Leitsatz (amtlich)

Bei der Festsetzung der Höhe der Übergangsrente nach BKVO SL § 5 Abs 1 ist der durch die Aufgabe der Untertagearbeit an sich eingetretene wirtschaftliche Nachteil um die Höhe der wegen der Aufgabe der Untertagetätigkeit andererseits gewährten Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit (RKG § 45 Abs 1 Nr 1) zu mindern.

 

Normenkette

RKG § 45 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-05-23; BKVO SL § 5 Abs. 1 Fassung: 1954-07-02

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 27. November 1968 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die dem Kläger gewährte Bergmannsrente (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -) die Höhe der aus gleichem Anlaß von der Bergbau-Berufsgenossenschaft gemäß § 5 Abs. 1 b der Berufskrankheiten-Verordnung des Saarlandes - BKVO-Saar - (Amtsbl. des Saarlandes 1954, S. 802 ff) gezahlten Übergangsrente beeinflußt.

Der am 24. Januar 1928 geborene Kläger war im saarländischen Bergbau unter Tage zuletzt acht Jahre als Hauer beschäftigt. Am 25. Februar 1958 gab er diese Tätigkeit auf Veranlassung der Beklagten auf, weil silikotische Lungenveränderungen seine Erwerbsfähigkeit gefährdeten. Über Tage arbeitete er weiter, zunächst als Platzarbeiter, dann als Vermessungsgehilfe.

Zum Ausgleich des durch die Verlegung verursachten Minderverdienstes - weitere wirtschaftliche Nachteile waren nicht ersichtlich - gewährte die Beklagte dem Kläger ab 25. Februar 1958 eine Übergangsrente, die nach der Differenz zwischen dem Durchschnittshauerlohn aller Gruben der Saarbergwerke und dem Einkommen des Klägers aus seiner jeweiligen Übertage-Tätigkeit bemessen war und den auf dieser Grundlage errechneten Lohnausfall voll ausglich.

Mit Bescheid vom 15. Februar 1966 erkannte die Saarknappschaft dem Kläger die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit rückwirkend ab 1. März 1958 zu. Die Beklagte berechnete daraufhin die gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 BKVO-Saar nur für abgelaufene Zeiträume zu gewährende Übergangsrente mit Bescheid vom 25. Mai 1966 für die Zeit vom 1. Januar 1965 bis 28. Februar 1966 in der Weise, daß sie die dem Kläger für diese Zeit gewährte Bergmannsrente als Verdienst wertete und die Übergangsrente entsprechend verminderte, so daß diese jetzt zusammen mit der Bergmannsrente den Minderverdienst wieder voll ausglich.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrte der Kläger Übergangsrente ohne Anrechnung der Bergmannsrente. Die Beklagte beantragte Klageabweisung und Feststellung, daß sie berechtigt sei, die Bergmannsrente zu berücksichtigen, wenn diese ebenso wie die Übergangsrente nur wegen prophylaktischer Maßnahmen gewährt werde. Das Sozialgericht (SG) gab mit Urteil vom 14. Mai 1968 dem Antrag des Klägers statt, ließ die Berufung zu und führte aus, beide Leistungen würden zwar aus demselben Anlaß, aber doch aus anderen Rechtsgründen gewährt. Die Übergangsrente solle den Minderverdienst ausgleichen, während die Bergmannsrente für verminderte bergmännische Berufsfähigkeit gezahlt werde. Das Gesetz schließe die ungekürzte Leistung beider Renten nicht aus. Wegen der unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen seien auch allgemeine sozialversicherungsrechtliche Grundsätze, wie das Verbot von Doppelleistungen, hier nicht anwendbar.

Dagegen trug die Beklagte in dem von ihr eingeleiteten Berufungsverfahren vor, beide Renten hätten nur Lohnersatzfunktion und würden aus dem gleichen Grunde gewährt. Es sei deshalb sinnwidrig, wenn der Kläger durch die ungekürzten Rentenleistungen wirtschaftlich besser gestellt werde als bei seiner früheren Tätigkeit. Das Gesetz sehe nur den Ausgleich der durch die Verlegung entstandenen wirtschaftlichen Nachteile vor. Dabei seien nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. Mai 1963 - 2 RU 269/59 - (BSG 19, 157, 159) alle Umstände des konkreten Einzelfalles, also auch wirtschaftliche Vorteile wie z. B. die Bergmannsrente, zu berücksichtigen. Dagegen könnten Spätschäden in Form einer geringeren Rente nicht beachtet werden, weil es nicht möglich sei, einen solchen späteren Rentenverlust festzustellen.

