Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.12.1960)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Dezember 1960 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I

Die beteiligten Versicherungsträger streiten über die Zuständigkeit für die Entschädigungsleistung anläßlich des Unfalls, den die Beigeladene Frau T. am 29. Juli 1957 gegen 1.30 Uhr erlitten hat. Diese ist als Inhaberin eines Metzgereibetriebes in Dortmund bei der Fleischerei-Berufsgenossenschaft (BG) unfallversichert. Das Ladengeschäft befindet sich an der Straße, dahinter ist – zu ebener Erde an einem Hof gelegen – die Wohnung. In der Nacht vom 28. zum 29. Juli 1957 verübte dort der Fürsorgezögling O. einen Einbruch. Vom Hofe aus stieg er in die Küche ein, begab sich in den Laden, wo er zwei Würstchen aß und sich nach weiteren Nahrungsmitteln zum Mitnehmen umsah; dann ging er in das Wohnzimmer, wo er einige Schubladen nach Geld durchsuchte. Von diesen Geräuschen erwachte die im Schlafzimmer nebenan schlafende Frau T. Sie stieg durch das Badezimmerfenster in den Hof hinaus und rief dort Bewohner des Hinterhauses zur Hilfe. Bevor diese eintrafen, verließ O. die Wohnung durch die Küchentür; Frau T. versuchte, ihn an der Flucht zu hindern, und hielt ihn fest. Bei dem Handgemenge, das sich durch die Toreinfahrt hinzog, stach O. auf die Frau mit einem Messer ein, das er in der Küche an sich genommen hatte; alsdann konnte er sich losreißen und entfliehen. Frau T. mußte wegen der Stichverletzung einige Tage im Krankenhaus behandelt werden.

Die BG, bei der die Verletzte einen Entschädigungsanspruch anmeldete, ist der Meinung, der Unfall habe sich bei dem persönlichen Einsatz zur Verfolgung oder Festnahme des einer strafbaren Handlung verdächtigen O. ereignet; deshalb bestehe Versicherungsschutz auf Grund des § 537 Nr. 5 Buchst. c der Reichsversicherungsordnung in der bis zum 30. Juni 1963 geltenden Fassung (RVO aF), und für die Gewährung der Unfallentschädigung sei nicht die BG, sondern gemäß § 627 Abs. 2 RVO aF die Eigenunfallversicherung der Stadt Dortmund (EUV) zuständig. Die EUV bestreitet ihre Zuständigkeit. Daraufhin hat die BG Klage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhoben mit dem Antrag auf Feststellung, daß die EUV für die am 29. Juli 1957 von Frau T. erlittene Verletzung als zuständiger Versicherungsträger Entschädigung zu leisten habe.

Das Sozialgericht (SG) Speyer hat durch Urteil vom 23. Juni 1959 die Klage abgewiesene

Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat Frau T. beigeladen. Durch Urteil vom 16. Dezember 1960 (veröffentlicht in Breithaupt 1962, 382) hat das LSG die Entscheidung des SG aufgehoben und festgestellt, daß die Beklagte der zuständige Versicherungsträger für die Gewährung von Unfallentschädigung aus Anlaß des Unfalls der Beigeladenen vom 29. Juli 1957 sei: Der Unfall habe sich nicht im Rahmen einer dem Metzgereibetrieb zuzurechnenden und damit bei der Klägerin versicherten Tätigkeit ereignet. Das schadenbringende Ereignis sei von außen kommend, von der betrieblichen Tätigkeit ganz unabhängig und anders geartet eingetreten. Eine ursächliche Beziehung zur Berufstätigkeit im Metzgereibetrieb wäre selbst dann zu verneinen, wenn es dem Einbrecher ausschließlich darauf angekommen wäre, Waren aus der Metzgerei zu entwenden, da auch in diesem Falle die Beigeladene nicht einer der Betriebstätigkeit eigenen Gefahr ausgesetzt gewesen wäre. Daher sei der nur subsidiär geltende § 537 Nr. 5 Buchst. c RVO aF hier anzuwenden, dessen Tatbestandsmerkmale erfüllt seien. Für die Anwendung dieser Vorschrift sei es belanglos, in wessen persönlichem Interesse die Festnahme des einer Straftat Verdächtigen habe erfolgen sollen. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 7. Februar 1961 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 4. März 1961 Revision eingelegt mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben. Am 30. März 1961 hat die Beklagte ihre Revision begründet und dabei ausgeführt, der Versicherungsschutz nach der 1. Alternative des § 537 Nr. 5 Buchst. c RVO aF setze voraus, daß der Einsatz bei Verfolgung oder Festnahme zugunsten eines Dritten erfolgt sei; die Beigeladene hingegen sei im Unfallzeitpunkt nur zum Schutz ihres eigenen Vermögens tätig geworden.

Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung, durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist statthaft und zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg, da das im Ergebnis mit Recht die Zuständigkeit der Beklagten bejaht hat.

Das LSG ist davon ausgegangen, daß § 537 Nr. 5 Buchst. c RVO aF nur subsidiär gelte; diese Vorschrift sei also nicht anwendbar, wenn Unfallversicherungsschutz bereits auf Grund anderer Vorschriften – insbesondere §§ 537 Nr. 1, 538 RVO aF – gegeben sei (ebenso Bayer. LSG, AmtsBl. Bayer. AM 1956 B 99 = Breithaupt 1957, 505; Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl., Anm. 34 zu § 537, 3. Auf., Anm. 65 b zu § 539). Der Senat konnte – wie schon in seiner Entscheidung vom 26. September 1961 (SozR RVO § 537 aF Bl. Aa 23 Nr. 23) – diese Frage offenlassen, da es nach Lage des Falles hierauf nicht ankommt. Wäre § 537 Nr. 5 RVO aF entgegen dem Standpunkt des LSG als gleichrangige Vorschrift anzusehen, so würde das angefochtene Urteil vollends unangreifbar sein. Geht man aber mit dem LSG von einer nur subsidiären Anwendbarkeit dieser Vorschrift aus, so ändert sich das Ergebnis auch nicht, da ein Versicherungsschutz auf Grund einer Tätigkeit für den Metzgereibetrieb nicht begründet ist, so daß der Versicherungsschutz gemäß § 537 Nr. 5 Buchst. c RVO aF als alleinige Grundlage des Entschädigungsanspruchs übrig bleibt.

Zu diesem Ergebnis ist auch das LSG gelangt, allerdings mit einer Begründung, welcher nicht durchweg beigepflichtet werden kann. Der früher schon vom Bayer. LSG (aaO) hervorgehobene Gesichtspunkt, das schadenbringende Ereignis, das die allein rechtserhebliche Ursache der Verletzung gebildet habe, sei von außen kommend, von der betrieblichen Tätigkeit ganz unabhängig und anders geartet eingetreten, stellt kein geeignetes Abgrenzungsmerkmal bei der Beurteilung des inneren Zusammenhangs zwischen einer Tätigkeit für das Unternehmen und einem Unfallereignis dar. Hiergegen spricht schon der seit langem in der Rechtsprechung anerkannte Grundsatz, daß auch Unfälle des täglichen Lebens, die nicht auf betriebseigentümliche Gefahren zurückzuführen sind, als Arbeitsunfälle anerkannt werden können (vgl. RVA, AN 1914, 411 Nr. 2690; BSG 6, 164, 169; 17, 75, 77). Trotz der fehlsamen Erwägung ist jedoch dem LSG im Ergebnis darin zuzustimmen, daß der Unfall der Beigeladenen nicht mit ihrem bei der Klägerin versicherten Unternehmen rechtlich wesentlich zusammenhing; denn der im angefochtenen Urteil festgestellte, von der Revision nicht angegriffene Sachverhalt bietet für einen solchen Zusammenhang nicht genügend Anhaltspunkte. Die Beigeladene verbrachte die Nachtruhe in ihrer Privatwohnung; sie wurde durch den Einbrecher aufgeweckt, der ihr Wohnzimmer durchsuchte; ihr hierauf folgendes Eingreifen, das zu ihrer Stichverletzung führte, war somit bei lebensnaher Betrachtungsweise von Antrieben beherrscht, die nicht wesentlich auf den Schutz ihres Geschäftsunternehmens ausgerichtet waren, sondern allgemein der Vereitelung eines rechtswidrigen Angriffs gegen ihren gesamten – privaten und betrieblichen – Lebensbereich galten. Das reicht nicht aus, um auf Grund dieses Sachverhalts einen rechtlich wesentlichen Zusammenhang zur betrieblichen Tätigkeit herzustellen. Nach Meinung des Senats wäre freilich eine andere Beurteilung durchaus denkbar, wenn ein Geschäftsinhaber einen Einbrecher, der es auf Gegenstände des Betriebes abgesehen hat, im Geschäftslokal antrifft und ihm entgegentritt, um einen Schaden vom Unternehmen abzuwenden; lassen in dieser weise die äußeren Umstände des Geschehens eine Betriebsbezogenheit beim persönlichen Einsatz zur Festnahme oder Verfolgung des Einbrechers klar erkennen, so kann der Zusammenhang mit der Tätigkeit im Unternehmen nicht abgelehnt werden. Der Geschehensablauf bei dem Unfall der Beigeladenen war jedoch nicht durch eine solche Betriebsbezogenheit gekennzeichnet. Deshalb stand die Beigeladene hierbei nicht unter dem Versicherungsschutz nach § 542 i. V. m. § 538 RVO aF.

