Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.11.1993)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. November 1993 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger gehört der beklagten Ersatzkasse als versicherungspflichtiger Rentner an. Er hält sich regelmäßig jedes Jahr ungefähr sechs Monate in Thailand auf. Im Mai 1989 reichte er bei der Beklagten Unterlagen über am 15. April 1989 durchgeführte ärztliche Behandlungen in Thailand ein und beantragte die Erstattung der dafür aufgewendeten Kosten. Nachdem die Beklagte darauf hingewiesen hatte, daß eine Übernahme der Kosten ausgeschlossen, andererseits aber auch eine Beitragsbefreiung nicht möglich sei, lehnte sie mit Bescheid vom 22. Juni 1989 (Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 1989) eine Erstattung der Rechnungen vom 15. April 1989 ab. Im Ablehnungsbescheid belehrte sie den Kläger außerdem über die damals noch laufende Frist für die Befreiung von der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf Kostenerstattung, hilfsweise auf Befreiung von der Beitragspflicht abgewiesen (Urteil vom 26. Juni 1992). Es hat sich auf § 16 Abs 1 Nr 1 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) gestützt, wonach der Leistungsanspruch ruhe, während der Versicherte sich im Ausland aufhalte. Die Voraussetzungen für die in den §§ 17 und 18 SGB V vorgesehenen Ausnahmen lägen nicht vor. In Verbindung mit der Möglichkeit, sich nach Art 56 Abs 4 des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) von der Versicherungspflicht in der KVdR befreien zu lassen und sich insgesamt oder speziell für Auslandsaufenthalte privat zu versichern, sei die Gesamtregelung selbst bei Berücksichtigung eines im Einzelfall möglicherweise unausgeglichenen Verhältnisses zwischen Leistung und Beitrag nicht als unvertretbar unbillig oder rechtswidrig zu beurteilen. Für die Beitragsbefreiung fehle es an einer gesetzlichen Grundlage.

Im Berufungsverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Kostenerstattung für die Behandlung im April 1989 in einen Antrag auf Feststellung der Erstattungspflicht der Beklagten in künftigen Krankheitsfällen abgeändert. Die Berufung hatte keinen Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 26. November 1993). Das LSG hat sich auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils bezogen und ergänzend ausgeführt: Ein Sozialversicherungsabkommen zwischen Thailand und der Bundesrepublik Deutschland sei nicht abgeschlossen worden. Der Kläger könne während seiner Auslandsaufenthalte nicht von der Beitragspflicht befreit werden, wie das Bundessozialgericht (BSG) für einen freiwillig Versicherten bereits entschieden habe (SozR 3-2500 § 243 Nr 2); dieser Entscheidung schließe sich das LSG auch für den Fall eines versicherungspflichtigen Mitglieds an. In der gesetzlichen Krankenversicherung sei der Grundsatz der Gleichwertigkeit von Leistung und Beitrag nur schwach ausgeprägt, wie sich daran zeige, daß der Versicherungsschutz auch ohne Beitragspflicht bestehen könne. Im übrigen könne sich der Versicherte vor oder während des Auslandsaufenthaltes mit Kassenleistungen (insbesondere mit Medikamenten) aus Deutschland versorgen oder versorgen lassen. Eine Verletzung der Grundrechte sei nicht zu erkennen; im Bereich der darreichenden Verwaltung habe der Gesetzgeber ein besonders weites Regelungsermessen.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des Art 2 Abs 1 und 2 sowie des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Für die Schlechterstellung gegenüber privat versicherten Personen gebe es keine Rechtfertigung. Während des Berufslebens habe er nicht die Möglichkeit gehabt, in die private Krankenversicherung zu wechseln. Trotz der Befreiungsmöglichkeit nach dem GRG sei dieses im Hinblick auf sein Alter und seine Vorerkrankungen auch danach nicht möglich gewesen. Private Urlaubskrankenversicherungen ohne Gesundheitsprüfung gebe es nur für Kurzurlaube. Durch die Beschränkung des Krankenversicherungsschutzes auf das Inland sei der Kläger in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht mehr frei, da er im Ausland ein unzumutbares Kostenrisiko tragen müsse. Zumindest sei die Beklagte verpflichtet, in ihrer Satzung eine Beitragsbefreiung vorzusehen, wenn sich ein versicherungspflichtiger Rentner für längere Zeit in ein Land begebe, mit dem kein Sozialversicherungsabkommen geschlossen sei. Die vom LSG herangezogene Rechtsprechung des BSG zur Beitragsbefreiung beziehe sich auf freiwillig Versicherte.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des LSG vom 26. November 1993 aufzuheben, das Urteil des SG vom 26. Juni 1992 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 1989 abzuändern und festzustellen, daß

