Rz. 197

Bedenken gegen die Rechtsgültigkeit des § 50d Abs. 10 EStG können sich daraus ergeben, dass es sich um ein Treaty Override handelt. Diese Frage ist umstritten. Gegen den Charakter als Treaty Override spricht, dass der Vorschrift die charakteristische Bestimmung fehlt, die Vorschrift solle "ungeachtet der Vorschriften eines DBA" gelten. Auch die Begründung des Gesetzentwurfs spricht davon, dass die Vorschrift nicht abkommensverdrängend sein soll.[1] Diese Auffassung beruht darauf, dass sie nach ihrem Wortlaut nur dann gelten soll, wenn das Abkommen keine die Sondervergütungen betreffende ausdrückliche Regelung enthält. Daraus kann auf den Willen des Gesetzgebers geschlossen werden, nicht Vorschriften des DBA zu verdrängen, sondern lediglich eine Lücke auszufüllen, die in den Regelungen eines DBA besteht.[2]

Allein hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass die Vorschrift nicht abkommensverdrängend ist. Die Vorschrift soll bereits dann gelten, wenn das DBA keine "ausdrückliche" Vorschrift für die Sondervergütungen enthält. Der die Vertragsstaaten bindende Inhalt eines DBA ergibt sich aber nicht nur aus dem ausdrücklichen Wortlaut des Vertrags, sondern aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen und ist anhand einer autonomen Auslegung unter Anwendung der in Art. 31ff. Wiener Übereinkunft aufgeführten Auslegungsregeln zu bestimmen.[3] Ein nationales Gesetz, das gegen den durch Auslegung gewonnenen Inhalt eines DBA verstößt, ist ebenso abkommensverdrängend wie ein Gesetz, das eine gegen den ausdrücklichen Wortlaut eines DBA gerichtete Regelung enthält.[4]

Für die Frage der Vereinbarkeit mit einem DBA ist daher maßgeblich, ob die Regelung des § 50d Abs. 10 EStG nur eine zulässige Ausfüllung einer Lücke im DBA ist, oder ob sie als abkommensverdrängende Vorschrift eine im DBA enthaltene, durch Auslegung vermittelte Regelung verdrängt. Die DBA enthalten regelmäßig keine "ausdrückliche" Vorschrift für Sondervergütungen. Dies ist jedoch keine Lücke, sondern eine Regelung, die nach der zutreffenden Auslegung durch den BFH (Rz. 193) die Sondervergütungen unter den Zinsartikel (Art. 11 OECD-MA) bzw. den Artikel über Lizenzgebühren (Art. 12 OECD-MA) subsumiert. Diese Auslegung entspricht auch der internationalen Übung, da die anderen Staaten das Institut der Sondervergütungen nicht kennen.[5] Fehlt in dem DBA eine besondere Bestimmung für Sondervergütungen, ist die Folge hiervon also nicht eine Lücke in dem Vertrag, sondern beruht auf dem Umstand, dass die vertragsschließenden Parteien entweder eine Sonderregelung nicht für erforderlich hielten, weil die Einordnung unter Art. 11, 12 OECD-MA ihren Interessen entsprach, oder dem Umstand, dass Deutschland eine seinen Interessen besser entsprechende Regelung in den Verhandlungen nicht durchsetzen konnte. Damit enthält das DBA für die Sondervergütungen eine Regelung, wie sie vom BFH durch Auslegung gefunden wurde. Eine Lücke in den Abkommen liegt nicht vor. Damit ergibt sich, dass § 50d Abs. 10 EStG seinem materiellen Charakter nach abkommensverdrängend ist.[6]

 

Rz. 198

Eine abkommensverdrängende Regelung widerspricht nicht grundsätzlich höherrangigem Recht, d. h. EU-Recht oder Verfassungsrecht (Rz. 4ff.).Ein solcher Verstoß kann nur in Betracht kommen, wenn diese Regelung in ein Grundrecht des GG eingreift und keine Rechtfertigung hierfür besteht. Das Treaty Override in § 50d Abs. 10 EStG führt nicht lediglich zu einem Wechsel zwischen Freistellungs- und Anrechnungsmethode und auch nicht lediglich zu einer effektiven Einmalbesteuerung. Vielmehr handelt es sich um eine Regelung, durch die Deutschland das Besteuerungsrecht für bestimmte Gewinne in Anspruch nimmt, das nach dem durch Auslegung ermittelten Inhalt des jeweiligen DBA dem anderen Staat zusteht. Damit droht eine Doppelbesteuerung, für die von deutscher Seite nur eingeschränkt ein Mechanismus zur Milderung oder Beseitigung zur Verfügung steht. Dies kann nicht mit dem Argument infrage gestellt werden, dass der Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters nach dem DBA verpflichtet sei, diese Doppelbesteuerung zu beseitigen.[7] Dieses Argument ist offensichtlich unrichtig. Nach Art. 23 A Abs. 1 bzw. Art. 23 B Abs. 1 OECD-MA ist der Ansässigkeitsstaat nur dann zur Beseitigung der Doppelbesteuerung verpflichtet, wenn und soweit die fraglichen Einkünfte durch den Quellenstaat nach den Regelungen des DBA besteuert werden können, die Besteuerung durch den Quellenstaat also dem Abkommen entspricht.[8] Da die Inanspruchnahme des Besteuerungsrechts durch Deutschland nicht den Regelungen des DBA entspricht, wird der Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters die Doppelbesteuerung nicht vermeiden. Verantwortlich für die Doppelbesteuerung ist vielmehr die Bundesrepublik, die daher auch die Pflicht zur Korrektur dieser Belastung trifft. Auch die Behauptung von Vertretern der Finanzverwaltung, die USA hätten die Besteuerung nach § 50d Abs. 10 EStG als dem Abkommen entsprechend anerkannt,[9] schließt eine Doppelbesteuerung im Verhältnis zu a...

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