Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 27.04.1988)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. April 1988 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Streitig ist Arbeitslosengeld (Alg).

Der 1968 geborene Kläger stand seit dem 1. September 1984 in einem Ausbildungsverhältnis bei einem Autohaus. Das Autohaus kündigte das Ausbildungsverhältnis zum 31. Dezember 1985. Es warf dem Kläger vor, er sei trotz eines Versprechens, sich zu bessern, am 14. Dezember 1985 in angetrunkenem Zustande und am 17. Dezember 1985 wieder in sehr schlechter körperlicher Verfassung zur Arbeit erschienen. Außerdem habe er nur an 9 der letzten 17 Schultage die Gewerbeschule besucht. Vor einem Ausschuß zur Schlichtung der Lehrlingsstreitigkeiten des Kraftfahrzeug-Handwerks einigten sich der Kläger und das Autohaus am 4. Februar 1986, das Lehrverhältnis in beiderseitigem Einvernehmen zum 31. Dezember 1985 aufzulösen.

Der Kläger meldete sich am 6. März 1986 arbeitslos und beantragte Alg. Am 17. März 1986 nahm er wieder eine Beschäftigung auf. Am 5. Mai 1986 meldete er sich erneut arbeitslos und beantragte Alg. Die erneute Arbeitslosigkeit hielt bis zum 17. Juni 1986 an.

Die Beklagte lehnte den ersten Antrag auf Alg ab, weil der Anspruch bis zum 25. März 1986 sperrzeitbedingt ruhe; die Sperrzeit, die den Anspruch auf Alg um 72 Tage mindere, sei nach § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) eingetreten und laufe vom 1. Januar bis 25. März 1986 (Bescheid vom 25. März 1986, Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 1986).

Auf den zweiten Antrag hin bewilligte die Beklagte Alg ab 5. Mai 1986 für 32 Tage (Bescheid vom 27. Juni 1986); das Alg ist bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 10. Juni 1986 ausgezahlt worden.

Das Sozialgericht (SG) hat unter Zulassung der Berufung den Bescheid vom 25. März 1986 idF des Widerspruchsbescheids vom 21. Mai 1986 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 6. bis 16. März 1986 Alg zu zahlen (Urteil vom 11. Juni 1987). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 27. April 1988). Wie das SG hat auch das LSG seine Entscheidung damit begründet, daß nach § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG eine Sperrzeit nicht eintrete, wenn ein Auszubildender sein Ausbildungsverhältnis löse oder durch vertragswidriges Verhalten Anlaß für die Kündigung des Ausbilders gebe.

Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG. Sie macht geltend, nach dieser Vorschrift trete eine Sperrzeit ua dann ein, wenn der Arbeitslose sein Arbeitsverhältnis gelöst habe. Arbeitsverhältnis sei auch ein Beschäftigungsverhältnis zum Zwecke der Berufsausbildung. Das folge nicht nur aus der Regelung des § 168 Abs 1 Satz 1 AFG, wonach auch zur Berufsausbildung Beschäftigte Arbeitnehmer seien. Die ausdrückliche Benennung dieses Personenkreises, wie zB in § 102 AFG, weise zwar auf eine Sonderstellung hin. Durch § 101 Abs 2 AFG sei aber ausdrücklich geregelt, daß Arbeitnehmer auch die im Rahmen betrieblicher Berufsausbildung Beschäftigten seien. Hieraus folge, daß der Auszubildende auch iS der §§ 100 ff AFG in einem Arbeitsverhältnis stehe. Auch im Sinne des Arbeitsrechts seien Ausbildungsverhältnisse Arbeitsverhältnisse. Der § 3 Abs 2 Berufsbildungsgesetz (BBiG) stelle insoweit nur klar, was selbstverständlich sei. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus § 19 BBiG. Die Auffassung der Vorinstanzen lasse im übrigen Sinn und Zweck der Sperrzeitregelung unberücksichtigt. Der der Sperrzeitregelung zugrundeliegende Gedanke, daß die Gemeinschaft der Beitragszahler vor Risiken zu schützen sei, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten habe, gelte auch gegenüber Auszubildenden. Das LSG habe zwar behauptet, die Belastung des Solidarfonds durch Fälle wie den vorliegenden halte sich in Grenzen, habe dies jedoch nicht weiter begründet. Gegen die Auffassung des LSG spreche schon, daß allein 1986 den 696.463 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen 110.220 vorzeitig gelöste Ausbildungsverträge gegenübergestanden hätten. Die Auffassung der Vorinstanzen sei im übrigen schwerlich mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Grundgesetz (GG) in Einklang zu bringen. Entgegen der Auffassung des LSG sei auch nicht zu erkennen, daß der Gesetzgeber beabsichtigt habe, Auszubildende von der Sperrzeitdrohung auszunehmen. Wenn für Fälle der Ablehnung des Eingehens eines Ausbildungsverhältnisses keine Sperrzeit vorgesehen sei, so zwinge dies nicht dazu, Gleiches auch für den Fall des Abbruchs anzunehmen. Im Gegenteil könne hieraus entnommen werden, daß nur der Sonderfall der Weigerung, ein durch das Arbeitsamt nachgewiesenes Berufsausbildungsverhältnis einzugehen, von der Sperrzeit ausdrücklich ausgenommen werden sollte. Art 12 GG erfordere nicht zwingend, den Abbruch eines Berufsausbildungsverhältnisses ebenso wie die Ablehnung seiner Aufnahme versicherungsrechtlich sanktionsfrei zu lassen, wie das LSG annehme. Ebenso wie bei einem auf Arbeit ausgerichteten Arbeitsverhältnis könne auch bei einem auf Berufsausbildung ausgerichteten Arbeitsverhältnis erwartet werden, daß erst ein Anschlußarbeitsverhältnis gesucht werde, bevor das erstere gelöst werde. Die Freiheit der Berufswahl werde durch diese Erwartung nicht berührt.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben sowie die Klage abzuweisen,

und hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zu verwerfen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Ob dem Kläger für die Zeit seiner ersten Arbeitslosigkeit vom 6. bis 16. März 1986 Alg zu zahlen und die Dauer seines Anspruchs um 72 Tage vermindert ist, kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden.

Die Vorinstanzen sind übereinstimmend davon ausgegangen, daß der Kläger alle Voraussetzungen eines Anspruchs auf Alg iS des § 100 Abs 1 AFG erfüllt hat und ihm an sich vom 6. bis 16. März 1986 Alg zustand. Dieser Ausgangspunkt begegnet nach Lage des Falles keinen Bedenken; er wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen.

Dennoch hätte der Kläger für die Zeit vom 6. bis 16. März 1986 kein Alg zu fordern, wenn diese Tage in eine Sperrzeit fielen; denn während der Sperrzeit ruht der Anspruch auf Alg (§ 119 Abs 1 Satz 3 AFG). Ist eine Sperrzeit eingetreten, minderte sich auch die Dauer des Anspruchs auf Alg um die Tage der Sperrzeit (§ 110 Abs 1 Nr 2 AFG). Die Vorinstanzen haben den Eintritt einer Sperrzeit verneint. Sie haben dies übereinstimmend damit begründet, daß der Kläger in einem Berufsausbildungsverhältnis gestanden habe, was nicht zweifelhaft ist, und die Auflösung von Beschäftigungsverhältnissen dieser Art nicht mit einer Sperrzeit bedroht werde. Der Senat vermag dieser, insbesondere von Gagel (Komm zum AFG, Stand Februar 1989, § 119 Rdz 330; vgl auch Schelter, Komm zum AFG, Stand Oktober 1988, § 119 Rdz 12; in diesem Sinne wohl ferner Hennig/Kühl/Heuer, Komm zum AFG, Stand April 1989, § 119 Anm 2 aE) vertretenen Ansicht nicht zu folgen. Er hält die ebenfalls im Schrifttum vertretene Gegenansicht (Ambs ua, Gemeinschaftskomm zum AFG, Stand Januar 1989, § 119 Rdz 8; Knigge/Ketelsen/Marschall/ Wittrock, Komm zum AFG, 2. Aufl 1988, § 119 Rdz 23; Schieckel/Grüner/Dalichau, Komm zum AFG, Stand Januar 1989, § 119 Erl II 1; Schönefelder/Kranz/Wanka, Komm zum AFG, Rdz 3 zu § 119 – alt –) für überzeugender.

Rechtsgrundlage ist § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung, die die Vorschrift durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) gefunden hat. Die während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes und zur Förderung eines gleitenden Übergangs älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2343) greift noch nicht Platz. Sie ist erst anzuwenden, wenn das Ereignis, das die Sperrzeit begründet, nach dem 1. Januar 1989 eingetreten ist (§ 242 i Abs 11 AFG idF des zuletzt genannten Gesetzes). Das ist hier nicht der Fall; denn das Ereignis, das die Sperrzeit begründen könnte, war am 1. Januar 1989 längst eingetreten.

