Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Nachversicherung eines aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassenen Beamten

 

Leitsatz (amtlich)

Ein entlassener Beamter auf Probe ist auch für Zeiten nachzuversichern, in denen er während der aufschiebenden Wirkung der gegen die Entlassungsverfügung gerichteten Rechtsbehelfe bis zur rechtskräftigen gerichtlichen Bestätigung der Entlassungsverfügung einstweilen weiterbeschäftigt worden ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

 Ansprüche auf Nachversicherungsbeiträge verjähren erst vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Nachversicherungsfall eingetreten ist und diese Beiträge fällig geworden sind.

 

Normenkette

AVG § 6 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23, § 9 Abs. 1; VwGO § 809 Abs. 1; RVO § 1229 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23, § 1232 Abs. 1; SGB 4 § 25 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Hamburg (Entscheidung vom 16.04.1985; Aktenzeichen 10 AN 268/83)

 

Tatbestand

Streitig ist eine Nachversicherung des Klägers nach § 9 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG).

Der 1953 geborene Kläger war im April 1971 als Zollanwärter bei der Oberfinanzdirektion Hamburg (Beigeladene zu 1) eingestellt, mit Wirkung vom 1. April 1972 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Zollassistenten zur Anstellung und mit Wirkung vom 1. April 1974 zum Zollassistenten ernannt worden. Mit Verfügung vom 24. Juni 1977 wurde er mit Wirkung zum 31. Juli 1977 aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Die dagegen eingelegten Rechtsbehelfe (Widerspruch, Klage und Berufung) hatten keinen Erfolg; die Berufung des Klägers wurde durch Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) vom 9. November 1979 - rechtskräftig seit 6. März 1980 - zurückgewiesen. Aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe wurde der Kläger zunächst vom 1. August 1977 bis 1. November 1977 und - nach Ableistung von Ersatzdienst - erneut vom 1. März 1979 bis 22. November 1979 bei der Beigeladenen zu 1) in seiner bisherigen Funktion weiterbeschäftigt. Am 22. November 1979 wurde ihm eine Anordnung über die vorläufige Dienstenthebung (§ 126 Abs 1 Satz 3 iVm § 91 Bundesdisziplinarordnung -BDO-) zugestellt. Während der Weiterbeschäftigung erhielt der Kläger Dienstbezüge in Höhe von 20.426,92 DM, die ihm als Gegenwert für die erbrachte Dienstleistung belassen wurden (Widerspruchsbescheid des BMin.d. Finanzen vom 29.1.1981).

Nach Durchführung der Nachversicherung für die Zeit vor der Entlassungsverfügung (April 1971 bis Juli 1977) bot die Beigeladene zu 1) im April 1982 der Beklagten (BfA) an, Nachversicherungsbeiträge auch für das in der Zeit vom 1. August 1977 bis 22. November 1979 erzielte Einkommen zu entrichten. Mit Bescheid vom 10. Februar 1983 lehnte die Beklagte die Nachversicherung mit der Begründung ab, daß der Kläger ab August 1977 nicht mehr iS von § 6 Abs 1 Nr 3 AVG versicherungsfrei beschäftigt gewesen sei, da sein Beamtenverhältnis zum 31. Juli 1977 geendet habe. Auf Anregung der Beklagten setzte sich der Kläger mit der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Hamburg - Beigeladene zu 2) - in Verbindung, die von dem Beigeladenen zu 1) für die Zeit vom 1. März bis 22. November 1979 Pflichtbeiträge zur Kranken-, Angestellten- und Arbeitslosenversicherung in Höhe von 5.148,80 DM forderte; für die Zeit vom 1. August bis 1. November 1977 wurden Beiträge nicht angefordert, da sie bereits verjährt seien. Die Einziehung der Beitragsforderung wurde im Hinblick auf das vorliegende Verfahren ausgesetzt. Der Widerspruch des Klägers gegen die Ablehnung der Nachversicherung wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 4.Mai 1983).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die Nachversicherung für die Zeit vom 1. August bis 1. November 1977 und 1. März bis 22. November 1979 durchzuführen (Urteil des SG Hamburg vom 16. April 1985), und ausgeführt, daß die Nachversicherungsregelungen nach ihrem Zweck auch die vorgenannten Zeiten erfaßten. Die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe habe die Vollziehbarkeit der Entlassungsverfügung mit der Folge gehindert, daß sich die Behörden so hätten verhalten müssen, als habe die angefochtene Verfügung noch keine Wirksamkeit erlangt; das Beamtenverhältnis sei daher als einstweilend fortbestehend anzusehen gewesen. Allerdings sei mit dem rechtskräftigen Abschluß des verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe rückwirkend mit der Folge entfallen, daß sich nunmehr alle Beteiligten so behandeln lassen müßten, wie es der von Anfang an gegebenen und durch das rechtskräftige Urteil klargestellten Rechtslage entspreche. Ungeachtet dieser beamtenrechtlichen Beurteilung sei jedoch sozialversicherungsrechtlich erheblich, daß das Beamtenverhältnis einschließlich der Gewährleistung beamtenrechtlicher Versorgung aufgrund der aufschiebenden Wirkung fiktiv in gleichem Umfang bisher fortbestanden habe und der Kläger während der Weiterbeschäftigung als versicherungsfrei anzusehen gewesen sei. Denn zu der für die Entscheidung über die Versicherungspflicht maßgeblichen Sach- und Rechtslage am 1. August 1977 sei das Beschäftigungsverhältnis als Beamtenverhältnis und nicht als versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu werten gewesen. Der gegenteiligen Beurteilung stehe entgegen, daß wegen der häufig langen Dauer der Rechtsstreitigkeiten eine rückwirkende Entrichtung von Pflichtbeiträgen infolge der Verjährung der Beitragsansprüche nach § 25 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB 4) vielfach nicht mehr durchgeführt werden könne und damit dem Betroffenen unter Umständen Rentenansprüche für viele Jahre entgehen könnten.

