Rz. 22

Ein Arbeitgeber haftet nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die LSt, die er einzubehalten und abzuführen hat. Denn der Arbeitgeber hat die LSt nach § 38 Abs. 3 S. 1 EStG für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten und nach Maßgabe von § 41a Abs. 1 EStG an das Betriebsstätten-FA abzuführen. Der Arbeitgeber behält die LSt richtig ein, wenn er die LSt entsprechend den ELStAM einbehält und die LSt-Tabelle richtig anwendet. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die vom BZSt bereitgestellten Mitteilungen und elektronischen LSt-Abzugsmerkmale monatlich anzufragen und abzurufen. Die abgerufenen LSt-Abzugsmerkmale sind in der Lohnabrechnung anzugeben (§ 39e Abs. 5 S. 2 und 3 EStG). Behält der Arbeitgeber die LSt nicht vorschriftsmäßig ein, erfüllt er den Haftungstatbestand nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG.

 

Rz. 22a

Der Arbeitgeber behält aber dann die LSt vorschriftsmäßig ein, wenn er eine Anrufungsauskunft nach § 42e EStG eingeholt hat und danach verfahren ist. Ihm kann nicht entgegengehalten werden, diese sei materiell unrichtig. An die Anrufungsauskunft ist das FA im LSt-Abzugsverfahren gebunden.[1] Der Haftungstatbestand nach § 42d Abs. 3 Nr. 1 EStG ist in einem solchen Fall somit nicht erfüllt. Die Bindung besteht auch gegenüber dem Arbeitnehmer. Das FA kann daher die vom Arbeitgeber aufgrund einer unrichtigen Anrufungsauskunft nicht einbehaltene und abgeführte LSt nicht vom Arbeitnehmer nach § 42d Abs. 3 S. 4 Nr. 1 EStG nachfordern.[2]

 

Rz. 23

Ein Arbeitgeber wird von seiner Einbehaltungspflicht nicht dadurch befreit, dass ihm entsprechende Barmittel fehlen. Er muss stets hinreichend Mittel für die Abführung der LSt einbehalten. Ist er mangels Liquidität außer Stande, den vollen Bruttoarbeitslohn zu zahlen, so muss er anteilig den Nettolohn und die LSt kürzen. Ist die LSt höher als der Barlohn, wie z. B. bei hohen Sachbezügen oder bei Lohnzahlungen Dritter, so ist der Arbeitnehmer nach § 38 Abs. 4 EStG verpflichtet, dem Arbeitgeber den Fehlbetrag zur Verfügung zu stellen. Tut er dies nicht, so muss der Arbeitgeber dies dem FA anzeigen. Durch die Anzeige wird der Arbeitgeber von seiner Haftung frei. Das FA fordert die LSt vom Arbeitnehmer nach.

 

Rz. 24

Ein Arbeitgeber verletzt auch dann seine Pflichten und erfüllt den Haftungstatbestand nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn er zwar die LSt einbehält, diese aber entgegen § 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht an das FA abführt. Er wird von seiner Abführungspflicht erst dann befreit, wenn die LSt beim FA eingegangen ist.[3] Der Arbeitgeber trägt die Gefahr des zufälligen Verlusts des Zahlungsbetrags vor dem Eingang beim FA, wie sich aus § 224 AO entnehmen lässt. Hat er die LSt nach § 41a EStG angemeldet, so steht die Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 S. 1 AO). Das FA kann aufgrund dessen gegen den Arbeitgeber vollstrecken.

 

Rz. 25

Der Arbeitgeber erfüllt als Haftungsschuldner den einzelnen Haftungstatbestand dadurch, dass er den LSt-Abzug für einen bestimmten Arbeitnehmer zu einem bestimmten Zeitpunkt aus einem konkreten Lohnzufluss nicht oder zu niedrig durchführt. Die zu verschiedenen Zeiten und aufgrund von verschiedenen Tatbeständen entstandenen Haftungsschulden führen zu verschiedenen Haftungsfällen, die nicht voneinander abhängen[4] (zur Geltendmachung einer Mehrheit von Haftungsfällen durch Einzel- oder Sammelhaftungsbescheid s. Rz. 82).

 

Rz. 25a

Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn nach der zugrunde liegenden Vertragsgestaltung selbstständig Dienst- oder Werkleistungen für ein fremdes Unternehmen erbracht werden, tatsächlich aber nichtselbstständige Arbeiten in einem Arbeitsverhältnis geleistet werden. Ein fälschlicherweise als freie Mitarbeit eingestuftes Anstellungsverhältnis hat (u. a.) für den Arbeitgeber die LSt-Haftung zur Folge.[5] Auf der sicheren Seite ist der Arbeitgeber nur bei Einholung einer Anrufungsauskunft nach § 42e EStG[6] oder bei Durchführung des Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV (Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund – DRV Bund).[7]

Das aktualisierte Rundschreiben der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung löst mit Wirkung ab 1.4.2022 das bisherige Rundschreiben vom 21.3.2019 ab.[8]

[1] BFH v. 16.11.2005, VI R 23/02, BFH/NV 2006, 668.
[3] BFH v. 13.12.1963, VI R 221/61 U, BStBl III 1964, 106.
[5] Mette, NZS 2015, 721.
[6] Heidl, NWB 2013, 1323.
[7] Zum 1.4.2022 wurde das Statusfeststellungsverfahren umfassend reformiert; von Steinau-Steinrück/Kurth: Das reformierte Statusfeststellungsverfahren in der Praxis, NJW-Spezial 2022, 754; Klaes, BRuR 2022, 459.
[8] https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachliteratur_Kommentare_Gesetzestexte/summa_summarum/rundschreiben/2022/statusfestellung_erwerbstaetige.html

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