Nach § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG in der hier anwendbaren Fassung tritt eine Sperrzeit ein, wenn der Arbeitslose das Arbeitsverhältnis gelöst oder durch ein vertragswidriges Verhalten Anlaß für die Kündigung des Arbeitgebers gegeben hat und er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Das Gesetz spricht zwar von der Lösung des Arbeitsverhältnisses und der Kündigung des Arbeitgebers. Darunter ist jedoch zwangslos auch die Lösung des Berufsausbildungsverhältnisses und die Kündigung des Ausbildenden zu begreifen, auch wenn bei Berufsausbildungsverhältnissen nicht wie bei typischen Arbeitsverhältnissen die Leistung von Arbeit gegen Lohn, sondern die Ausbildung im Vordergrund steht, und Berufsausbildungsverhältnisse daher ihrem Wesen nach von der Wissenschaft nicht als Arbeitsverhältnisse angesehen werden (vgl Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Aufl 1982, S 125 ff mwN; Herkert, Komm zum BBiG, Stand Mai 1988, § 3 Rdz 17a; Weber, Komm zum BBiG, Stand Oktober 1988, § 3 Anm 1; Bickel in FS Ernst Wolf, S 35 ff). Denn ungeachtet dieser Natur werden in der Rechtspraxis Berufsausbildungsverhältnisse als Arbeitsverhältnisse (vgl Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 6. Aufl 1987, § 174 II; ebenso wohl Gerhard Müller in Gedenkschrift Kahn-Freund, S 571 f; Hartmann AuR 1971, 46), wenn auch nicht als „reine” Arbeitsverhältnisse (Knopp/Kraegeloh, Komm zum BBiG, 2. Aufl 1982, § 3 Rdz 3), als arbeitsrechtsähnliche (Weber, Komm zum BBiG und zum BBiFördG, 6. Aufl 1987, Erl zu § 3; derselbe, Komm zum BBiG, Stand 1988, § 3 Anm 2), dem Arbeitsverhältnis angenäherte (Herkert, Komm zum BBiG, Stand Mai 1988, § 3 Rdz 17b), ihm nahestehende Rechtsbeziehungen (BAG AP Nr 1 zu § 1 BBiG) oder verwandte Vertragsverhältnisse bezeichnet (Knigge in Arbeitsrechts-Blattei „Berufsausbildung II”), weil auf den Berufsausbildungsvertrag die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze anzuwenden sind, soweit sich aus seinem Wesen und dem BBiG nichts anderes ergibt (§ 3 Abs 2 BBiG). Auch fehlt dem AFG hinsichtlich der Begriffe Arbeitsverhältnis, Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine verläßliche Begrifflichkeit, nach der mit diesen Worten das Berufsausbildungsverhältnis, der Ausbildende und der Auszubildende grundsätzlich nicht gemeint ist. Dementsprechend hat der Senat auch Auszubildende, obwohl dort nicht ausdrücklich erwähnt, als Arbeitnehmer iS des § 19 AFG und des § 64 Abs 1 Nr 3 AFG (in der bis zum 31. Dezember 1983 geltenden Fassung des AFKG) mit der Folge angesehen, daß für die Ausübung einer Beschäftigung im Rahmen eines Berufsausbildungsverhältnisses durch einen Ausländer eine Arbeitserlaubnis erforderlich ist (BSGE 47, 93 = SozR 4100 § 19 Nr 8). Er hat ferner entschieden, daß bei der für die Gewährung von Kug anzustellenden Prüfung, ob für mindestens ein Drittel der in einem Betrieb tatsächlich beschäftigten Arbeitnehmer jeweils mehr als 10 vH der Arbeitszeit ausfällt, nach dem bis zum 31. Dezember 1983 geltenden Recht Auszubildende mitzuzählen sind (BSG SozR 4100 § 64 Nr 3).

