Entscheidungsstichwort (Thema)

Wertverrechnung bei dauernden Lasten verfassungsgemäß

 

Leitsatz (redaktionell)

Wenn der Bundesfinanzhof entgeltliche, im Austausch mit einer Gegenleistung übernommene dauernde Lasten erst und nur insoweit als Sonderausgaben zuläßt, als der Wert der wiederkehrenden Leistung den Wert der Gegenleistung übersteigt (Wertverrechnung), weil der Leistungsaustausch nicht (uneingeschränkt) zu einer Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sondern lediglich zu einer Vermögensumschichtung führt, ist dies verfassungsrechtlich unbedenklich.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 4 Abs. 1, 3, §§ 5, 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 1

 

Verfahrensgang

BFH (Urteil vom 03.06.1986; Aktenzeichen IX R 2/79)

 

Gründe

1 a) Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit (vgl. § 3 Abs. 1 AO) als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im Bereich des Steuerrechts verlangt, daß steuerbegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, daß der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen kann (vgl. BVerfGE 49, 343 ≪362≫). Die Grundsätze des Rechtsstaates verwehren es dem Gesetzgeber jedoch nicht, unbestimmte Gesetzesbegriffe zu verwenden. Der rechtsstaatliche Grundsatz der gleichen steuerlichen Belastung und damit der Steuergerechtigkeit kann sogar eher verwirklicht werden, wenn Verwaltung und Finanzgerichte den Besonderheiten des Einzelfalles durch Anwendung eines unbestimmten Gesetzesbegriffes gerecht werden können (vgl. BVerfGE 21, 209 ≪215 f.≫).

Die Ausfüllung unbestimmter Gesetzesbegriffe auf Grund richtungsweisender, sich aus dem Gesetz ergebender Gesichtspunkte ist eine herkömmliche und stets anerkannte richterliche Aufgabe (vgl. BVerfGE 13, 153 ≪164≫; 62, 256 ≪275 f.≫; 69, 188 ≪203≫).

Wenn das Einkommensteuergesetz in verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen den Begriff der „dauernden Last” (vgl. u.a. § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1975) verwendet, begegnet dies keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, zumal der Begriff in einer jahrzehntelangen Rechtsprechung ausgeformt worden ist. Nach der Rechtsprechung kann aus dem Gesichtspunkt mangelnder Bestimmtheit des gesetzlichen Tatbestandes wegen Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe überhaupt nur ausnahmsweise ein Verstoß des Gesetzes gegen Art. 20 Abs. 3 GG festgestellt werden (vgl. BVerfGE 59, 36 ≪52≫).

b) Ein Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung ist auch nicht durch die Auslegung des Bundesfinanzhofs (BStBl. I 1985, S. 709 ≪710≫; II 1986, S. 674 ff.) erkennbar. Wenn der Bundesfinanzhof entgeltliche, im Austausch mit einer Gegenleistung übernommene dauernde Lasten erst und nur insoweit als Sonderausgaben zum Abzug zuläßt, als der Wert der wiederkehrenden Leistung den Wert der Gegenleistung übersteigt, weil der Leistungsaustausch in diesen Fällen nicht zu einer Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen, sondern lediglich zu einer Vermögensumschichtung führe, bestehen dagegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Bundesfinanzhof hält sich mit dem Gebot der Wertverrechnung jedenfalls innerhalb der Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung, da die gesetzliche Regelung in § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1975 eine solche Auslegung nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie der einkommensteuerlicher Systematik zuläßt (vgl. BVerfGE 65, 182 ≪191≫; 69, 188 ≪204≫). § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG setzt generell für den Abzug von Sonderausgaben Aufwendungen voraus. Der Steuerpflichtige muß also wirtschaftlich belastet sein (vgl. BFH, BStBl. II 1986, S. 284, 285; Kirchhof/Söhn, EStG, § 10 B 12, 204; D 166; Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG, § 10 EStG ≪1987≫, Anm. 33; Schmidt, EStG, 6. Aufl., § 10 Anm. 3 b). Der Abzug wiederkehrender Leistungen als Sonderausgaben war gerade aus der Erwägung ermöglicht worden, daß diese Ausgaben die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen minderten (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 10 Anm. 33, 56 d).