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision - der der Kläger zugestimmt hat - rügt die Beklagte eine Verletzung des § 9 Abs 1 AVG. Sie meint, daß der Kläger bereits am 31. Juli 1977 aus der gemäß § 6 Abs 1 Nr 3 AVG versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden sei. Wie immer die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen beurteilt werde - als Wirksamkeits- oder nur als Vollziehbarkeitshemmnis -, entfalle diese Wirkung mit rechtskräftigem Abschluß des Rechtsstreits, und zwar rückwirkend mit der Folge, daß mit der Entlassung auch die Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 1 Nr 3 AVG zum 31. Juli 1977 geendet habe. Die Weiterbeschäftigung könne nicht als Fortbestehen des Beamtenverhältnisses mit allen seinen Wirkungen gewertet werden; insbesondere sei damit nicht eine weitere bzw erneute Gewährleistung von Versorgungsanwartschaften verbunden gewesen, die allein zur Versicherungsfreiheit der nach der Entlassung liegenden Beschäftigung führen könne. Daß im Einzelfall die Einziehung von Pflichtbeiträgen für das nach der Entlassung liegende faktische Beschäftigungsverhältnis an § 25 SGB 4 scheitern könne, sei für die Nachversicherung unerheblich. Sie biete sich insoweit nicht als Ersatzlösung an.

Die Beklagte beantragt, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Die Beigeladene zu 1) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene zu 2) (AOK) und die Beigeladene zu 3) (BA) haben sich den Ausführungen der Beklagten angeschlossen.

Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

Sämtliche Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die vom SG zugelassene Revision der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Kläger für die streitigen Zeiten nachzuversichern ist, nachdem er im November 1979 ohne Versorgung aus dem Dienst der Beigeladenen zu 1) ausgeschiedenen ist. Der Zeitpunkt des "Ausscheidens" bestimmt sich nach der tatsächlichen Beendigung der nachzuversichernden Beschäftigung und damit allein nach sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen; auf die beamtenrechtliche Beurteilung kommt es insoweit nicht an (BSG SozR 2200 § 1232 Nrn 1 und 3 mwN).

Die Nachversicherung nach § 9 Abs 1 AVG setzt voraus, daß der Ausgeschiedene während der nachzuversichernden Beschäftigung nach § 6 Abs 1 Nr 2 bis 5 oder nach § 8 Abs 1 AVG versicherungsfrei gewesen ist. Als Grund für die Versicherungsfreiheit des Klägers kommt hier allein § 6 Abs 1 Nr 3 AVG in Betracht. Diese Regelung gewährleistet Beamten und sonstigen Beschäftigten u. a. des Bundes Versicherungsfreiheit, wenn ihnen Anwartschaft auf lebenslange Versorgung und Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen gewährleistet ist. Über die Gewährleistung der Versorgungsanwartschaften entscheiden die nach § 6 Abs 2 AVG bestimmten Behörden. Eine solche - pauschale - Entscheidung, die auch für die im Dienst der Beigeladenen zu 1) beschäftigten Beamten auf Probe gilt, hat hier offensichtlich vorgelegen; davon ist die Beklagte ausgegangen, indem sie die Zeit bis zum 31.Juli 1977 nachversichert hat.