Gibt der Auszubildende durch ein seine Pflichten aus dem Berufsausbildungsvertrag verletzendes Verhalten Anlaß für die – ihm erklärte – Kündigung und führt er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbei, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, stößt die Anwendung des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG schon begrifflich auf keine Schwierigkeiten. Denn Arbeitgeber, dessen Kündigung der gesetzliche Tatbestand voraussetzt, ist, wer Arbeitnehmer beschäftigt. Arbeitnehmer sind aber auch die im Rahmen betrieblicher Berufsausbildung Beschäftigten. Das sieht § 101 Abs 2 AFG seit dem Dritten Gesetz zur Änderung des AFG vom 17. Juli 1974 (BGBl I 1481) für die die Leistungen bei Arbeitslosigkeit regelnden §§ 100 ff AFG, um deren Anwendung es hier geht, ausdrücklich vor, nachdem dies schon bis dahin so angenommen worden war (Gagel/Steinmeyer aaO § 101 Rdz 46; Schönefelder/Kranz/Wanka aaO Rdz 4 und 5 zu § 101 – alt sowie Rdz 1 und 2 zu § 101 – neu –). Wer als Ausbildender einen Auszubildenden beschäftigt, ist daher iS der §§ 100 ff AFG dessen Arbeitgeber. Im Beitragsrecht gilt übrigens nichts anderes (§§ 172 Abs 1 Satz 1, 168 Abs 1 Satz 1 AFG; vgl ferner §§ 9, 10 Abs 1, 133 AFG).

Kann begrifflich eine Sperrzeit eintreten, wenn der Arbeitslose durch Verletzung von Pflichten aus seinem Berufsausbildungsverhältnis Anlaß für die Kündigung des Ausbildenden gegeben hat, muß Gleiches gelten, wenn der Arbeitslose das Berufsausbildungsverhältnis gelöst hat. Arbeitsverhältnis iS des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG wäre hiernach nicht nur ein Arbeitsverhältnis im eigentlichen Sinne, also ein Schuldverhältnis zwischen zwei Personen, durch die die eine zur Leistung abhängiger Arbeit und die andere zur Zahlung von Lohn als Gegenleistung verpflichtet ist. Im Hinblick darauf, daß der Arbeitnehmerbegriff im Leistungsrecht des AFG sich nicht auf Personen beschränkt, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt beschäftigt sind, vielmehr auch Heimarbeiter und die im Rahmen betrieblicher Berufsausbildung Beschäftigten einbezieht (§ 101 Abs 2 AFG), ist der Begriff des Arbeitsverhältnisses weiter zu fassen und – neben etwa dem Heimarbeitsverhältnis (zustimmend Schelter aaO), worüber hier allerdings nicht zu befinden ist – auch das Berufsausbildungsverhältnis einzubeziehen.

Der Sinnzusammenhang der Sperrzeitregelung spricht nicht gegen, sondern entscheidend für die Einbeziehung von Berufsausbildungsverhältnissen in § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG, wie die Revision zu Recht geltend macht. Die Sperrzeitregelung beruht auf dem Grundgedanken, daß sich eine Versichertengemeinschaft dagegen wehren muß, wenn der Versicherte an der Behebung eines Risikofalles unbegründet nicht mithilft oder, worum es im Falle der Nr 1 geht, wenn er den Eintritt des Versicherungsfalles selbst zu vertreten hat (BSGE 47, 101, 104 = SozR 4100 § 119 Nr 5; BSGE 49, 197, 199 = SozR 4100 § 119 Nr 11). Diesem Grundgedanken entspricht es, wenn auch einem Auszubildenden eine Sperrzeit für die Fälle droht, daß er sein Berufsausbildungsverhältnis auflöst, aufgrund dessen er in einem die Arbeitslosigkeit ausschließenden Beschäftigungsverhältnis steht, oder durch ein vertragswidriges Verhalten Anlaß für eine Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses gibt, bei der es sich nach Ablauf der Probezeit übrigens nur um eine Kündigung aus wichtigem Grunde handeln kann (vgl § 15 Abs 2 BBiG). Das jedem Deutschen durch Art 12 Abs 1 GG eingeräumte Recht, Beruf und Ausbildungsstätte frei zu wählen, steht dem nicht entgegen, wie auch das Grundrecht der freien Wahl des Arbeitsplatzes mit der Sperrzeitregelung vereinbar ist; denn da eine Sperrzeit in keinem Falle eintritt, wenn der Arbeitslose für sein Verhalten einen wichtigen Grund hat, kann den durch das Grundrecht des Art 12 Abs 1 GG geschützten Belangen und solchen, die nicht durch das Grundrecht geschützt sind, aber mit der Berufswahl, der Berufsausbildung und der Berufsausübung in Zusammenhang stehen und anzuerkennen sind, im Einzelfalle entsprochen werden (vgl BSGE 3, 298, 301 f).