  1. die Beklagte verpflichtet ist, die während der Aufenthalte des Klägers in Thailand entstehenden Krankheitskosten zu erstatten,
  2. (hilfsweise) der Kläger während der Aufenthalte in Thailand von der Beitragspflicht freigestellt wird.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Voraussetzungen des mit Wirkung vom 1. Januar 1993 an eingeführten § 18 Abs 3 SGB V seien nicht erfüllt, da sich der Kläger – auch – zum Zwecke der Behandlung nach Thailand begebe. Außerdem habe sie mangels entsprechender Belege seitens des Klägers nicht prüfen können, ob dieser wegen hohen Alters und seiner Vorerkrankungen kein Versicherungsunternehmen gefunden habe, das bereit sei, ihn zu versichern.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unbegründet.

Hauptbegehren des Klägers ist die Feststellung der grundsätzlichen Kostenerstattungspflicht der Beklagten für Behandlungen des Klägers in Thailand. Die Feststellung der besonderen Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 18 Abs 3 SGB V (in Kraft seit dem 1. Januar 1993) hat der Kläger nicht beantragt, so daß offenbleiben kann, ob eine solche unabhängig von einem konkret bevorstehenden Auslandsaufenthalt nach § 55 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig wäre. Mangels einer Verfahrensrüge hat der Senat auch nicht darüber zu entscheiden, ob das LSG gehalten gewesen wäre, eine entsprechende Ergänzung des Berufungsantrags anzuregen.

Die Klage ist hinsichtlich des Hauptantrags als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig. Insbesondere hat der Kläger bereits vor dem Leistungsfall ein berechtigtes Interesse an der Feststellung des Umfangs seiner Versicherung, damit er eventuell anderweitige Vorsorge treffen kann (BSGE 72, 292 = SozR 3-2500 § 10 Nr 2; BSGE 69, 76 = SozR 3-2500 § 59 Nr 1 jeweils mwN). Die Annahme des LSG, neben dem Leistungsanspruch für die Behandlung am 15. April 1989 habe die Beklagte auch die vom Kläger begehrte allgemeine Feststellung abgelehnt, ist von den Beteiligten nicht angegriffen und läßt Rechtsfehler nicht erkennen.

Obwohl sich der Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 1989 zum Anspruch auf Beitragserstattung nicht äußert, ist auch der Hilfsantrag des Klägers zulässig. Im Bescheid vom 22. Juni 1989 hatte die Beklagte eine vorübergehende Beitragsbefreiung für die Dauer des jeweiligen Auslandsaufenthalts ausdrücklich ausgeschlossen. Demgegenüber hatte der Kläger auch im Widerspruchsverfahren daran festgehalten, daß für den Fall des Ruhens des Leistungsanspruchs zumindest eine Beitragsermäßigung möglich sein müsse. Damit hat auch zu diesem Streitgegenstand ein Vorverfahren gemäß § 78 SGG stattgefunden (vgl BSGE 65, 238, 242 = SozR 4100 § 72 Nr 11 S 23). Der Hilfsantrag ist unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungs- und Revisionsverfahren dahin auszulegen, daß die Erstattung der Krankenversicherungsbeiträge begehrt wird, die während der bisherigen Auslandsaufenthalte gezahlt oder einbehalten wurden. Dem steht nach § 123 SGG die Fassung als Feststellungsantrag nicht entgegen.

