Auch die Maßnahmen im klassischen Arbeitsschutz unterliegen dem Phänomen des Präventionsparadoxes oder anders gesagt: dem Dilemma der Prävention. Es gibt gesetzliche Vorschriften und Regeln sowie betriebliche Anweisungen, die befolgt werden müssen, wenn es um gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen geht. Soweit die Theorie, denn die Praxis sieht leider oft anders aus.

Wenn man die Erkenntnisse von Rose zugrunde legt und erweitert, heißt das:

  • Präventionsmaßnahmen die darauf abzielen, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu verhindern, haben für alle Beschäftigten einen positiven Effekt.
  • Einzelne Mitarbeiter werden den Nutzen von Präventionsmaßnahmen aber nur bedingt (an-)erkennen, weil sie diese als nicht notwendig erachten.
  • In den meisten Fällen werden sicherheitskritische Situationen von Beschäftigten entweder nicht bemerkt oder das unerwünschte Ergebnis (= der Arbeitsunfall) bleibt aus.
  • Deshalb werden Vorschriften, Regeln und Anweisungen von "Risikopersonen" nicht befolgt.

Wenn ein Mitarbeiter nicht persönlich von einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit betroffen ist, besteht die Gefahr, dass Risiken nicht erkannt werden und sinnvolle Präventionsmaßnahmen verpuffen.

 
Praxis-Beispiel

PSA

Persönliche Schutzausrüstung (PSA) wird oft als lästig, unbequem oder uncool empfunden und von einzelnen Mitarbeitern als entbehrlich erachtet. Es besteht keine innere Überzeugung hinsichtlich der Schutzwirkung von PSA, weil "noch nie etwas passiert ist". Die Wirksamkeit von PSA hat sich aber für alle Beschäftigten auf einem langen Zeitstrahl als nützlich erwiesen, um Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu verhindern.

Weil Arbeitsunfälle selten sind und/oder Spätfolgen gesundheitsschädigender Verhaltensweisen nicht im unmittelbaren Erfahrungshorizont einer Person liegen, bilden sich Gewohnheiten aus. Gewohnheiten sind veränderungsresistent, das gilt für gute wie schlechte Gewohnheiten gleichermaßen.

"Eine nachhaltige Verhaltensänderung zu erzielen, wird umso schwerer, je weniger Veränderungsdruck verspürt wird, je mehr routinierte Gewohnheitsmuster durchbrochen und neue Kompetenzen erworben werden müssen und je weniger ein direkter Nutzen oder Gewinn erkennbar ist.", sagt Dr. Martine Hoffmann, Leiterin der Abteilung für angewandte Forschung Cellule de Recherche.

Auch hier wird das Präventionsdilemma deutlich: die Zielgruppe, die am meisten von Präventionsmaßnahmen profitieren würde, wird oftmals nicht erreicht oder verweigert sich den Maßnahmen aus verschiedenen Gründen:

  • die Ansprache ist zu kompliziert,
  • die Ansprache geht an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei,
  • die Maßnahmen können nicht unkompliziert umgesetzt werden,
  • das Aufwand-Nutzen-Verhältnis wird als nicht gerechtfertigt eingestuft.

Weitere moderierende Variablen werden wirksam. Der Gesundheitspsychologe Ralf Schwarzer differenziert Personen in Unmotivierte, Motivierte und Handelnde.[1]

  • Unmotivierte Personen machen sich wenig Gedanken über ihr (Gesundheits-)Verhalten und kennen die potenziellen Risiken nicht oder leugnen diese. Verhaltensänderungen – eigen- oder fremdgewollte – sind schwer zu bewirken.
  • Motivierte Personen haben zwar die Intention, sich ein bestimmtes Verhalten anzueignen, haben aber noch keinen Plan.
  • Handelnde Personen verhalten sich bereits entsprechend der Vorgaben, haben Vorbildfunktion und sind deshalb geeignete Kandidaten im Sinne von Modelllernen.

Unterscheidet man darüber hinaus noch die Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention, die Verhältnis- oder Verhaltensprävention und die spezifische und unspezifische Prävention, wird das Thema Prävention fast nicht mehr handhabbar. Deshalb ist es auch so schwierig, geeignete Präventionsstrategien zu entwickeln, die gleichermaßen alle Personen in der Bevölkerung beziehungsweise die Beschäftigten im Betrieb ansprechen und erfolgreich sind. Die Unterscheidung sei dennoch im Folgenden dargelegt:

Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention

Präventive Maßnahmen kann man entsprechend ihrer Zielsetzung unterteilen in Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention. Die Begrifflichkeiten entstammen dem medizinischen Vokabular und bedeuten schematisch dargestellt:

  • Primärprävention: Impfen
  • Sekundärprävention: Früherkennungsmaßnahmen
  • Tertiärprävention: Reha-Maßnahmen, Patientenschulungen

Gemeinsam ist ihnen, dass Prävention allgemein der Krankheitsvorbeugung beziehungsweise Krankheitsverhütung dient.

Abstrahiert heißt dann Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention, dass

  • Primärprävention dazu beiträgt, gesundheitsschädigende Faktoren zu erkennen und der Entstehung von Krankheiten vorzubeugen. Sie wird vor Krankheitsbeginn wirksam.
  • Sekundärprävention das Fortschreiten von Krankheiten verhindern oder vermindern soll. Sie wird im Frühstadium einer Erkrankung wirksam.
  • Tertiärpävention bei bestehender Krankheit die Wiederherstellung der Gesundheit ermöglicht wird. Sie wird bei der Krankheitsmanifestation wirksam.

Verhältnis- oder Verhaltensprävention

Neben diesen Einteilungen kann weiterhin unterschieden werden zwischen verhältni...

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