Rz. 6

Mit den Festlegungen der Pfändungsgrenzen nach den §§ 850c, 850d ZPO werden nur typisierte Regelungen getroffen. Diese können individuelle Problemlagen bei Schuldner oder Gläubiger nicht ausreichend auffangen. Die von Amts wegen zu berücksichtigenden Grenzen sind ohne weiteres vom Drittschuldner zu beachten und im Interesse eines effizienten Zwangsvollstreckungsverfahrens erforderlich. Zum Ausgleich der dabei auftretenden Probleme ist das Antragsverfahren nach § 850f ZPO eingerichtet, in dem der Freibetrag der §§ 850c, 850d ZPO durch das Vollstreckungsgericht erweitert (§ 850f Abs. 1 ZPO) werden kann. In den von § 850f Abs. 1 ZPO erfassten Härtefällen kann der Schuldner daher beim Vollstreckungsgericht beantragen, dass ihm ein Teil des nach den §§ 850c, 850d und 850i ZPO pfändbaren Teils seines Arbeitseinkommens belassen wird. Voraussetzung dafür ist, dass durch persönliche oder berufliche Gründe (§ 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO) eine besondere Belastung des Schuldners veranlasst ist bzw. Bedürfnisse hervorgerufen werden, die bei den meisten Menschen in vergleichbaren Lagen nicht auftreten (LG Mülhausen, InsbürO 2016, 467). Bedürfnisse des Schuldners, die bereits bei der Bemessung der Freibeträge nach §§ 850c, 850d ZPO berücksichtigt wurden, sind hierbei unbeachtlich (LG Stuttgart, JurBüro 2018, 658 = InsbürO 2019, 304; OLG Hamm, Rpfleger 1977, 224).Die Frage, ob es im Rahmen von § 850f Abs. 1 ZPO zu einer (faktischen) Vollstreckungssperre kommen darf, die eintreten würde, wenn das gesamte pfändbare Einkommen des Schuldners ergriffen wäre, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Uneinheitlich wird daher beurteilt, ob eine derartige Entscheidung nur in Ausnahmefällen nach § 765a ZPO zulässig wäre, während eine Entscheidung nach § 850f Abs. 1 ZPO unabhängig von Ausnahmesituationen die Vollstreckung in das Arbeitseinkommen lediglich modifizieren, nicht jedoch gänzlich ausschließen darf (vgl. u. a. OLG Koblenz, JurBüro 1987, 306; LG Aachen, JurBüro 90, 122; MünchKomm/ZPO-Smid, ZPO, § 850f, Rn. 13; Hornung, Rpfleger 1992, 331) oder ob es über § 850 f Abs. 1 ZPO auch zu einer vollständigen "Pfändungsfreiheit" – zumindest bei § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO – kommen kann (OLG Zweibrücken, NJW-RR 2002, 1664). Eine Freistellung des ganzen Arbeitseinkommens von der Pfändung ist nach der hier vertretenen Ansicht jedoch nicht zulässig. Erlaubt ist nur die Belassung eines Teiles des pfändbaren Einkommens (LG Stuttgart, JurBüro 2018, 658; LG Aachen, JurBüro 1990, 121; OLG Koblenz, JurBüro 1987, 306; a. A. LG Gießen, Rpfleger 1996, 118). Eine Entscheidung nach § 850f Abs. 1 ZPO kann daher jede Vollstreckung in das Arbeitseinkommen zwar modifizieren, nicht jedoch gänzlich ausschließen (LG Stuttgart, JurBüro 2018, 658).Die Regelung ist auch im Insolvenzverfahren anwendbar (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO; BGH, ZInsO 2017, 2429; AG Braunschweig, ZInsO 2007, 280 und ZInsO 2007, 950). Es entscheidet das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht (§ 36 Abs. 4 InsO; BGH, Rpfleger 2018, 341 = DGVZ 2018, 160 = ZVI 2018, 374 = KKZ 2019, 88 = Vollstreckung effektiv 2018, 73 = ZIP 2018, 1420). Allerdings sind dabei – im Unterschied zur Einzelzwangsvollstreckung – nicht die Einzelinteressen der Gläubiger, sondern allein das Gesamtinteresse der Gläubiger gegen die Interessen des Schuldners abzuwägen.

Ebenso anwendbar ist die Vorschrift auch beim P-Konto (§ 850k Abs. 4 ZPO bis 30.11.2021; ab 1.12.2021: § 906 Abs. 2 ZPO).

Die Norm ist unanwendbar bei Pfändung des Anspruchs des Schuldners gegen die Justizvollzugsanstalt auf Auszahlung des Eigengeldes (BGH, WM 2013, 1752 = ZInsO 2013, 1845 = MDR 2013, 1248 = NJW 2013, 3312 = NZI 2013, 940 = ZVI 2013, 430 = Rpfleger 2014, 39 = DGVZ 2014, 14 = KKZ 2014, 60 = Vollstreckung effektiv 2013, 186 = FamRZ 2013, 1734 = Verbraucherinsolvenz aktuell 2013, 84 = FoVo 2013, 217).

Der Schuldner hat nachzuweisen: 

  • dass bei Anwendung der Pfändungsfreigrenzen, wie sie sich aus der Tabelle in der Anlage zu § 850c ZPO ergeben, der notwendige Lebensunterhalt für sich und für die Personen, denen er Unterhalt zu gewähren hat, i. S. d. 3. und 4. Kap. des 12. Buches SGB (Sozialhilfe) oder nach Kap. 3 Abschnitt 2 des 2. Buches SGB (Grundsicherung für Arbeitssuchende) nicht gedeckt ist (Nr. 1), oder
  • sonstige bes. Bedürfnisse aus persönlichen oder beruflichen Gründen es erfordern, die Pfändungsfreigrenze heraufzusetzen (Nr. 2), oder
  • der besondere Umfang der gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners, insb. die Zahl der Unterhaltsberechtigten, dies erfordern und überwiegende Belange des Gläubigers nicht entgegenstehen (Nr. 3).
 

Rz. 7

Sinn und Zweck der Härtefallklausel ist es demnach, zusätzlichen Schutz gegen Einkommenspfändungen in denjenigen Fällen zu ermöglichen, in denen aufgrund der individuellen Lage des Schuldners die pauschalisierten Freibeträge des § 850c ZPO nicht hinreichend sind, um das Absinken des dem Schuldner verbleibenden Resteinkommens unter das Existenzminimum zu verhindern (LG Dessau-Roßlau, Beschluss v. 15.9.2011...

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