Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. Juli 1970 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Zeit, in der der Kläger in den Jahren 1945 und 1946 im Internierungslager Dachau festgehalten wurde, als Ersatzzeit anzurechnen ist.

Der 1903 geborene Kläger war nach seinen Angaben Soldat bei der Frontleitstelle III Ost. Er wurde laut Entlassungsschein der US-Kontrollkommission am 17. Juni 1945 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Anschließend befand er sich zu Hause. Nach einigen Wochen wurde er festgenommen und im Internierungslager Dachau „als Mitglied der RSHA” (Reichssicherheitshauptamt) inhaftiert. Laut „Entlassungsschein für Zivilpersonen” wurde er dort am 9. September 1946 entlassen.

Die Beklagte rechnete im Bescheid vom 2. September 1968 über die Gewährung des Altersruhegeldes die Zeit der Inhaftierung in Dachau nicht rentensteigernd an. Der Kläger meint unter Hinweis auf Auskünfte des Bundesarchivs, Zentralnachweisstelle, Kornelimünster u. a., diese Zeit müsse als Ersatzzeit berücksichtigt werden; er sei Wehrmachtsangehöriger, aber nie Angehöriger des RSHA gewesen.

Das Sozialgericht (SG) Koblenz hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. September 1969), das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) die Berufung zurückgewiesen. Die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 2. Juli 1970).

Das LSG hat Kriegsgefangenschaft während der strittigen Zeit verneint, weil der Kläger erst nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft und nicht wegen der Zugehörigkeit zu einem militärischen Verband, sondern – wenn auch infolge eines Irrtums der inhaftierenden Macht – wegen der angenommenen Zugehörigkeit zum RSHA und der damit pauschal verbundenen Vermutung von Kriegsverbrechen inhaftiert worden sei. Die Zeit der Inhaftierung könne auch nicht als eine an Kriegsgefangenschaft anschließende Zeit unverschuldeter Arbeitslosigkeit angerechnet werden; denn der Kläger sei nicht arbeitslos gewesen, weil er während der Inhaftierung der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden habe (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes –AVG–). Die streitige Zeit könne auch nicht als Zeit der Internierung angerechnet werden, weil der Kläger nicht in Bezug auf diese Zeit Heimkehrer im Sinne des Heimkehrergesetzes sei (§ 28 Abs. 1 Nr. 2 AVG).

Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und unter Abänderung des angefochtenen Bescheides vom 2. September 1968 die Beklagte zu verurteilen, eine Rente unter Anerkennung der Zeit von August 1945 bis September 1946 als Ersatzzeit zu gewähren.

Der Kläger ist der Ansicht, der Status eines Kriegsgefangenen sei denjenigen zuzusprechen, die wegen militärischen Dienstes festgehalten worden seien. Ursächlich für die Gefangenschaft sei der geleistete Dienst, nicht die Zugehörigkeit zu einer militärischen Einheit im Zeitpunkt der Gefangennahme. Deshalb sei er während der streitigen Zeit Kriegsgefangener gewesen, weil er wegen seiner Zugehörigkeit zur Wehrmacht, Frontleitstelle III, festgehalten worden sei. Abgesehen davon seien die Voraussetzungen einer Internierung im Sinne des § 28 Abs. 1 Nr. 2 AVG erfüllt.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).

II

Die Revision ist nicht begründet.

Der Senat hat bereits entschieden, daß die Festhaltung eines Versicherten durch die Besatzungsmacht aus politischen Gründen (automatischer Arrest) nicht als Ersatzzeit der Kriegsgefangenschaft nach § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO angerechnet werden kann (SozR Nr. 47 zu § 1251 RVO).

Daraus, daß der Kläger nach dem „Entlassungsschein für Zivilpersonen aus dem Internierungslager Dachau” als „Mitglied des RSHA” inhaftiert war, ergibt sich, daß er, wie das LSG zu Recht festgestellt hat, aus politischen Gründen im Zuge der Entnazifizierung und nicht wegen seiner Eigenschaft als Soldat festgehalten wurde. In der „Anlage zum Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus” vom 5.3.1946 (Bay. GVBl 1946, 145), Teil A, sind in Gruppe A „Deutscher Geheimdienst einschließlich Abwehrämter (milit. Amt)” unter Klasse II 1) alle nicht unter Klasse I fallenden Offiziere und sonstiges Personal des RSHA, seiner Organisationen und der Dienststellen, die dem RSHA direkt unterstellt waren”, aufgeführt. Die Eingruppierung in Klasse II bedeutete, daß die davon erfaßten Personen „auf Grund widerlegbarer Vermutung in die Gruppe der Belasteten einzureihen” waren (siehe „Anlage”, Teil A). Gegen die „Belasteten” (Art. 4 des Gesetzes) war als „Sühnemaßnahme” die Einweisung in ein Arbeitslager vorgesehen; „politische Haft nach dem 8. Mai 1945” konnte angerechnet werden (Art. 16 Nr. 1 des Gesetzes).

Die Haft des Klägers beruhte danach auf politischen Gründen. Daran ändert nichts, daß der Kläger möglicherweise nicht zum „… sonstigen Personal des RSHA, seiner Organisationen und der Dienststellen, die dem RSHA direkt unterstellt waren”, gehörte. Es besteht kein Rechtsgrund, seine Haft deshalb als Kriegsgefangenschaft nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG anzusehen. Insbesondere besteht kein Anhalt, daß er, wenn er nicht für ein „Mitglied des RSHA” gehalten worden wäre, wieder als Soldat in Kriegsgefangenschaft genommen worden wäre; denn daraus war er am 17. Juni 1945 entlassen worden. Damit war die Kriegsgefangenschaft im Sinne des Genfer Abkommens über die Behandlung von Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929 (BGBl II 1934, 227) beendet.

Das Begehren des Klägers könnte in der Rentenversicherung nur berücksichtigt werden, wenn die Festhaltung in Lagern nach den Entnazifizierungsgesetzen ausdrücklich als Tatbestand einer Ersatzzeit in § 28 Abs. 1 AVG aufgenommen worden wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Das Fehlen einer solchen Vorschrift kann nicht als eine dem Gesetzgeber nicht bewußt gewesene Lücke im Gesetz angesehen werden, die die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit durch, ihre Rechtsprechung auszufüllen hätten. Die Festhaltung im Zuge der Entnazifizierung als eine häufige Erscheinung der ersten Nachkriegszeit war dem Gesetzgeber hinreichend bekannt. § 28 Abs. 1. AVG kann daher nicht im Sinne des Klägers ausdehnend oder ergänzend angewandt werden.

Es ist hier nicht darauf einzugehen, ob der Kläger nach anderen Gesetzen und in anderen Gerichtsbarkeiten Schadensersatz für die Festhaltung verlangen kann.

Das LSG hat auch ohne Gesetzesverletzung die Voraussetzungen der anderen Ersatzzeittatbestände des § 28 Abs. 1 AVG als nicht erfüllt angesehen.

Die Revision war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Unterschriften

Geyser, Burger, Dr. Friederichs

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 08.11.1971 durch Schütz Reg.Hauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Dokument-Index HI707671

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