Der Kläger hat weder einen allgemeinen Anspruch auf Leistungen der Beklagten bei Behandlungen in Thailand, noch einen Anspruch auf Beitragserstattung, während er sich dort aufhält. Letzteres hat der 12. Senat des BSG sowohl für freiwillig versicherte als auch für versicherungspflichtige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung bereits entschieden (BSG SozR 3-2500 § 243 Nrn 2 und 3). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Der Kläger hat keine Gesichtspunkte aufgezeigt, welche jene Entscheidungen als unrichtig erscheinen lassen könnten, so daß der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen darauf Bezug nimmt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Verfassungsbeschwerde gegen das letztgenannte Urteil, das ebenfalls einen versicherungspflichtigen Rentner betrifft, nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluß vom 29. September 1994 – 1 BvR 1555/94).

Das Ruhen des Leistungsanspruchs während des Aufenthalts im Ausland ergibt sich aus § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V. Hierzu und zu den möglichen, den Fall des Klägers aber nicht erfassenden Ausnahmen haben die Vorinstanzen bereits ausführlich Stellung genommen, so daß der Senat keine Veranlassung sieht, darauf nochmals einzugehen. Der Kläger hat seinen Vortrag im Revisionsverfahren auf verfassungsrechtliche Fragen beschränkt und dadurch zu erkennen gegeben, daß auch er den Anspruch nach einfachem Recht für unbegründet hält.

Mit dem sich aus den genannten Vorschriften ergebenden Leistungsausschluß und der ungeminderten Beitragspflicht ist das Verhältnis von Leistungs- und Beitragsrecht im Falle des Auslandsaufenthalts allerdings nur ungenau beschrieben. Auf den Versicherungsschutz für in Deutschland bleibende Familienangehörige, die vorsorgliche oder nachträgliche Beschaffung von Heil- und Hilfsmitteln und die Möglichkeit der sofortigen Rückkehr bei Erkrankungen, die den Versicherten nicht reiseunfähig machen, hat das BSG (aaO) bereits hingewiesen. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang auch, daß sich die Beitragshöhe nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Versicherten und grundsätzlich nicht nach seinem individuellen Versicherungsrisiko richtet (BSG SozR 3-2500 § 243 Nr 2 S 4 mwN). Das begünstigt alle Rentner dadurch, daß weder das Eintrittsalter noch das aktuelle Alter für die Beitragshöhe maßgeblich ist. Weil bei einem versicherungspflichtigen Rentner im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V unterstellt wird, daß er bereits in wesentlichem Umfang zum Solidarausgleich beigetragen hat, hat dieser gegenüber allen freiwillig Versicherten den zusätzlichen Vorteil, daß nur die in § 237 SGB V genannten Einnahmen zu dem in den §§ 247, 248 SGB V genannten (halben) Beitragssatz zu berücksichtigen sind und keine fiktiven Mindesteinnahmen gelten (vgl demgegenüber § 240 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGB V; zur verfassungsrechtlichen Beurteilung dieser Privilegierung: BSG vom 26. Juni 1996 – 12 RK 12/94, zur Veröffentlichung bestimmt). Das kann bei entsprechend niedrigen Einkommen dazu führen, daß für den Krankenversicherungsschutz des versicherungspflichtigen Rentners und – gegebenenfalls – seiner Familie in Deutschland und im Vertragsausland einschließlich der Europäischen Union beispielsweise monatlich 100 oder 150 DM aufzuwenden sind. Wegen der Beitragsbemessungsgrenze nach § 223 Abs 3 SGB V dürfen auch bei hohen Einkommen und bei einem allgemeinen Beitragssatz von 14% nach dem Stand von 1995 nicht mehr als 420 DM im Monat einbehalten werden (vgl nochmals BSG SozR 3-2500 § 243 Nr 3).