Dagegen sind die Tatbestandsmerkmale des § 537 Nr. 5 Buchst. c – 1. Alternative – RVO aF als erfüllt anzusehen. Die Beigeladene wurde verletzt, als sie den Eindringling, der sich vom Tatort zu entfernen trachtete, an der Flucht hindern wollte, indem sie ihn festhielt und Hausbewohner zur Hilfe herbeirief. Sie setzte sich damit, persönlich ein bei dem Versuch der Festnahme einer Person, die einer strafbaren Handlung verdächtig war. Da O. bereits sein Einsteigen in die Räume der Beigeladenen zur Nachtzeit vollendet und durch sein von der Beigeladenen wahrgenommenes Verhalten kriminelle Absichten deutlich zu erkennen gegeben hatte, war der bei § 537 Nr. 5 Buchst. c RVO aF vorausgesetzte Tatverdacht (vgl. BSG 20, 107) zweifelsfrei gegeben. Daß die Straftat, deren der Festzunehmende verdächtig war, sich gegen die Besitzsphäre der Beigeladenen selbst richtete, schloß den Versicherungsschutz nicht aus. Wie das LSG zutreffend dargelegt hat, erfordert die 1. Alternative des § 537 Nr. 5 Buchst. c RVO aF nicht, daß der sich Einsetzende die Verfolgung oder Festnahme einer Person bezweckt, welche des Eingriffs in die Rechtssphäre eines Dritten verdächtig ist (ebenso Lauterbach, 2. Aufl., aaO, 3. Aufl. Anm. 65 a zu § 539). Die abweichende Ansicht des Bayer. LSG (aaO), welche die Beklagte zum Hauptinhalt ihrer Revisionsbegründung gemacht hat, läßt sich weder auf den eindeutigen – von der 2. Alternative sowie von Nr. 5 Buchst. a u. b klar unterschiedenen – Wortlaut noch auf den Sinn dieser Vorschrift stützen. Bei ihrer Behauptung, die Anwendbarkeit des § 537 Nr. 5 Buchst. c 1. Alternative in Fällen dieser Art. würde zur Folge haben, daß den Hinterbliebenen von Ermordeten stets Rente zu zahlen sei, übersieht die Beklagte, daß es in jedem Falle auf die besonderen Tatbestandsmerkmale einer (mindestens versuchten) Verfolgung oder Festnahme ankommt, die bei dem hier gegebenen Sachverhalt – im Unterschied zu dem seinerzeit vom Bayer. LSG entschiedenen Fall – ohne Zweifel vorgelegen haben.

Die Revision war hiernach zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 193 SGG.

 

Unterschriften

Brackmann, Demiani, Dr. Baresel

 

Fundstellen

Haufe-Index 929572

BSGE, 101

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