Die allein streitige Frage, ob der Kläger auch für die anschließende Zeit nachzuversichern ist, in der er während der aufschiebenden Wirkung seiner Rechtsbehelfe gegen die Entlassungsverfügung mindestens "wie ein Beamter" weiterbeschäftigt worden ist, ist nach dem Zweck der Nachversicherungsregelung zu bejahen (so auch Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 27. September 1983, L 6 An 2083/82). Die Nachversicherung soll Personen, die wegen ihrer Versicherungsfreiheit nach den vorgenannten Vorschriften keinen Versicherungsschutz nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG erlangen konnten, nachträglich Schutz im Wege der Nachentrichtung von Beiträgen verschaffen, wenn die betroffenen Zeiten sonst in der Rentenversicherung der Angestellten versicherungspflichtig gewesen wären. Dieser Schutzzweck würde verfehlt, wenn die hier streitigen Zeiten, die als "faktische" Beschäftigungszeiten zweifelsfrei der Versicherungspflicht unterlegen hätten, von der Nachversicherung ausgeschlossen wären.

Allerdings müßte eine wortgetreue Auslegung des § 9 Abs 1 AVG iVm § 6 Abs 1 Nr 3 AVG die Nachversicherung ausschließen, wenn - wie hier aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Hamburgischen OVG vom 9. November 1979 - feststeht, daß der Kläger bereits zum 31. Juli 1977 wirksam und rechtmäßig aus dem Beamtenverhältnis entlassen worden ist. Da das Nachversicherungsrecht insoweit an die beamtenrechtliche Rechtslage anknüpft, bedeutete dies nicht nur, daß das Beamtenverhältnis einschließlich der damit verbundenen Rechte und Pflichten zum 31. Juli 1977 geendet hat (§§ 31f, 34 BBG), sondern auch, daß der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt aus der versicherungsfreien Beschäftigung "ausgeschieden" ist, weil mit der Entlassung des Probebeamten auch die Gewährleistung beamtenrechtlicher Versorgungsanwartschaften erlischt. Dann könnten die anschließenden Zeiten seiner Weiterbeschäftigung, für die eine gesonderte Gewährleistungsentscheidung nicht getroffen worden ist, nachversicherungsrechtlich nicht mehr berücksichtigt, sondern müßten allein unter dem Aspekt einer fraglichen nachträglichen Entrichtung von Pflichtbeiträgen beurteilt werden. Damit würde aber die Bedeutung verkannt, die der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen die Entlassungsverfügung bzw der auf ihr beruhenden Weiterbeschäftigung versicherungsrechtlich beigemessen werden muß.

Die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe des Klägers, die nach den unangegriffenen Feststellungen des SG während der hier streitigen Zeiten bestanden hat, beruht auf § 80 Abs 1, § 125 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach sind nicht nur Vollstreckungsmaßnahmen im engeren Sinne, sondern auch sonstige Folgerungen tatsächlicher und rechtlicher Art, welche sonst aus dem Inhalt der angefochtenen Entscheidung gezogen werden müßten, jedenfalls während der Dauer der aufschiebenden Wirkung ausgeschlossen. Dies bedeutet u. a. für den Dienstherrn des entlassenen Beamten, daß er ihm die weitere Amtsausübung nicht untersagen darf. Die aufschiebende Wirkung ist nach ihrem Zweck darauf gerichtet, daß während ihrer Dauer der Status quo erhalten bleiben, insbesondere vor einseitigen Veränderungen geschützt werden muß; sie ist daher Rechtsgrund für einen (vorläufigen) Weiterbeschäftigungsanspruch des entlassenen Beamten für die Dauer eines gegen die Entlassungsverfügung gerichteten Verfahrens (zur Problematik eines arbeitsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruchs während des Kündigungsprozesses vgl BAG GS NJW 1985, 2968 ff).