Es entspricht der Einkommensteuer-Systematik, die Gegenleistung als bloße Vermögensumschichtung nicht zu berücksichtigen, solange der Wert der empfangenen Leistung nicht überschritten wird, weil es an einer die subjektive Leistungsfähigkeit mindernden wirtschaftlichen Belastung des Verpflichteten fehlt (vgl. Kirchhof/Söhn, a.a.O., Anm. D 166; Welter, Wiederkehrende Leistungen im Zivilrecht und im Steuerrecht, 1984, S. 126 f.). Gerade wenn der Wortlaut auslegungsbedürftig ist, kommt dem Sinnzusammenhang besondere Bedeutung zu, in den die gesetzliche Vorschrift eingebettet ist (vgl. BVerfGE 60, 135 ≪155≫). Der Bundesfinanzhof kann davon ausgehen, daß der Gesetzgeber keine reinen Vermögensumschichtungen als Sonderausgaben berücksichtigt wissen will, da die Regelung in § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1975 keinen Hinweis darauf enthält, der Gesetzgeber habe hier von grundlegenden Prinzipien des Einkommensteuerrechts abweichen wollen.

Die Unterscheidung zwischen unbeschränkt und beschränkt abzugsfähigen Sonderausgaben dient nicht der Einschränkung dieses zuvor aufgezeigten grundlegenden Prinzips des Einkommensteuerrechts, sondern soll für die in § 10 Abs. 3 EStG erfaßten Vorsorgeaufwendungen die Steuerausfälle in Grenzen halten (vgl. Blümich/Falk, EStG, 12. Aufl., § 10 Randziff. 252).

2. Die Auslegung und Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1975 verstößt im Ausgangsverfahren auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

a) Die Wertverrechnung entspricht dem aus dem Prinzip der Steuergerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) zu entnehmenden Gebot, die Besteuerung grundsätzlich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten (vgl: dazu BVerfGE 68, 287 ≪310≫; Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., Anm. 56 d; Kirchhof/ Sohn, a.a.O., Anm. D 166, 171; ferner BVerfGE 21, 1 ff. zur sog. GegenwerttheoZie bei den außergewöhnlichen Belastungen; HFR 1986, S. 53).

b) Die Abzugsfähigkeit der Leistungen des Verpflichteten als Betriebsausgaben (§§ 4, 5 EStG) bzw. als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG) ist prinzipiell auf die die Gegenleistung übersteigenden Zahlungen beschränkt. Der abziehbare Teil der Leistungen wird freilich nach den insoweit jeweils maßgebenden Methoden der Einkünfte-Ermittlung bestimmt. In den Fällen der Gewinnermittlung nach den §§ 4 Abs. 1, 5 EStG wird der Ertragsanteil versicherungsmathematisch errechnet. Ebenso wird der in den einzelnen Zahlungen enthaltene Zinsanteil im Rahmen der Einnahme-Überschuß-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG als Betriebsausgabe behandelt. Hingegen wird die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen aus dauernden Lasten als Werbungskosten im Bereich der Überschuß-Einkunftsarten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG nicht einheitlich beantwortet (vgl. Schmidt, a.a.O., § 9 Anm. 4 e). Der Bundesfinanzhof (BStBl. II 1975, S. 173 ≪174≫) hat die Frage der Wertverrechnung nicht abschließend entschieden.

Wenn im Rahmen des Sonderausgabenabzugs zunächst eine volle Wertverrechnung vorgenommen wird und auch ein Zinsanteil nicht sofort abzugsfähig ist (kritisch dazu Paus, in: StRK – Anm. zu § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG 1975, R 7; Sauren, in: BB 1987, S. 1860 ≪1861≫), so bestehen hinreichende sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung. Zum einen entspricht die abweichende Methode den Grundsätzen der Gewinnermittlung. Zum anderen würde eine versicherungsmathematisch, jährlich neu erforderlich werdende Berechnung auch für den Bereich des Sonderausgabenabzugs eine Erschwerung des Besteuerungsverfahrens sowohl für die Steuerpflichtigen als auch die Steuerverwaltung herbeiführen, die um so weniger geboten ist, als jedenfalls über die Gesamtlaufzeit keine steuerliche Schlechterstellung erfolgt.

c) Wenn die Rechtsprechung bei Betriebs- und sonstigen Vermögensübertragungen, insbesondere bei vorweggenommenen Erbfolgen (vgl. BFH, BStBl. II 1985, S. 709 ≪710≫ m.w.N.), eine Wertverrechnung deshalb nicht für geboten erachtet, weil es in Würdigung dieser Sachverhalte an einem Austausch von Leistung und Gegenleistung fehlt, so bedarf diese hier nicht vorliegende Fallgestaltung keiner verfassungsrechtlichen Beurteilung. Der Beschwerdeführer wird durch eine steuerlich günstigere Behandlung eines nicht vergleichbaren Sachverhalts jedenfalls nicht in seinem Anspruch auf Rechtsanwendungsgleichheit verletzt. Zudem prüft das Bundesverfassungsgericht nicht, ob eine andere Lösung möglich und ggf. angemessener und zweckmäßiger wäre (BVerfGE 21, 209 ≪216≫).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1556567

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