Das Landessozialgericht (LSG) hob mit Urteil vom 27. November 1968 das Urteil des SG auf und wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, im Gegensatz zu der Praxis der Berufsgenossenschaften in den übrigen Ländern der Bundesrepublik könnte im Saarland nicht nur höchstens 2/3 des Minderverdienstes ausgeglichen, sondern der Lohnausfall voll ersetzt werden. Ein Mehr widerspreche aber dem Sinn und Zweck der Übergangsrente. Diese solle dem Versicherten den Übergang in ein neues Arbeitsverhältnis mit möglichst gleichem Verdienst erleichtern, nicht aber vollen Ersatz aller gegenwärtigen und künftigen wirtschaftlichen Nachteile gewähren. Bei der Ermittlung der Höhe der Übergangsrente seien auch wirtschaftliche Vorteile des Berufswechsels zu berücksichtigen. Es könne dahingestellt bleiben, ob es sich dabei um einen Vorteilsausgleich handele, denn schon das in Rechtsprechung und Literatur herausgestellte Verbot von Doppelleistungen berechtige die Beklagte zur Anrechnung der Bergmannsrente. Dies um so mehr, als beide Leistungen Lohn- und Unterhaltsersatzfunktion hätten. Aus dem Fehlen von Ruhensvorschriften in der BKVO-Saar könne nicht das Gegenteil geschlossen werden. § 5 Abs. 2 Satz 1 BKVO bestimme nur, daß die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit neben der Übergangsrente zu gewähren sei, die VO enthalte aber keine entsprechende Regelung für das Zusammentreffen mit anderen gesetzlichen Rentenleistungen. Es handele sich im übrigen nicht um die Frage eines "Ruhens" oder einer "Anrechnung" von Leistungen im eigentlichen versicherungsrechtlichen Sinne, sondern darum, inwieweit Leistungen aus der Sozialversicherung bei Ermittlung des Ausgleichs berücksichtigt werden könnten. Da die Übergangsrente keine echte Entschädigungsleistung sei, sondern den Maßnahmen der Krankenbehandlung, Unfallverhütung und Berufsfürsorge näherstehe, ergebe auch der deshalb naheliegende Vergleich mit dem Übergangsgeld (z. B. mit § 1241 Abs. 3 RVO), daß die Übergangsrente nur subsidiär einen noch bestehenden wirtschaftlichen Nachteil ausgleichen solle. Auch das Übergangsgeld brauche insoweit nicht gewährt zu werden, als der Betreute Arbeitsentgelt oder anderes Erwerbseinkommen oder eine Rente aus einem der Zweige der Rentenversicherung erhalte. Spätschäden durch geringere Rente könnten bei der Übergangsrente nicht beachtet werden, weil sie nicht zu erfassen und nicht in Geldwert auszudrücken seien. Dagegen spreche auch der Wortlaut der Vorschrift. Dieser schreibe nur den Ausgleich der tatsächlichen Minderung des Verdienstes und sonstiger wirtschaftlicher Nachteile vor, nicht auch den Ausgleich irgendwelcher in Zukunft etwa zu erwartender finanzieller Einbußen. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.

Mit der Revision rügt der Kläger die unrichtige Anwendung des § 5 Abs. 1 BKVO-Saar. Diese Bestimmung lasse Kürzungen der Übergangsrente nicht zu. Die Minderung des Verdienstes sei eindeutig abgrenzbar. Die Übergangsrente solle den Verdienstausfall bis zur Höhe der Hälfte der Vollrente ausgleichen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 27. November 1968 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 14. Mai 1968 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt dazu vor, § 5 Abs. 2 der VO bestimme ausdrücklich nur, daß die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit neben der Übergangsrente gewährt werden könne. Für die Bergmannsrente gelte das jedoch nicht. Sinn und Zweck der Vorschrift entspreche es, nicht nur Einbußen, sondern auch aus gleichem Grunde erzielte Mehreinkünfte in die Berechnung der Übergangsrente einzubeziehen.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Die BKVO-Saar ist revisibel. Sie ist nach der Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik Bundesrecht geworden, weil sie einen im gesamten übrigen Bundesgebiet bundesrechtlich geregelten Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung betraf (vgl. BSG 26, 84 und 85).

Das LSG ist mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß im vorliegenden Falle die Übergangsrente nach § 5 Abs. 1 BKVO-Saar um die Höhe der aus dem gleichen Grunde gewährten Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG zu mindern ist.