War der Kläger daher - wie geschehen - auf sein Verlangen in entsprechender Anwendung der einschlägigen beamtenrechtlichen Vorschriften weiterhin in der bisherigen Stellung und Funktion eines Beamten auf Probe (Zollassistenten) weiterzubeschäftigen, so durfte auch die bisherige Gewährleistung beamtenrechtlicher Versorgung für die Dauer der aufschiebenden Wirkung nicht zurückgenommen werden; insoweit hat es auch keiner erneuten Gewährleistung bedurft. Die Entlassungsverfügung hat mithin die Wirkungen der Gewährleistungsentscheidung, nämlich die Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 1 Nr 3 AVG, für die Dauer der Weiterbeschäftigung nicht beseitigen können. Deshalb wäre die Beigeladene zu 1) weder berechtigt noch gar verpflichtet gewesen, den Kläger ab 1. August 1977 - vorläufig - als versicherungspflichtig anzusehen und dementsprechend unter Abzug von Pflichtbeiträgen von seinen Dienstbezügen, bei deren Höhe die gewährleisteten Versorgungsanwartschaften bereits mitberücksichtigt sind, Sozialversicherungsbeiträge an den zuständigen Versicherungsträger (die beigeladene AOK) abzuführen.

Hierbei läßt der Senat ausdrücklich offen, ob die aufschiebende Wirkung - im Sinne der sog. Wirksamkeitstheorie - schlechthin die Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes erfaßt und daher die Entlassungsverfügung unwirksam gemacht hat mit der Folge, daß der Kläger weiterhin als Beamter im Rechtssinne tätig geworden ist, oder ob die Entlassungsverfügung - im Sinne der Vollziehbarkeitstheorie - nur in ihrem Vollzug (im weiteren Sinne) gehemmt war oder ob - im Sinne einer vermittelnden Theorie - diese Verfügung zwar wirksam geworden ist, sich Behörden, Gerichte und Betroffener jedoch vorläufig so verhalten müssen und dürfen, als ob sie noch keine Wirksamkeit erlangt hätte (vgl dazu im einzelnen Kopp, VwGO, 7. Aufl, § 80 RdNrn 12 bis 16; Eyermann-Fröhler, VwGO, 8. Aufl, § 80 Anm 7 f; jeweils mwN). Die hier zu entscheidende Frage der Nachversicherung stellt sich erst dann, wenn nach abschließender Klärung der Rechtslage die aufschiebende Wirkung rückwirkend entfällt: Hat dies - wie im Beamtenrecht angenommen wird - auch versicherungsrechtlich zur Folge, daß nunmehr die Beteiligten grundsätzlich so zu behandeln sind, wie es der von Anfang an gegebenen Wirksamkeit der Entlassungsverfügung entspricht? (so zur Rückforderung der dem entlassenen Beamten fortgezahlten Dienstbezüge BVerwGE 24, 92, 98/99 mwN; BVerwG DÖV 1983, 898 f). Bei der Lösung dieser Frage ist der besonderen Situation des Anfechtungsprozesses Rechnung zu tragen. Diese besteht - aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht - vor allem darin, daß die von der Rechtmäßigkeit der Entlassung letztlich abhängige Frage der Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit des Weiterbeschäftigten wegen der ausschließlichen Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und -gerichte nicht von den zuständigen Einzugsstellen der Krankenkassen vorab beurteilt und von den Sozialgerichten geklärt werden kann. Den Einzugsstellen fehlt vor Erledigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die für die Erhebung einer Beitragsforderung notwendige Klarheit darüber, ob Versicherungspflicht besteht und deshalb Beiträge erhoben werden können. Diese haben vielmehr aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe von einer versicherungsfreien Beamtentätigkeit des Weiterbeschäftigten auszugehen. Dabei muß es aber auch nach rechtskräftiger Bestätigung der Entlassungsverfügung verbleiben; denn eine nunmehr - aufgrund der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung - auf den 30. Juli 1977 zurückwirkende Entlassung des Beamten bzw ein auf diesen Zeitpunkt zurückwirkendes "Ausscheiden" würde sozialversicherungsrechtlich bedeuten, daß die bisher als versicherungsfrei zu beurteilende Weiterbeschäftigung im Beamtendienst von diesem Zeitpunkt an rückwirkend als versicherungspflichtige Beschäftigung zu gelten hätte.