Vielfach wird hiernach dem Auszubildenden bei der Auflösung eines Berufsausbildungsverhältnisses zwar ein Grund zur Seite stehen, der sein Verhalten rechtfertigt, zB bei eigener Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses, weil er die Berufsausbildung aufgeben oder sich für eine andere Berufstätigkeit ausbilden lassen will (§ 15 Abs 2 Nr 2 BBiG). Im Lichte des Art 3 Abs 1 GG ist aber nicht ersichtlich, weshalb Auszubildende gegenüber anderen Arbeitnehmern grundsätzlich bevorrechtigt sein sollten, wenn sie den Eintritt von Arbeitslosigkeit herbeiführen, indem sie ihr Beschäftigungsverhältnis beenden oder die Beendigung durch Vertragsverletzung verursachen, ohne für ihr Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Wie bei einem auf Arbeit ausgerichteten Arbeitsverhältnis kann auch bei einem Berufsausbildungsverhältnis erwartet werden, daß der Auszubildende im Rahmen der Zumutbarkeit Belange der Solidargemeinschaft berücksichtigt. Jedenfalls ist nicht einzusehen, weshalb die Versichertengemeinschaft selbst dann die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit durch den Auszubildenden sanktionslos hinnehmen müßte, wenn dieser mit der getroffenen Berufswahl nach wie vor einverstanden ist und das Berufsausbildungsverhältnis nur deshalb nicht wie geplant zu Ende führen kann, weil dem Ausbildenden infolge vertragswidrigen Verhaltens des Auszubildenden die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr zuzumuten ist.

Gegen die Einbeziehung von Berufsausbildungsverhältnissen in die Sperrzeitdrohung des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG läßt sich nicht einwenden, daß das Gesetz im Zusammenhang mit beruflicher Bildung oder speziell beruflicher Ausbildung von Sperrzeiten abgesehen habe. Das ist nämlich nicht der Fall. Nach § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG kann eine Sperrzeit eintreten, wenn sich der Arbeitslose weigert, an einer Maßnahme iS des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst b AFG teilzunehmen. Ebenfalls kann eine Sperrzeit eintreten, wenn ein Arbeitsloser die Teilnahme an einer solchen Maßnahme abgebrochen hat (§ 119 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG). Bei diesen Maßnahmen handelt es sich aber ua um zumutbare Maßnahmen zur beruflichen Ausbildung, Fortbildung und Umschulung.

Die vorgenannten Regelungen rechtfertigen auch nicht den Schluß, außerhalb dieser Tatbestände habe das Gesetz den Eintritt von Sperrzeiten im Zusammenhang mit beruflichen Ausbildungsverhältnissen generell ausgeschlossen (so aber Gagel aaO § 119 Rdz 330; vgl Hennig/Kühl/Heuer aaO § 119 Anm 2 aE). Eine solche Annahme verbietet sich schon deshalb, weil der Gesetzgeber die Fälle, die er von den allgemein abgefaßten Sperrzeittatbeständen aus besonderen Gründen ausgenommen wissen wollte, besonders genannt hat, wie Beschäftigungen in nach § 98 AFG geförderten Betrieben. Ebensowenig läßt sich die Rechtsprechung des Senats zu § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung verallgemeinern, nach der eine Sperrzeit nicht eintritt, wenn der Arbeitslose wegen maßnahmewidrigen Verhaltens aus seinem Verschulden von der weiteren Teilnahme an der Maßnahme ausgeschlossen worden ist (BSGE 60, 50 = SozR 4100 § 119 Nr 27). Diese Rechtsprechung beruht wesentlich auf der Erkenntnis, daß der Gesetzgeber bewußt davon abgesehen hatte, die unregelmäßige Teilnahme an der Maßnahme oder die Gefährdung der Maßnahme durch maßnahmewidriges Verhalten mit einer Sperrzeit zu bedrohen, weil die Sperrzeit kein geeignetes Mittel sei, um den Arbeitslosen zu einem disziplinierten Verhalten während der Schulung zu veranlassen (vgl zu BT-Drucks V/4110 S 21). Diese Besonderheit bezieht sich auf Maßnahmen „Schulungen”). Deshalb und weil sie mit dem Grundgedanken der Sperrzeitregelung nicht übereinstimmt, worauf der Senat hingewiesen hat (BSGE 60, 50, 51 = SozR 4100 § 119 Nr 27), läßt sie sich nicht mit der Folge verallgemeinern, daß eine Sperrzeit auch dann nicht eintritt, wenn ein Auszubildender durch vertragswidriges Verhalten Anlaß für die Kündigung seines Ausbildungsverhältnisses gegeben hat.