Nach § 5 Abs. 1 BKVO-Saar hat der Unfallversicherungsträger dem Versicherten zum Ausgleich einer durch die Aufgabe der bisherigen Beschäftigung verursachten Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsrente zu gewähren. Die Vorschrift stellt damit nicht nur auf die Minderung des Verdienstes ab, sondern es sind nach dem umfassenderen und den Verdienstausfall einschließenden Begriff alle wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen, die der Berufswechsel verursacht. Die Übergangsrente soll m. a. W. die durch die Aufgabe der bisherigen Beschäftigung verursachten wirtschaftlichen Nachteile, insbesondere die Minderung des Verdienstes ausgleichen. Verdienstausfall und sonstige wirtschaftliche Nachteile sind deshalb nicht selbständig und losgelöst voneinander festzustellen und auch nicht getrennt auszugleichen. Vielmehr ist zur Ermittlung der Nachteile die gesamte wirtschaftliche Lage des Versicherten vor der Verlegung nach Übertage mit der danach zu vergleichen. Deshalb sind alle Umstände des konkreten Einzelfalles, die sich auf die wirtschaftliche Lage auswirken, bei diesem Vergleich zu berücksichtigen (vgl. BSG 19, 157, 159). Der Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile stellt einen echten Schadensersatz dar. Wenn aber ein Schaden ersetzt werden muß, der durch ein Ereignis entstanden ist, müssen grundsätzlich auch die Vorteile berücksichtigt werden, die durch Eintritt dieses Ereignisses eingetreten sind. Es kann nur der durch den Vorteil geminderte Nachteil als Schaden anerkannt werden. Hat z. B. der Wechsel der Beschäftigung auf der einen Seite den Verlust des Hauerlohnes verursacht, auf der anderen aber einen neuen Verdienst ermöglicht, so ist dieser auf den Hauerlohnausfall anzurechnen, so daß im Ergebnis nur die Differenz auszugleichen ist. Auch die dem Kläger nach der Aufgabe der Untertagetätigkeit von der Saarknappschaft wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit gewährte Bergmannsrente stellt einen Vorteil dar, der den Schaden gemindert hat, der dem Kläger durch die von der Beklagten veranlaßte Aufgabe dieser Tätigkeit entstanden ist. Die prophylaktische Verlegung nach übertage war Ursache sowohl für die Bergmannsrente als auch für die Übergangsrente. Daher ist auch die Bergmannsrente bei der Festsetzung der Höhe der Übergangsrente zu berücksichtigen.

Aus § 5 Abs. 2 Satz 1 BKVO-Saar, wonach die Rente wegen "Erwerbsunfähigkeit" von dem Unfallversicherungsträger neben der Übergangsrente zu gewähren ist, können für die Entscheidung des vorliegenden Falles keine Schlüsse gezogen werden. Denn diese Renten unterscheiden sich gerade für die hier bedeutsame Frage in entscheidenden Punkten. Während die Übergangsrente in Fällen der vorliegenden Art ihre Ursache in der notwendigen prophylaktischen Verlegung nach Übertage und der damit verbundenen Aufgabe der besser entlohnten Untertagetätigkeit hat, wird die Rente wegen "Erwerbsunfähigkeit" zum Ausgleich für einen durch einen Unfall oder durch eine Berufskrankheit verursachten Körperschaden gewährt. Die sogenannte "abstrakte" Methode der Feststellung dieses Schadens hat außerdem zur Folge, daß der Rechtsanspruch auf eine derartige Rente lediglich davon abhängig ist, in welchem Umfang die Fähigkeit des Versicherten, sich im Erwerbsleben zu betätigen, durch Auswirkungen des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit beeinträchtigt ist. Es ist nicht erforderlich, daß diese ("konkret") einen wirtschaftlichen Schaden verursacht (vgl. BSG 19, 158, 159). Die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird daher selbst dann gewährt, wenn der Verletzte seine alte Tätigkeit oder eine gleich- oder in etwa gleichhoch bezahlte andere Tätigkeit verrichtet und daher u. U. keinen Einkommensverlust hat. Der Versicherte könnte also geschädigt sein, wenn er diese Tätigkeit aufgibt und auf die dafür gewährte Übergangsrente seine Verletztenrente angerechnet würde.

Das Urteil des LSG für das Saarland ist daher in seinem Ergebnis nicht zu beanstanden, so daß die Revision zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 88

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