Dem steht aber der in der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz entgegen, daß rückwirkende Änderungen der versicherungsrechtlichen Verhältnisse - ebenso wie Änderungen der beamtenrechtlichen Stellung samt der daran gebundenen Versicherungsfreiheit - versicherungsrechtlich keine Auswirkungen haben dürfen. Ein solcher Grundsatz kann zwar nicht ausnahmslos (vgl BSGE 35, 195, 198), muß aber jedenfalls dann durchgreifen, wenn anderenfalls Nachteile für den ausscheidenden Beamten entstünden (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1232 Nr 16). So hat das Bundessozialgericht (BSG) unter Bezugnahme auf den vorgenannten Grundsatz entschieden (BSGE 24, 45, 48), daß die Rücknahme eines erschlichenen Rechtsstellungsbescheides (nach dem Gesetz zu Art 131 des Grundgesetzes -GG-) die Versicherungsfreiheit nicht rückwirkend in eine Versicherungspflicht umwandelt; damit war dort der Kläger nachzuversichern und nicht auf fragliche nachträgliche Pflichtbeiträge angewiesen. Ähnlich hat das Reichsversicherungsamt eine Nachversicherungspflicht angenommen, nachdem ein Gewährleistungsbescheid widerrufen worden war, weil ein nach § 11 AVG aF versicherungsfreier Angestellter einer Gemeinde irrtümlich nach § 225 AVAVG aF übernommen worden war (Mitt RfA 33, S 52). Auch wird überwiegend die Ansicht vertreten, daß bei Nichtigkeit oder Rücknahme einer fehlerhaften Beamtenernennung die Nachversicherung für die zunächst - irrtümlich - als versicherungsfrei angesehene Beschäftigung durchzuführen ist, obwohl von Anfang an ein Beamtenverhältnis nicht bestanden hat, sondern der Beamte versicherungspflichtig beschäftigt war (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band III, S 626 d IV, e mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Literatur). Hier wird es aus dem Sinn der Nachversicherung für gerechtfertigt angesehen, den Beschäftigten, der im Vertrauen auf seine mit der Beamtenernennung verbundene Anwartschaft auf lebenslängliche Versorgung sich zunächst nicht durch Beiträge den Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung gesichert hat, diesen Schutz bei Verlust der Versorgungsanwartschaft durch die Nachversicherung zu gewähren, und auch darauf hingewiesen, daß es vor der Rücknahme bzw Feststellung der Nichtigkeit der Ernennung auch rechtlich nicht möglich sei, Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung zu leisten.

Entsprechendes muß für die hier streitigen Fälle gelten, in denen der entlassene Beamte noch bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Entlassung als oder wie ein Beamter weiterbeschäftigt worden ist. Auch für derartige Beschäftigungszeiten ist die Nachversicherung nach ihrem Sinn, einen möglichst lückenlosen Versicherungsschutz zu gewährleisten, durchzuführen, weil ein entsprechender Schutz durch nachträglich zu entrichtende Pflichtbeiträge häufig nicht zu erreichen wäre. § 140 Abs 1 AVG trägt der Interessenlage der Parteien in derartigen Fällen nicht hinreichend Rechnung. Für diese Fälle ist typisch, daß der öffentlich-rechtliche Arbeitgeber oft erst Jahre nach Ablauf der dort vorgesehenen Frist - ab 1. Januar 1980: Ablauf des Jahres nach Schluß des Kalenderjahres, für das die Beiträge gelten sollen - in der Lage sein wird, seiner Beitragszahlungspflicht zu genügen. Das von dem entlassenen Beamten gegen die Entlassungsverfügung angestrengte Widerspruchs- und Anfechtungsverfahren kann sich über Jahre hinziehen, ohne daß die Erfolgsaussichten der einen oder der anderen Seite zuverlässig beurteilt werden könnten. Hinzu kommt, daß nach rechtskräftigem Abschluß des Verwaltungs- und verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in einem weiteren, möglicherweise zeitaufwendigen Verwaltungsverfahren darüber zu befinden ist, ob und in welchem Umfang dem entlassenen (aber weiterbeschäftigten) Beamten für die Zeit der aufschiebenden Wirkung seiner Rechtsbehelfe weitergezahlte Dienstbezüge zu belassen oder zurückzufordern sind. Im konkreten Fall ist erst mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 1981 entschieden worden, daß die für die streitige Beschäftigungszeit fortgezahlten Bezüge dem Kläger in Höhe von 20.426,92 DM zu belassen sind. Erst danach - mit Schreiben vom 7. Februar 1982 - hat sich die Beigeladene zu 1) bereit erklärt, (Nachversicherungs-) Beiträge auch für das in der Zeit vom 1. August 1977 bis 22. November 1979 erzielte Einkommen zu entrichten, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Frist des § 140 Abs 1 AVG für eine Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen fraglos versäumt gewesen wäre. Andererseits könnte einer Beitragsforderung der Beigeladenen zu 2) (AOK) jedenfalls für die Beschäftigungszeit vom 1. August bis 1. November 1977 die Verjährungseinrede entgegengehalten werden, da Ansprüche auf Beiträge nach § 25 SGB 4 in vier Jahren nach Ablauf des Fälligkeitsjahres verjähren. Die Weiterbeschäftigung des entlassenen Beamten würde also, soweit keine Beiträge mehr entrichtet werden können, bei einer künftigen Rentengewährung ausfallen.