Ebensowenig ist § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG, wonach eine Sperrzeit eintreten kann, wenn der Arbeitslose eine vom Arbeitsamt angebotene „Arbeit” nicht angenommen oder angetreten hat, zu entnehmen, daß § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG auf Berufsausbildungsverhältnisse keine Anwendung findet (so aber Gagel aaO § 119 Rdz 330; Hennig/Kühl/ Heuer aaO § 119 Anm 2 aE). Allerdings mag angesichts des Wortlauts der Nr 2 zweifelhaft sein, ob eine Sperrzeit dann eintreten kann, wenn dem Arbeitslosen nicht eine Arbeit, sondern eine Berufsausbildung angeboten worden ist und der Arbeitslose das angebotene Berufsausbildungsverhältnis nicht angenommen oder angetreten hat. Indessen bedürfen die Grenzen des in § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG verwendeten Begriffs „Arbeit” hier keiner näheren Bestimmung. Selbst wenn dem Arbeitslosen keine Arbeit angeboten wird, wenn ihm eine Beschäftigung als Auszubildender nachgewiesen wird, so bedeutet dies nicht, daß auch die Beendigung eines Berufsausbildungsverhältnisses nicht mit einer Sperrzeit bedroht ist. Die zu Sperrzeiten führenden Tatbestände iS des § 119 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 und 2 AFG sind nicht in jeder Hinsicht gleichgewichtig. Im Falle der Nr 2 ist der Versicherte bei Ablehnung des Arbeitsangebots bereits arbeitslos, im Falle der Nr 1 hat er sich hingegen schuldhaft arbeitslos gemacht. Schon darin liegt eine andere Ausgangslage, die andere Lösungen rechtfertigt (vgl BSG SozR 4100 § 119 Nr 21). Das Gesetz hat dies ebenso gesehen, indem es, allerdings beschränkt auf die Zeit von 1985 bis 1989, im Falle des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG Sperrzeiten von längerer Dauer angeordnet hat (§ 119a AFG, eingefügt durch das Arbeitsförderungs- und Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1984, BGBl I 1713).

Schließlich kann aus den Gesetzesmotiven nicht zwingend abgeleitet werden, daß der Gesetzgeber die Begriffe des Arbeitsverhältnisses und des Arbeitgebers in § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG unter Ausschluß des Berufsausbildungsverhältnisses bzw des Ausbildenden verstanden wissen wollte. Allerdings findet sich im Schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit zum AFG-Entwurf die Bemerkung, die Vorschrift gelte nicht für die berufliche Ausbildung in Betrieben und überbetrieblichen Lehrwerkstätten, was mit dem Hinweis „vgl Art 12 Abs 1 GG” begründet worden ist (zu BT-Drucks V/4110 S 21). Abgesehen davon, daß Art 12 Abs 1 GG keinen Ausschluß von Sperrzeiten im Zusammenhang mit Berufsausbildungsverhältnissen verlangt, bezieht sich diese Bemerkung nicht auf die Sperrzeittatbestände des späteren § 119 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 und 2 AFG, sondern auf Nr 3, also den Fall, daß sich der Arbeitslose geweigert hat, an einer Maßnahme zur beruflichen Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung teilzunehmen. Daß für das bis zum Inkrafttreten des AFG geltende Recht angenommen worden ist, eine Lehrstelle sei keine Arbeitsstelle, deren Aufgabe bzw Verlust mit einer Sperrfrist bedroht war (Draeger/Buchwitz/Schönefelder, Komm zum AVAVG, § 80 Rdz 2; Krebs, Komm zum AVAVG, § 80 Rdz 3), ist ohne Belang; denn das AFG hat das frühere Sperrfristenrecht nicht übernommen, sondern als Sperrzeitenrecht neu gestaltet, wobei auch der Begriff der Arbeitsstelle nicht mehr verwendet worden ist, und zwar sowohl für den Fall der Aufgabe als auch für den Fall der Ablehnung eines angebotenen Beschäftigungsverhältnisses.