Zwar mögen beim Kläger nicht alle diese Vorteile verwirklicht sein, weil keine Familienversicherung besteht. Immerhin hat er bei einer Rente von rund 1.725 DM Krankenversicherungsschutz in Deutschland und im Vertragsausland einschließlich der Europäischen Union für (nach seiner Mitteilung) rund 114 DM im Monat. Warum die Familienversicherung für seine Ehefrau nicht eingreift, ist nicht bekannt; in der Regel läßt ein Ausschluß der Familienversicherung auf eigene Einkünfte des Angehörigen schließen (vgl § 10 Abs 1 Nr 2 bis 5, § 5 Abs 1 Nr 1 bis 4, 11 und 12, § 6 Abs 1 Nr 1 bis 8 SGB V). Das spricht dafür, daß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers durch Unterhaltsverpflichtungen nicht entscheidend gemindert wird.

Eine Vorlage an das BVerfG nach Art 100 GG, wie sie vom Kläger fürsorglich angeregt wird, kommt nicht in Betracht, denn von der Verfassungswidrigkeit dieses Ergebnisses kann sich der Senat nicht überzeugen. Der Kläger fühlt sich gegenüber dem Personenkreis der bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen Versicherten benachteiligt und hält Art 3 Abs 1 GG (allgemeiner Gleichheitssatz) und Art 20 Abs 1 GG (Sozialstaatsprinzip) für verletzt. Bei einem Vergleich muß aber berücksichtigt werden, daß eine private Versicherung in der Regel ein Vielfaches von dem kostet, was in der KVdR aufgewendet werden muß. Denn die Beiträge in der privaten Krankenversicherung sind im wesentlichen risikobezogen, so daß weder eine Ermäßigung wegen verminderten Einkommens im Alter noch eine kostenlose Mitversicherung von Familienangehörigen möglich ist. Auch wenn das Kosten-Nutzen-Verhältnis in der Privatversicherung im Einzelfall ausnahmsweise günstiger sein sollte, wenn für die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung eine kostspielige Auslandsversicherung mit einer zusätzlichen Untersuchung notwendig ist, könnte daraus eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes oder des Sozialstaatsprinzips nicht hergeleitet werden. Denn abgesehen davon, daß der Kläger nicht mitgeteilt hat, welchen Betrag seine Ehefrau für ihre private Krankenversicherung einschließlich des Schutzes im Ausland zu zahlen hat und was seine eigene Zusatzversicherung für Thailand kosten würde, sind die aufgezeigten Strukturunterschiede zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung so vielfältig und so bedeutsam, daß die Verfassungswidrigkeit mit einem Kostenvergleich im Einzelfall nicht zu begründen ist.

Zu Unrecht sieht der Kläger in der geltenden gesetzlichen Regelung eine Beschränkung der freien Entfaltung der Persönlichkeit oder der Freiheit der Person. Eine Verletzung des Grundrechts auf die Freiheit der Person scheidet aus, weil die Ausreisefreiheit nur durch Art 2 Abs 1 und nicht durch Art 2 Abs 2 GG geschützt ist (vgl BVerfGE 72, 200, 245 mN). Das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art 2 Abs 1 GG steht unter dem Vorbehalt der Rechte anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und des Sittengesetzes; zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören auch die Regelungen des SGB V. Anhaltspunkte für eine Verletzung anderen formalen oder materiellen Verfassungsrechts sind vom Kläger nicht vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Abkürzungen:

KVdR

Seite 2

SG

Seite 2

SGB V

Seite 2

GRG

Seite 2

LSG

Seite 3

BSG

Seite 3

GG

Seite 3

SGG

Seite 6

BVerfG

Seite 6

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173378

SozSi 1997, 237

SozSi 1997, 239

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