Ist mithin für Fälle der streitigen Art ein lückenloser Schutz durch nachträgliche Entrichtung von Beiträgen nicht gewährleistet, ist es geboten, die bestehende Lücke durch Anwendung der §§ 9, 124 AVG in der Weise auszufüllen, daß der öffentlich-rechtliche Arbeitgeber nach der Beendigung der tatsächlichen Beschäftigung für diese Beiträge im Wege der Nachversicherung nachentrichtet, wie wenn der Entlassene erst mit der Beendigung der tatsächlichen Weiterbeschäftigung aus dem versicherungsfreien Beamtenverhältnis ausgeschieden wäre. Dabei kann dahingestellt bleiben, wie die faktische Erfüllung der Dienstpflichten nach rechtskräftiger Bestätigung der Entlassungsverfügung rechtlich zu bewerten ist - als öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis eigener Art oder als "faktisches Beamtenverhältnis" oder nur als "faktisches Arbeitsverhältnis" - (zur entsprechenden Problematik bei Nichtigkeit der Ernennung vgl Brackmann, aaO, S 626 d III mit weiteren Literaturhinweisen; gegen ein faktisches Beamtenverhältnis BVerwG DÖV 1983, 898, 899). Jedenfalls muß ein solches Verhältnis aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht wie während des schwebenden Anfechtungsverfahrens auch weiterhin als versicherungsfrei behandelt werden, weil dadurch Fakten geschaffen worden sind, die sich sozialversicherungsrechtlich nicht mehr oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten rückwirkend ändern lassen. Dem Sicherungsbedürfnis des Weiterbeschäftigten wird, wovon auch der Dienstherr des Klägers ausgeht, nur die Nachversicherung gerecht, die - anders als § 140 Abs 1 AVG - Beitragszahlungsfristen nicht kennt und bei der - anders als nach § 25 SGB 4 - die Ansprüche auf Nachversicherungsbeiträge erst vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres verjähren, in dem der Nachversicherungsfall eingetreten ist und diese Beiträge fällig geworden sind.

Andernfalls müßte, um rentenversicherungsrechtliche Nachteile für den betroffenen Beschäftigten abzuwenden, erwogen werden, den Dienstherrn bei der nachträglichen Entrichtung von Pflichtbeiträgen von Zahlungsfristen freizustellen und die Anwendung der Verjährungsvorschriften einzuschränken, wobei in Fällen der vorliegenden Art, in denen der Weiterbeschäftigte fortlaufend Entgelt bezogen hat, nicht davon ausgegangen werden könnte, daß die darauf entfallenden Beiträge erst mit der Beendigung des Verwaltungsprozesses fällig werden (anders zur Fälligkeit der Beiträge aus nachzuzahlendem Arbeitsentgelt nach erfolgreichem Abschluß von Kündigungsprozessen BSGE 52, 152, 157 f). Bei einer solchen Lösung, die nicht nur für die Rentenversicherung Bedeutung hätte, ergäben sich aber weitere praktische Schwierigkeiten daraus, daß eine nachträgliche Entrichtung von Pflichtbeiträgen auf bereits abgewickelte Versicherungsverhältnisse nicht mehr einwirken könnte und daher ihren Zweck verfehlte. Die Beigeladene zu 1) hat mit Recht darauf hingewiesen, daß der Kläger gezwungen war, während der Weiterbeschäftigung seine private Krankenversicherung aufrecht zu erhalten, und daß daraus und aus seinem Beihilfeanspruch gegen den Dienstherrn sein Krankheitsrisiko abgedeckt gewesen ist. Eine Rückabwicklung der über einen Zeitraum von mehreren Jahren eingegangenen Verbindlichkeiten und gewährten Leistungen ist im Verhältnis zum privaten Krankenversicherungsträger rechtlich nicht mehr möglich und eine nachträgliche Leistungsgewährung durch den gesetzlichen Krankenversicherungsträger praktisch nicht mehr durchführbar.

Nach allem konnte die Revision der Beklagten keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664220

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