe zwei von einer Kollegin gefundene Leergutbons im Wert von insgesamt 1,30 EUR bei einem Einkauf zum eigenen Vorteil eingelöst, erklärt hat.

Die jetzt 50 Jahre alte Klägerin ist seit dem 25.04.1977 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Verkäuferin mit Kassentätigkeit tätig.

In der Filiale, in der die Klägerin arbeitet, steht für die Rückgabe von Leergut ein Flaschenautomat bereit. Die dort ausgedruckten Pfandbons werden beim Einlösen durch Kunden an der Kasse von der Kassiererin mit der Hand abgezeichnet. Sofern Mitarbeiter Leergut abgeben wollen, müssen sie dieses nach einer Anweisung der Beklagten zunächst bei Betreten der Filiale dem Filialverantwortlichen vorzeigen und später den Pfandbon von diesem abzeichnen lassen, bevor sie ihn an der Kasse abgeben. Beim Einlösen an der Kasse werden die Leergutbons der Mitarbeiter von der Kassiererin ein zweites Mal abgezeichnet.

Am 12.01.2008 fand eine Kollegin der Klägerin, die Zeugin K., im Kassenbereich des Backstops zwei noch nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 48 Cent und 82 Cent (vgl. Bl. 215 d.A.). Beide Pfandbons trugen das Datum 12.01.2008 und waren zu unterschiedlichen Zeiten am Automaten erstellt worden. Die Zeugin K. übergab die Bons dem Marktleiter. Dieser gab sie an die Klägerin zur Verwahrung weiter, falls ein Kunde sie für sich reklamieren sollte. Andernfalls sollten die Pfandbons später als Fehlbons bei der Leergutabrechnung verbucht werden. Die Klägerin legte die Pfandbons in das allen Mitarbeitern zugängliche Kassenbüro.

Am 22.01.2008 überreichte die Klägerin bei einem Einkauf in ihrer Filiale nach Ende ihrer Arbeitszeit gegen 14.45 Uhr zwei Leergutbons, die von der Kassiererin, der Zeugin Ku., im Kassensystem registriert wurden. Sie sind im E-Journal anhand der Eingabenummern als eingescannt ausgewiesen, mit den Werten 48 Cent und 82 Cent aufgeführt und haben den von der Klägerin für den Einkauf zu zahlenden Preis um 1,30 EUR reduziert. In einer schriftlichen Erklärung vom 13.02.2008 gab die Kassiererin Ku. u.a. an, die beiden Bons der Klägerin hätten das Datum 12.01.2008 getragen und seien nicht abgezeichnet gewesen (Bl. 207 d.A.). Ob es sich bei den von der Klägerin überreichten Bons um die beiden am 12.01.2008 gefundenen Leergutbons handelte – so der Vorwurf der Beklagten – ist zwischen den Parteien streitig.

Zur Aufklärung der Herkunft dieser beiden von der Klägerin eingelösten Leergutbons führte die Distriktmanagerin der Beklagten mit der Klägerin am 25.01.2008 ein erstes Gespräch, in dem der Klägerin vorgeworfen wurde, ihr nicht gehörende Bons eingelöst zu haben. Im Anschluss an dies...

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