Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Schutz personenbezogener Daten. Datenverarbeitung im Beschäftigungskontext. Regionales Schulsystem. Unterricht per Videokonferenz wegen der Covid-19-Pandemie. Durchführung ohne ausdrückliche Einwilligung der Lehrkräfte

 

Normenkette

DSGVO Art. 88 Abs. 1-2

 

Beteiligte

Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer

Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer beim Hessischen Kultusministerium

Minister des Hessischen Kultusministeriums

 

Tenor

1. Art. 88 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)

ist dahin auszulegen, dass

eine nationale Rechtsvorschrift keine „spezifischere Vorschrift” im Sinne von Abs. 1 dieses Artikels sein kann, wenn sie nicht die Vorgaben von Abs. 2 dieses Artikels erfüllt.

2. Art. 88 Abs. 1 und 2 der Verordnung 2016/679

ist dahin auszulegen, dass

nationale Rechtsvorschriften zur Gewährleistung des Schutzes der Rechte und Freiheiten von Beschäftigten hinsichtlich der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten im Beschäftigungskontext unangewendet bleiben müssen, wenn sie nicht die in ebendiesem Art. 88 Abs. 1 und 2 vorgegebenen Voraussetzungen und Grenzen beachten, es sei denn, sie stellen eine Rechtsgrundlage im Sinne von Art. 6 Abs. 3 DSGVO dar, die den Anforderungen dieser Verordnung genügt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Wiesbaden (Deutschland) mit Beschluss vom 20. Dezember 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Januar 2021, in dem Verfahren

Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer beim Hessischen Kultusministerium

gegen

Minister des Hessischen Kultusministeriums

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts und des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben von Richtern der Ersten Kammer, des Richters A. Kumin und der Richterin I. Ziemele (Berichterstatterin),

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: S. Beer, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • des Hauptpersonalrats der Lehrerinnen und Lehrer beim Hessischen Kultusministerium, vertreten durch Rechtsanwalt J. Kolter,
  • des Ministers des Hessischen Kultusministeriums, vertreten durch C. Meinert,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und D. Klebs als Bevollmächtigte,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Kunnert und J. Schmoll als Bevollmächtigte,
  • der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane und A. Wellman als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Erlbacher, H. Kranenborg und D. Nardi als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. September 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 88 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1, berichtigt in ABl. 2018, L 127, S. 2, im Folgenden: DSGVO).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer beim Hessischen Kultusministerium (Deutschland) und dem Minister des Hessischen Kultusministeriums (Deutschland) über die Rechtmäßigkeit von Livestreamunterricht per Videokonferenz, der an den Schulen des Landes Hessen (Deutschland) durchgeführt wird, ohne dass die vorherige Einwilligung der betroffenen Lehrkräfte vorgesehen wäre.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 95/46/EG

Rz. 3

Die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31) wurde durch die DSGVO mit Wirkung vom 25. Mai 2018 aufgehoben. In Art. 3 („Anwendungsbereich”) dieser Richtlinie hieß es:

„(1) Diese Richtlinie gilt für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einer Datei gespeichert sind oder gespeichert werden sollen.

(2) Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten,

- die für die Ausübung von Tätigkeiten erfolgt, die nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, beispielsweise Tätigkeiten gemäß den Titeln V und VI des [EU-]Vertrags [in der Fassung vor dem Vertrag von Lissabon], und auf keinen Fall auf Verarbeitungen betreffend die öffentliche Sich...

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