Ist hiernach der Auffassung der Vorinstanzen, daß eine Sperrzeit nicht eintreten konnte, nicht zu folgen, muß in Ermangelung der für eine abschließende Entscheidung erforderlichen Feststellungen das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen werden. Die vom LSG getroffenen Feststellungen lassen weder die Entscheidung zu, ob eine Sperrzeit eingetreten ist, noch, wenn das der Fall ist, welche Auswirkungen diese Sperrzeit hat.

Der Kläger hat iS des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG sein Arbeitsverhältnis gelöst, weil er es durch Vereinbarung mit dem Ausbildenden beendet hat. Daß die Beendigung vom Ausbildenden ausgegangen ist, ist unerheblich; es genügt, daß der Arbeitslose durch seine Zustimmung zu der Vereinbarung eine wesentliche Ursache für die Beendigung gesetzt hat. Feststellungen fehlen indessen, ob der Kläger hierdurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat. Letzteres wäre nicht der Fall, wenn der Kläger konkrete Aussichten auf einen Anschlußarbeitsplatz gehabt hat. Ebenso hat das LSG nicht geprüft, ob der Kläger für sein Verhalten einen wichtigen Grund hatte, wozu es von seiner Rechtsauffassung her auch nicht veranlaßt war.

Das Ruhen des Anspruchs auf Alg während der hier streitigen Bezugszeit vom 6. bis 16. März 1986 setzt ferner voraus, daß die Dauer der Sperrzeit zwölf Wochen beträgt, wie dies für Sperrzeiten nach § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG im Regelfall vorgesehen ist, die in der Zeit vom 1. Januar 1985 bis zum 31. Dezember 1989 eintreten (§ 119a Nr 1 AFG). Eine Sperrzeit von geringerer Dauer, dh eine solche von sechs Wochen (§ 119 Abs 2, § 119a Nr 1 AFG) oder, falls § 119a AFG nicht zur Anwendung kommt, von acht bzw vier Wochen (§ 119 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 AFG), würde die streitigen Bezugstage nicht mehr erfassen. Auch die Minderung des Anspruchs auf Alg um 72 Tage, die die Beklagte verfügt hat, ohne daß der Kläger Alg bezogen hätte, hängt nach § 110 Abs 1 Nr 2 AFG davon ab, daß eine Sperrzeit mit einer Dauer von zwölf Wochen eingetreten ist; eine Sperrzeit von geringerer Dauer berechtigte nur zu einer Minderung von 48, 36 oder 24 Anspruchstagen. Auch insoweit fehlt es an Feststellungen.

Die Vorschrift des § 119a AFG ist nach der durch das Achte Gesetz zur Änderung des AFG vom 14. Dezember 1987 (BGBl I 2602) erlassenen Vorschrift des § 242d Abs 2 AFG für Ansprüche auf Alg nicht anzuwenden, wenn die Entscheidung über den Eintritt der Sperrzeit am 23. Juli 1987 noch nicht unanfechtbar war, was hier der Fall gewesen ist, und der Arbeitslose innerhalb der Rahmenfrist mindestens 360 Kalendertage vor dem 1. Januar 1985 in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden oder Zeiten zurückgelegt hat, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen können. Es spricht zwar nicht viel dafür, daß letzteres der Fall gewesen ist. Indessen fehlen diesbezügliche Feststellungen, welche die Anwendung dieser Übergangsvorschrift ausschließen. Es besteht daher kein Anlaß, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die gegen § 119a AFG geäußerten verfassungsrechtlichen Einwände (vgl Ambs ua aaO § 119a Rdz 4; Hennig/Kühl/Heuer aaO § 119a; SG Berlin Breithaupt 1986, 527 und die – inzwischen wieder aufgehobenen – Vorlagebeschlüsse des SG Hamburg NZA 1986, 655 und des SG Osnabrück vom 26. August 1986 – S 4 Ar 269/85 –) begründet sind, nachdem der Gesetzgeber durch § 242d Abs 2 AFG den Anwendungsbereich des § 119a AFG eingeschränkt hat. Feststellungen fehlen schließlich auch, die eine Beurteilung erlauben, ob eine Sperrzeit mit einer Regeldauer von zwölf bzw acht Wochen für den Kläger nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde, so daß die Sperrzeit nur sechs bzw vier Wochen umfaßt (§ 119 Abs 2, § 119a Nr 1 AFG).

Das angefochtene Urteil ist daher nach § 170 Abs 2 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174547

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